Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.Gaben, wo er sich entweder in diesem Kreise schon bewegt, wie in den Schwänken, oder wo er das Anmutige, Heitere, Unschuldig-Sinnliche berührt. Die grüne Tiefe der Wälder, die Maienluft der Wiesen, Schönheit und Schmuck der Jungfrauen weiß er mit unnachahmlicher Anmut und Zartheit zu schildern. Überhaupt muß man ihm Zeit lassen und ihm nachgehen. Seine Anfänge pflegen prosaisch und uneben zu sein; weiterhin wird die Sprache fließender und die Gedanken treten mit voller Deutlichkeit hervor; mit treuherziger Einfalt spendet er besonders die Lehre aus. Es ist ihm nicht genug, in seinem Garten die schönsten und würzigsten Blumen gepflanzt zu haben; er will auch kräftige Wasser, heilsame Säfte daraus abziehen zur Stärkung der geistig Schwachen. Religiöse Überzeugung und moralische Absicht sind aber in ihm eins und dasselbe. Mögen die Theologen über einzelne Punkte noch hadern, ihn berühren diese Streitigkeiten nicht. Er hat eine sichere Weltanschauung gewonnen, die alles umfaßt, der sich alles, was in sein Bereich kommt, von selbst unterwirft. Er hat Gefühl für den Reiz der irdischen Dinge, und oft beschäftigt ihn die Vergänglichkeit derselben; man sieht wohl, daß dieser Gegensatz inneren Eindruck auf ihn hervorbringt, aber er hat dafür einen ewigen Trost ergriffen, an dem ihn nichts irre machen kann.
Diese Bildung, die doch auch von ihrem Standpunkt aus die Welt umfaßt, und diese Gesinnung flößen uns Hochachtung ein gegen den damaligen Stand der deutschen Handwerker, aus dem sie hervorging. An vielen Orten, wo von jeher die Poesie geblüht, fand man noch Meistersänger. Um Hans Sachs hatten sich deren, wie man sagt, über zweihundert in Nürnberg gesammelt, und noch oft hielten sie ihre Singschule zu St. Katharina. Sie wiederholten gern die Sage ihrer Altvordern, wie ihre Gesellschaft einst bei ihrem Ursprung von allem Verdacht der Ketzerei freigesprochen und von Kaiser und Papst bestätigt worden sei; wenn dann aber das Hauptsingen begann, welches immer schriftmäßig sein mußte, hatte der Vorderste, der Merker, die lutherische Bibel vor sich und gab Acht, ob das Lied wie mit dem Inhalt des Textes so auch mit den reinen Worten, deren sich Doktor Luther bedient hat, übereinstimmte.
Von den künstlerischen und poetischen Hervorbringungen dieser Zeit haben wohl diejenigen überhaupt den meisten Weit, welche die religiöse Gesinnung aussprechen. Das Kirchenlied, dessen Ursprung wir berührten, bildete sich von Jahr zu Jahr mannigfaltiger und eigentümlicher aus; es vereinigt die Einfalt der Wahrheit mit dem Schwung und der Tiefe des auffassenden Gemütes; es ist zugleich von dem Gefühl des Kampfes, dessen verschiedene Epochen sich darin ausgedrückt haben, und der Gewißheit des Sieges durchdrungen; es ist oft wie ein Kriegsgesang gegen den noch immer drohenden Feind. Und mit dem Liede ist zugleich die Melodie hervorgegangen, häufig ohne daß man sagen könnte, wie das geschehen ist. Nur geringe Anfänge enthalten die ersten Liederbücher von 1524; im Jahre 1545 erscheinen schon 98 Melodien, im Jahre 1573, denn mit der Zeit wuchs auch die Gabe, 165. Biblische Texte hatten eine besondere Kraft, die Musiker anzuregen; zu dem Magnifikat finden sich vier verschiedene Weisen, alle gleich trefflich. Und hieran knüpfte sich die kunstgerechte Ausbildung des Chorals. Das Unechte und Überladene, das sich der früheren Musik beigesellt hatte, ward ausgestoßen; man bemühte sich, nur die Grundtonart streng und harmonisch zu entfalten; die evangelische Gesinnung gewann im Reich der Töne Ausdruck und Darstellung.
Gewiß schloß man sich auch hier an das Vorhandene an. Es hat Kirchenlieder vor Luther gegeben; die neue Musik gründete sich auf die alten Gesänge der lateinischen Kirche, aber alles atmete doch einen neuen Geist. So beruhte seinerseits auch der gregorianische Gesang auf den Grundsätzen der antiken Kunstübung. Eben darin liegt die Eigentümlichkeit der ganzen Bewegung, daß sie das Konventionelle, Abgestorbene oder doch nicht zu weiterem Leben zu Entwickelnde von sich stieß und dagegen die lebensfähigen Momente der überlieferten Kultur unter dem Anhauch eines frischen Geistes, der nach wirklicher Erkenntnis strebte, zu weiterer Entfaltung brachte. Dadurch ward sie selbst ein wesentliches Glied des universalhistorischen Fortschritts, der die Jahrhunderte und Nationen verbindet.
Es bedurfte noch geraumer Zeit, ehe die erwachten Ideen sich durcharbeiten, bewähren konnten; auf Kopernikus mußte erst Kepler folgen. Die Einwirkungen der mitstrebendenden Nationen der europäischen Gemeinschaft mußten erst, wo sie fördernd waren, aufgenommen, wo aber das Gegenteil, was doch auch geschah, überwunden werden. Die Wissenschaften waren noch zu streng an den Gebrauch der lateinischen Sprache gebunden, als daß der Geist der Nationen neuerer Zeit sich mit voller Freiheit darin hätte bewegen können. Die Tiefe und Ursprünglichkeit der eigentümlich germanischen Anschauungen war gleichsam zu stark zurückgedrängt. Es ist eine Zeit gekommen, wo der deutsche Geist das Altertum noch lebendiger begriffen hat, dem Geheimnis der Natur noch einen Schritt näher getreten und zugleich zu eigner und doch allgemein gültiger Darstellung gelangt ist. Dazu gehörte aber freilich, denn auch der wissenschaftliche Fortschritt beruht auf dem langsam reifenden allgemeinen Leben, eine Entwicklung der politischen Verhältnisse, die es möglich machte. Und für diese standen, trotz alledem was bereits erreicht war, noch die schwersten Kämpfe bevor. So viel hatte Karl V. doch bewirkt, daß sich der protestantische Geist nicht der ganzen deutschen Nation und ihrer großen Institute bemächtigen konnte.
12. Deutschland nach dem Augsburger Religionsfrieden
Zur deutschen Geschichte, Werke Bd. 7, S. 25-47.
Ich finde nicht anders, als daß die gereinigte Lehre um die Jahre 1560, 1570 eine entschiedene Übermacht in Deutschland erlangt hatte. Man weiß, wie sie Obersachsen und Niedersachsen sozusagen vollkommen beherrschte, in Franken an den Bistümern einen wahrhaft schwachen Widerstand fand und sich ihnen zum Trotz in ihrem Gebiete festsetzte, wie sie von Adel und Städten in Schwaben von Anfang an willkommen geheißen und angenommen ward. Allein auch in Bayern und Österreich, am Rhein und in Westfalen hatte sie die größten Fortschritte gemacht. In Bayern mußte ihr Herzog Albrecht V. bedeutende Verwilligungen zugestehen: es ist merkwürdig, daß er selber, der späterhin so gut katholisch war, im Jahre 1561 den Predigten des evangelischen Pfarrers Pfauser zu Neuburg freiwillig mit seinem ganzen Hofe beigewohnt hat. Noch um 1570 war, wie der Herzog selbst dem Papst meldete, ein großer Teil des Adels der neuen Meinung so willig zugetan, daß er lieber ohne Sakrament und Gottesdienst leben als zum alten Ritus zurückkehren wollte. In Salzburg forderten 1563 vier Gerichte116 auf einmal die Erlaubnis des Kelches; der Erzbischof erklärte dem Konzil, keine menschliche Macht würde sie vermögen davon abzustehen. Wie lange erhielten sich hier lutherische Gemeinden im Verborgenen! In Österreich hatte man das Luthertum mit besonderem Eifer ergriffen. Der Adel besuchte die protestantischen Universitäten; in Wittenberg finden wir in kurzer Zeit drei junge Leute aus dem österreichischen Herrenstande nach damaliger Sitte zu dem Rektorat erwählt. Die ersten Jesuitenschulen wurden wieder aufgehoben, weil kein Einheimischer dahin zu bringen war, ihren Unterricht zu benutzen. Von dem Adel eingeführt, von der Regierung geduldet, wenn nicht begünstigt, erfüllten lutherische Prediger beide Österreich und die steiermärkischen Landschaften.
Schwendi117 versichert um 1570, der Adel im Reiche sei fast durchgehend sowohl unter katholischer als unter lutherischer Obrigkeit, der geänderten Religion zugetan, wenn ja irgendwo nicht öffentlich, doch gewiß insgeheim. Die Domherren, fügt er hinzu, seien entweder des nämlichen Glaubens oder kalt und gleichgültig; man erhalte kein Kloster länger, man stifte keine Messe mehr. Jener Bericht des Herzogs von Bayern kann den Zustand der Geistlichkeit nicht verfallen genug schildern. Wer hätte da das Volk etwa wider seinen Willen bei dem alten Glauben zurückzuhalten vermocht! Der gemeine Mann wollte von diesen Zeremonien nichts mehr wissen; er verließ die Kirche, sobald die Predigt aus war; konnte er diese nicht nach seiner Neigung haben, so las er zu Hause evangelische Predigten oder hörte deren von seinesgleichen an. Eben darum fand man keine Leute mehr für die Klöster. Lehren wie vom Fegefeuer konnte man nicht mehr durchbringen, Funktionen wie die Wallfahrten nicht länger in Übung erhalten. Und selbst unter den Gewalthabern, die noch katholisch geblieben, war die Ehrfurcht vor Rom vollkommen verfallen. Wie oft spottete selbst König Ferdinand über die Kurie und ihre vergeblichen Reformen!
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