Über das Aussterben der Naturvölker. Georg Karl Cornelius Gerland

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Über das Aussterben der Naturvölker - Georg Karl Cornelius Gerland


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zuletzt auf immer verschwindet. Wie sehr das menschliche Gefühl sich gegen eine solche Annahme sträubt, so glauben wir doch in den Amerikanern einen von der Natur selbst dem Untergang geweihten Zweig unseres Geschlechtes zu sehen. In den leer gewordenen Raum tritt eine geistig vorzüglichere, beweglichere, aus dem Osten stammende grosse Familie. Wie diese ihrer Bestimmung zur allgemeinsten Verbreitung gehorsam sich ausdehnt und die entlegensten Wildnisse sich unterwirft, so legt die Urbevölkerung sich zum Todesschlafe nieder und verschwindet selbst aus dem Gedächtnisse des neuen Volkes. In weniger als einem Jahrhundert wird vielleicht die Forschung über die ersten Bewohner eines ganzen Welttheils dem Gebiete der Archäologie überwiesen werden müssen, und dann erst wird das Tragische und Räthselhafte ihres Schicksals begriffen (?) und tief empfunden werden.«

      So schrieb 1840 ein deutscher Gelehrter, der lange Reisen in Amerika gemacht hatte. Auch Carus Phantastereien von Tag-, Nacht- und Dämmerungsvölkern (17 ff.) gehören hierher; seine westlichen Dämmerungsvölker, »sie, die wirklich dem Untergange zugewendet sind und ihrem Verlöschen mehr und mehr entgegengehen«, sind die Amerikaner; seine Nachtvölker, welche sich »über Afrika ausdehnen und hinab gegen Süden über Australien (!), Van Diemensland und einen Theil von Neuseeland (als Papus!!) erstrecken«, stehen noch tiefer in ihrer geistigen Entwickelung und Fähigkeit. Ganz ähnlicher Ansicht über die Neuholländer, wie Pöppig über die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein, nur dass er sich verhüllter ausdrückt; doch nennt er sie einen »dem Untergang geweihten« Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215 von ihrer »gänzlichen Unbildsamkeit«. Viel direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen Lebensfähigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Raçen in Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen machte, den Untergang, welchem diese Raçen nun doch einmal geweiht seien, damit auf ihren Trümmern sich das bessere Leben höherstehender Raçen entwickeln könne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen.

      Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas Räthselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvölkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. »Begreiflicher Weise, fährt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes, das früher kräftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklärt, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen ursprünglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes für eine so seltene und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr hier wie überall nach dem natürlichen Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem Geständnisse genöthigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht gelingen will, denselben vollständig aufzuklären.«

      Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Geständniss genöthigt werden.

      Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, für welches er viele natürliche Gründe anführt, auch »noch irgend eine mehr räthselhafte Wirksamkeit« thätig. »Die Menschenraçen, sagt er, scheinen auf dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die stärkere die schwächere vertilgt.« Er macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Berührung der Naturvölker und der Weissen, oft auch von Stämmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei völliger Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Völkerschaft, »von denen alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Raçen oder die der Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat« (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings häufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao der Anfang grosser Epidemien des gelben Fiebers »am häufigsten durch die Ankunft einiger Schiffe aus Chile bezeichnet werde«, obwohl doch Chile selbst eines der gesündesten Länder der Welt sei und das gelbe Fieber gar nicht kenne; aber die schädlichen Folgen der ausserordentlich erhitzten und durch ein Gemisch von faulen Dünsten verdorbenen Luft, an welche die Organe der Eingeborenen gewöhnt seien, wirkten mächtig auf Individuen aus einer kälteren Region. Aehnlich verhält es sich mit dem Ausbrechen des gelben Fiebers in Mittel- und Nordamerika, das eingeschleppt zu haben so häufig die eine der genannten Gegenden Besuchern aus der anderen vorwirft (Humboldt a.a.O. 384). Die »grausame Epidemie« von 1794, wo Verakruz ungewöhnlich heftig vom gelben Fieber heimgesucht war, fing an mit der Ankunft dreier Kriegsschiffe (eb. 423). Ebenso schreiben die Einwohner Egyptens das Ausbrechen der Pest der Ankunft griechischer Schiffe zu und umgekehrt die Bewohner Griechenlands und Konstantinopels egyptischen (eb. 384), wobei keineswegs immer an eine Einschleppung zu denken ist. Auf Rapa (Australinseln) traten tödtliche Krankheiten nach dem Besuch von englischen Schiffen auf, welche die Hälfte der Eingeborenen dahinrafften (Mörenh. 1, 139); auf Tubuai (Australinseln) ward die Bevölkerung durch Krankheiten, welche mit der Mission 1822 auftraten, auf die Zahl von 150 heruntergebracht (eb. 2, 343). Raivavai, welches 1822 noch 1200 Einwohner hatte, besass 1830 etwa noch 120 durch gleiches Schicksal (eb. 1, 143). Williams (283-84) spricht es als seine eigene Erfahrung aus, dass die meisten der Seuchen, die er in der Südsee erlebte, durch Schiffe, deren Mannschaft ganz gesund sei und nur auf ganz erlaubtem, gewöhnlichem Wege mit den Eingeborenen verkehrte, veranlasst wurden. Das erste Zusammentreffen zwischen Europäern und Eingeborenen, sagt er, ist fast immer mit dem Fieber, mit Dysenterie u. dergl. bezeichnet; so starb auf Rapa die Hälfte der Eingeborenen aus; so entstand die furchtbare Seuche auf Rarotonga (Herveyinseln), die er 282 schildert. Ganz dasselbe sagt Virgin 1, 268; »Auch nur kurze Besuche von Fahrzeugen haben auf den Inselgruppen der Südsee Krankheiten von mehr oder minder verderblicher Natur verursacht, die sich sogar erst längere Zeit nachher gezeigt haben. Es hat sich dies auch sogar zugetragen, ungeachtet die Besatzung der Schiffe vollkommen gesund war und die Krankheiten sind nicht stets solche gewesen, welche möglicherweise durch eigentliche Ansteckung mitgetheilt werden konnten oder welche in Europa zu denen gehören, deren Beschaffenheit in der Regel mehr oder weniger tödtlich ist.« Von Tahiti erzählt Bratring 145, dass 1775 bei der Anwesenheit der Spanier unter Boenechea ein ansteckendes Katarrhalfieber ausbrach. Nach Cooks Besuch litt die Insel unter Dysenterie (Mörenh. 2, 425) und die Tahitier selbst schrieben schon um 1800 alle Krankheiten den Berührungen mit fremden Schiffen zu (Turnbull 266). Beechey 1, 94-95 berichtet Aehnliches von den Inseln Pitkairn. Bei regnichtem Wetter und bei gelegentlichen Besuchen von Schiffen, sagt er, leiden die Eingeborenen (eine Mischbevölkerung von Tahitiern und Engländern) stärker an Blutandrang (plethora) und Schwären als sonst; sie glauben ganz fest, dass diese Krankheiten durch den Verkehr mit ihren Gästen, mögen diese selbst auch ganz gesund sein, herrühren. Das eine Schiff sollte ihnen Kopfschmerzen, ein anderes Scharbock, das dritte Geschwüre u.s.w. gebracht haben, wie sie denn auch von Beecheys Schiff, dessen Mannschaft ganz gesund war, ähnliches erwarteten: ja sie fühlten schon Kopfweh und Schwindel. Beechey erklärt diese Zufälle durch die Veränderung ihrer Lebensweise während solcher Besuche, da sie gegen ihre sonstige Gewohnheit dann viel Fleisch essen und reichlichere Kleidung tragen. Von Melanesien (Tanna) erzählt Turner 91 nach den Aussagen der Eingeborenen, welche alle Krankheiten, wie Fieber, Dysenterie, Husten u. dergl. »fremde Dinge« nennen, ganz Gleiches. Auch in Celebes (Waitz 1, 163) herrschte diese Meinung und ebenso auch bei den alten Marianern, welche nach jedem fremden (europäischen) Schiff von einer Seuche heimgesucht zu werden behaupteten; so brachte 1688 ein Schiff von Mexiko, welches mit Verbrechern beladen an der Insel scheiterte, Rheuma, Fieber, Blutungen (le Gobien 376), und die Eingeborenen sahen alle Krankheiten als durch die Spanier eingeschleppt an (ebd. 140). Die Einwohner von St. Kilda (westl. v. d. Hebriden bei Schottl.) sind der festen Ansicht, für die sie eine lange Erfahrung haben, dass der Besuch eines Fremden ihnen Schnupfen bringe (Macculloch bei Darwin 2, 214).

      Nach dem medizinischen Theil der Novara Reise (1, 225) glauben die Eingeborenen der Nikobaren, dass die Kokosnüsse von den Bäumen fielen, sobald ein Missionär die Insel beträte. So mag denn auch diese weitverbreitete Ansicht der Grund sein, weshalb in Ponapi, sobald ein Schiff in Sicht kommt, das Volk flieht und der Priester aufs Feierlichste die Götter um Hülfe anruft (Gulick 175), wenn wir es hier nicht mit etwas Religiösem zu thun haben. Jedenfalls ist wohl zu beachten, dass die Naturvölker vor der Bekanntschaft mit den Europäern fast nichts von Krankheit wussten; weder die Marianer (le Gobien


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