Unsere liebe Sisi. Gabriele Praschl-Bichler
Читать онлайн книгу.den sie aus Anlaß der Verlobung ihres Sohnes mit Elisabeth an ihre Zwillingsschwester Marie schrieb. Er wurde 1934 in einer Zeitschrift5 veröffentlicht und hätte allen Elisabeth-Biographen zu denken geben müssen. Warum diesen Brief bis heute niemand wiedergab und kommentierte, bleibt ein Rätsel. Man möchte beinahe glauben, daß alle Autoren Angst hatten, den Mythos der »unverstandenen« Kaiserin zu zerstören, wenn man die Wahrheit – also das gute Verhältnis zwischen ihr und ihrer Schwiegermutter – aufdecken würde.
Bei den historischen Irrtümern handelt es sich um fünf Mißverständnisse, Nacherzählungen von Nachkommen der Kaiserin, die Corti – unschuldig – in die Welt gesetzt hatte und die seither allen Historikern als geschichtliche Basis dienen. Da er der erste Elisabeth-Biograph war, basiert auch die allseits beliebte und bekannte »Sissy«-Film-Trilogie aus den fünfziger Jahren auf seinem Werk, weshalb eben die ganze Welt vom Schicksal der armen Kaiserin von Österreich unterrichtet zu sein scheint. Die fünf bekanntesten – aber leider falschen – Behauptungen seien hier einmal in der Reihenfolge der dazugehörenden Ereignisse angeführt. Die Gegendarstellungen finden sich im Anschluß in Form von originalen Briefzitaten.
Behauptung Nummer Eins: Erzherzogin Sophie hätte ihren Sohn, Kaiser Franz Joseph, mit Prinzessin Helene von Bayern, der älteren Schwester Elisabeths, verheiraten wollen.
Behauptung Nummer Zwei: Das Verlobungsfest in Ischl wäre steif und zeremoniell abgelaufen, weshalb sich Elisabeth von allem Anfang an bei den Habsburgern unwohl fühlte.
Behauptung Nummer Drei: Erzherzogin Sophie hätte Elisabeth nach der Hochzeit streng nach den Regeln des burgundischen Hofzeremoniells »zur Kaiserin erzogen« und sie in Schloß Laxenburg wie eine Gefangene gehalten.
Behauptung Nummer Vier: Elisabeth sei nach der Geburt ihrer ersten Tochter von Wien geflohen und hätte sich wochenlang bei ihrer Mutter in Bayern aufgehalten, weil sie die Zustände in Wien nicht mehr ertrug.
Behauptung Nummer Fünf: Erzherzogin Sophie hätte die Kaiserin unter Druck gesetzt, als zweites Kind »endlich« einen Thronfolger auf die Welt zu bringen.
Zu diesen fünf Irrtümern, die sich inbezug auf die Biographie Kaiserin Elisabeths so hartnäckig halten, möchte ich gleich am Beginn des Buches Stellung nehmen. Selbstverständlich wird im laufenden Text noch genauer auf sie eingegangen werden, ebenso wie zahlreiche andere Fehler an passender Stelle angesprochen und kommentiert werden. Es scheint mir wichtig, diese fünf schwerwiegendsten Fehler vorab anzuführen, um den Leser darauf vorzubereiten, daß er in diesem Band eine andere als die gemeinhin bekannte Elisabeth-Geschichte hören wird. Sie ist allerdings viel interessanter, viel emotionaler und viel spannender als jene, die man bis jetzt kennt. Zudem hat sie den unleugbaren Vorteil, auf Originaldokumenten begründet zu sein und von den Mitgliedern der Kaiserfamilie in fröhlichem Plauderton erzählt zu werden.
Was die Nummer Eins und Zwei der historischen Irrtümer inbezug auf die Kaiser-Verlobung betrifft, so kann man in den folgenden Briefausschnitten lesen, wie sich die Geschichte ab dem Eintreffen Elisabeths mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in Ischl zutrug. Als erstes Dokument soll das oben zitierte, in der Reichspost veröffentlichte Schreiben Erzherzogin Sophies wiedergegeben werden. Der Artikel ist seit 1934 über jedes österreichische Zeitungsarchiv abrufbar und wurde dennoch noch niemals in einem Buch abgedruckt. Herzogin Ludovika (Luise) in Bayern traf am Abend des 16. August 1853 in Ischl ein und wohnte mit ihren Kindern im Hotel (vermutlich im Hotel Austria). Da ihr Gepäck und ihre Gefolgsleute noch nicht angekommen waren, ließ Erzherzogin Sophie sofort eines ihrer Kammermädchen holen, »damit sich die Mädchen doch wenigstens die Haare richten könnten. Und mit innigem Wohlgefallen sah ich (Erzherzogin Sophie) zu, wie Sisi ihre Haare selbst ordnete, mit einer Anmut und Grazie in allen ihren Bewegungen, die Sophie (das Kammermädchen) wie auch mich entzückte. Desto mehr, da sie sich so gar nicht bewußt war, einen so angenehmen Eindruck hervorgebracht zu haben. Trotz der Trauer, die Luise und ihre Töchter wegen des Besuche bei Therese hatten tragen müssen, war Sisi reizend in ihrem ganz einfachen, hohen, schwarzen Kleid, so daß ich Luise beredete, mit ihren Töchtern den Thee bei mir zu nehmen; und nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, richtete ich es so ein, daß die Suiten (Gefolgsleute), die mit uns zum Thee in meinem Salon gekommen, sich ins Speisezimmer zurückziehen konnten, während wir alle in mein Toilettezimmer gingen, um dort Luise und ihre zwei Töchter anzutreffen. Mein Carl (Ludwig, ihr Sohn), der ein sehr guter Beobachter ist, sagte mir, daß in dem Augenblick, als der Kaiser Sisi erblickte, ein Ausdruck so großer Befriedigung in seinem Gesicht erschien, daß man nicht mehr zweifeln konnte, auf wen seine Wahl fallen würde. Er strahlte, und Du weißt, wie sein Gesicht strahlt, wenn er sich freut. Die liebe Kleine ahnte nichts von dem tiefen Eindruck, den sie auf Franzi gemacht hatte. Bis zu dem Augenblick, da ihre Mutter ihr davon sprach, war sie nur von Scheu und Schüchternheit erfüllt, die ihr die vielen sie umringenden Menschen einflößten. Sie stand so unter diesem Eindruck, daß sie gar nichts gegessen hatte und sie sagte zu Kadi (einem Kammermädchen): ›Die Néné (ihre Schwester Helene, auch Lenza genannt) hat es gut, denn sie hat schon so viele Menschen gesehen, aber ich nicht. Mir ist so bang, daß ich gar nicht essen kann …‹ Beim Diner am 17. saß Louis (ältester Bruder Elisabeths) … zwischen Sisi und mir und bemerkte: ›Bis jetzt hat Sisi nur Suppe und grünen Salat gegessen, sie muß sich einen Fasttag ausgeschrieben haben …‹ Aber wie gut stand ihr diese Verlegenheit und diese Schüchternheit! Und sie war so hübsch und anmuthig dabei! … Charlotte (Kaiserin Caroline Auguste6, Schwester Erzherzogin Sophies und Herzogin Luises) kam am 17. abends an und erschien um ½ 9 Uhr auf dem Ball, wo Sisi in einem weißrosa Tarlatankleid entzückend aussah. In ihren schönen Haaren hatte sie einen großen Kamm stecken, der die Zöpfe rückwärts zurückhielt, sie trägt die Haare nach der Mode aus dem Gesicht gestrichen. Die Haltung der Kleinen ist so anmuthsvoll, so bescheiden, so untadelig, so graziös, ja beinahe demutsvoll, wenn sie mit dem Kaiser tanzt … Sie erschien mir so anziehend, so kindlich bescheiden und doch ihm gegenüber ganz unbefangen. Es waren nur die vielen Menschen, die sie einschüchterten. Weil sie noch nie in der großen Welt erschienen, so konnte sie auch nicht die Tragweite der Aufmerksamkeit ermessen … Néné hat übrigens auch sehr viel Erfolg, viele Herren sind ganz entzückt von ihr. Die ganze Erscheinung dieser beiden anmutigen und schön gewachsenen jungen Wesen macht überall den günstigsten Eindruck … Die Herren des Kaisers sind begeistert über seine Wahl und voll rührender Freude über sein Glück. Grünne (Generaladjutant Kaiser Franz Josephs) weint, so oft er davon spricht und so oft man ihm davon spricht. – Am 18. war leider schlechtes Wetter, aber es war vielleicht günstig, da sich der Kaiser um so mehr seiner jungen Liebe widmen konnte. Beim Familiendiner war der Kaiser so stolz, daß Sisi, die neben ihm sitzen durfte, mit sehr gutem Appetit gegessen hatte! … (Der nachmittägliche Ausflug fand wegen Schlechtwetters im Wagen statt). Er (der Kaiser) muß sie wohl sehr gern haben, daß er es so lange in der geschlossenen Calesche ausgehalten hat! Lenza (Helene) erzählte sehr viel und unterhaltend, das Mädchen hat einen großen Charme für mich, meine Augen verfolgten sie, und das ist immer der Fall, wenn ich für ein junges Wesen Sympathie habe. Aber Du kannst Dir wohl denken, daß meine Augen auch beschäftigt sind, Sisi zu betrachten, und sie ruhen mit Wonne auf diesem so glücklichen Paar, das sich so liebt und auf so reizende Art; es ist eine Augenweide, das Glück und die Harmonie zu sehen, die aus ihnen strahlt. Nach der Promenade kam der Kaiser zu mir, und ich bemerkte, daß er etwas auf dem Herzen habe und mit mir sprechen wollte. Ich frug ihn, ob er etwas zu sagen habe. Er antwortete: ›Ja sehr, ja sehr!‹ Scherzend schickte ich Bubi ins andere Zimmer und da sagte er, ich möge Luise bitten, Sisi auszuforschen, ob sie ihn haben wolle, ›aber‹, setzte er mit seiner gewohnten Bescheidenheit dazu, ›bitten Sie sie, daß sie keinerlei Druck auf ihre Tochter ausüben wolle.‹ Dann sagte er: ›Meine Lage ist ja schwer, daß es, weiß Gott, keine Freude ist, sie mit mir zu teilen!‹ Da sagte ich: ›Aber liebes Kind, wie kannst Du glauben, daß eine Frau nicht zu glücklich ist, durch Anmut und Heiterkeit Dir Deine Lage zu erleichtern?‹ … Als Luise zum Tee kam, machte ich sie allmählich mit dem Wunsche des Kaisers bekannt. Sie drückte mir bewegt die Hand, denn sie hatte in ihrer großen Bescheidenheit immer gezweifelt, daß der