Unsere liebe Sisi. Gabriele Praschl-Bichler
Читать онлайн книгу.Besonders gerne hat man sich über den Besuch von Schauspiel- oder Opernveranstaltungen geschrieben. Die Habsburger gingen besonders gerne ins Theater, mitunter lud man Schauspieler ins Haus, die Lesungen veranstalteten. Das war damals ein beliebter abendlicher Zeitvertreib. Nach Theaterbesuchen schickte man sich Inhaltsangaben heute meist unbekannter Stücke und Opern und beschrieb die darstellerischen Leistungen der einzelnen Schauspieler, Sänger und Tänzer. Ihre Namen sind häufig ebenso vergessen wie die Titel der Theaterstücke. Erzherzogin Sophie und ihre Söhne, die Erzherzoge Ferdinand Maximilian, Carl Ludwig und Ludwig Victor, liebten aber auch die Werke der bildenden Kunst. Angeregt tauschten sie sich über Besuche von Ausstellungen, über Käufe von Kunstwerken, Stoffen und Antiquitäten aus und berieten sich gegenseitig. Doch keine Angst vor langen oder langweiligen Berichten über das Einrichten von Wohnungen: Ich habe bei der Auswahl der Briefe stets der Forderung »Unterhaltung vor Langeweile« nachgegeben.
Einen großen und besonders interessanten Schwerpunkt der Korrespondenz bildet die Alltagsgeschichte. Aufgrund der zahlreich vorhandenen Briefe läßt sich der Tagesablauf und die Art, wie er gestaltet wurde, sehr gut nachvollziehen. Jedes Familienmitglied hatte ein bestimmtes Arbeitspensum zu verrichten, über dessen Erfolg man sich selbstverständlich auch berichtete. Das tägliche Programm war der Jahreszeit und den familiären oder öffentlichen Erfordernissen angepaßt. Zu den wichtigsten Pflichten gehörte es, Alten- und Krankenanstalten, in Kriegszeiten Soldatenspitäler zu besuchen, Messen, Ausstellungen oder andere Veranstaltungen zu eröffnen und bei der Einweihung von Gebäuden oder Denkmälern anwesend zu sein. Außerdem wurden alle Familienmitglieder von klein auf dazu angehalten, Wohltätigkeitsaufgaben zu übernehmen und kulturelle Vereine mit ihrer Mitgliedschaft oder Schirmherrschaft zu unterstützen.
Bleibt zuletzt die wichtigste Aufgabe der Damen des Hauses: alte und kranke Verwandte, Beamte und Hofbedienstete zu betreuen. Das bedeutete nicht nur, sie regelmäßig zu besuchen, sondern auch ihre Versorgung und Betreuung zu sichern. Diese Pflicht nahm sehr viel Zeit in Anspruch und wurde von allen sehr ernst genommen. Man vermittelte Ärzte, ließ Heilmittel beschaffen und unterstützte mittellose Kranke auch finanziell. Denn nur wenige Menschen konnten sich damals Pflegemittel oder Kuren leisten. So waren in Zeiten ohne Versicherungsschutz die sozial Oberen für die sozial Unteren verantwortlich. Es gereicht den Habsburgern zur Ehre, daß sie dieser Pflicht sehr eifrig nachgekommen sind. Beinahe alle Familienmitglieder haben den Großteil ihrer Apanagen für diese Zwecke verwendet.
Nun stellt sich die Frage, warum so viele Briefe geschrieben wurden, wenn doch alle in der Wiener Hofburg oder in Schloß Schönbrunn wohnten. Diese Annahme wäre ein Trugschluß, denn die Habsburger waren beruflich und privat sehr viel unterwegs. Die Brüder Kaiser Franz Josephs (sowie die meisten anderen männlichen Verwandten) wurden mit Erreichen des 19. Lebensjahres an verschiedenen Orten des weitläufigen Reichs stationiert. Dadurch entstand ein reger Briefverkehr mit der gemeinsamen Mutter, Erzherzogin Sophie. Der Zweitälteste, Erzherzog Ferdinand Maximilian, lebte als Marinebeauftragter, später als Generalgouverneur von Lombardo-Venetien in Triest und Mailand, zuletzt als Kaiser in Mexiko, der dritte Sohn, Erzherzog Carl Ludwig, war zunächst Verwalter in Galizien, später Statthalter von Tirol. Bleibt schließlich der letzte Sohn, der Nachzügler Erzherzog Ludwig Victor, den ein Leben fernab von Wien nicht sehr ansprach, weshalb er als Vertreter Kaiser Franz Josephs nicht weiter als bis Salzburg zog. Daß er überhaupt bereit war, sich »so weit« von seinen Eltern zu entfernen, hing damit zusammen, daß in Salzburg seine geliebte »Großmutter-Tante«1, die verwitwete Kaiserin Caroline Auguste, lebte, mit der er sich täglich traf. Kurz nach seinem Amtsantritt in Salzburg ließ Ludwig Victor aber auch in Wien ein eigenes Palais errichten und pendelte fortan zwischen den beiden Städten.
Für das Erstellen und Versenden der Briefe gab es einen fixen Plan. Generell war für jeden Familienangehörigen ein bestimmter Tag der Woche vorgemerkt2, an dem man ihm schrieb. Besser gesagt: an dem man ihm die Post schickte. Denn man schrieb meist täglich an den Briefberichten weiter, weshalb die meisten Schreiben Tagebuch-Charakter haben. Vorrangig wurden Eltern, Geschwister und Kinder beschickt. Erzherzogin Sophie hatte das größte Pensum zu erledigen, denn sie hielt nicht nur ständig zu ihren vier Söhnen Kontakt, sondern schrieb auch ihrer Mutter und ihren zahlreichen Geschwistern, die in Bayern, Sachsen und Preußen lebten, sowie einer stattlichen Anzahl von Vettern, Cousinen und dem Hofpersonal. Sie hielt aber auch mit verreisten Hofdamen, Erziehern, Lehrern und Gouvernanten der Kinder Kontakt und tauschte sich mit ihnen über ihre familiären Ereignisse aus. Als Erzherzogin Sophie im Jahr 1872 starb, kam es nicht nur in der Familienkorrespondenz, sondern auch im Familienleben zu einem radikalen Bruch. Vor allem Kaiserin Elisabeth und ihre Kinder sollten in der Schwiegermutter und Großmutter ihren nächsten Ansprechpartner verlieren. Über das besonders gute Verhältnis zwischen den beiden Frauen wird im vorliegenden Band erstmals lückenlos – also über die gesamte Zeit ihres gemeinsamen Zusammenlebens – berichtet. Besonders nett dabei ist, daß die Liebe Erzherzogin Sophies zu ihrer Nichte und späteren Schwiegertochter bereits im Jahr 1848 begann (damals war Elisabeth erst elf Jahre alt; s. den Brief auf S. 72) und bis zu ihrem Tod währen sollte.
Falls sich jemand fragen sollte, warum bis jetzt noch niemand diesen Aspekt untersucht hat und das positive Verhältnis der zwei wichtigsten Personen um Kaiser Franz Joseph noch nie behandelt wurde, dann hängt das nur damit zusammen, daß man die meisten privaten Dokumente – einschließlich des hierin veröffentlichten Materials – nicht kannte. Mit der Publikation der bislang unerforschten Habsburger Briefe werden die Biographien Kaiserin Elisabeths und Erzherzogin Sophies neu geschrieben werden müssen.
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1 Der 1835 verstorbene Kaiser Franz II./I. war in vierter Ehe mit einer Schwester Erzherzogin Sophies verheiratet. Da das Paar kinderlos blieb, kam es auch zu keinen Stammbaum-Katastrophen. Hätte das Paar Söhne und Töchter gehabt, wären sie gleichzeitig Onkel/Tanten sowie Cousins/Cousinen Kaiser Franz Josephs und seiner Geschwister gewesen.
2 Vgl. dazu: »Hier sende ich (Erzherzogin Sophie) Dir, mein lieber Carl, im Auftrag von T: Marie ein Briefchen, das rasch ihrem gewöhnl. Mondtagsbrief folgte …« (aus einem Brief an ihren Sohn Carl Ludwig, Ischl, 22.8.1863)
Kurze Lebensgeschichte Erzherzogin Sophies und Kaiserin Elisabeths
Zu den bemerkenswertesten Erkenntnissen im Zusammenhang mit den Biographien der beiden Damen mag die Feststellung gehören, daß Erzherzogin Sophie und Kaiserin Elisabeth, die Mutter und die spätere Ehefrau Kaiser Franz Josephs, nicht nur derselben Familie (dem Geschlecht der Wittelsbacher, das damals als Könige von Bayern regierte) entstammten und als direkte Tante und Nichte nahe miteinander verwandt waren, sondern daß auch ihr weiteres Leben in sehr ähnlichen Bahnen verlief. Die auffälligste Parallelität ist, daß für beide Prinzessinnen eines Tages ein männliches Mitglied der österreichischen Kaiserfamilie in glühender Liebe entflammte und daß die zwei Männer sogar noch näher miteinander verwandt waren als die beiden Damen: Erzherzog Franz Carl und Kaiser Franz Joseph, ihre späteren Ehemänner, waren nämlich Vater und Sohn.
Sophie und Elisabeth waren im tiefen Winter in München geboren worden und erlebten beide die große Freude, gemeinsam mit zahlreichen Geschwistern in sehr kinderlieben Familien großgezogen worden zu sein. Beide hatten ein besonders inniges Verhältnis zur ihrer Mutter und zu ihren Geschwistern und hielten diese Kontakte ein Leben lang. Sie schrieben sich regelmäßig (wenn Kaiserin Elisabeth im Unterschied zu ihrer Schwiegermutter auch wesentlich schreibfauler war, sie tauschte sich eigentlich nur mit ihrer Mutter aus), sie besuchten sich häufig, beide Frauen trafen sich, so oft es ging, mit ihren Geschwistern oder unternahmen gemeinsam mit ihnen Reisen. Alle Schwestern – sowohl Erzherzogin Sophies als auch Kaiserin Elisabeths – waren mit Regenten oder Brüdern von Monarchen verheiratet, was dazu führte (das ist eine weitere Parallele), daß einige von ihnen in den politisch unsicheren Tagen des