Über das Aussterben der Naturvölker. Georg Karl Cornelius Gerland

Читать онлайн книгу.

Über das Aussterben der Naturvölker - Georg Karl Cornelius Gerland


Скачать книгу
im Allgemeinen trefflich war, von schweren Seuchen, die sie schon vor Cook heimgesucht hätten, erzählten (Dieffenbach 2, 12-14), noch die Neu-Holländer, Hottentotten und Amerikaner (Waitz 1, 140-41).

      Für die Indianerstämme steigert sich die Wirkung solcher Epidemien noch durch Folgendes, was v. Tschudi, einer der ausgezeichnetsten Kenner der amerikanischen Völker, 2, 216 sagt: »Es ist eine höchst eigenthümliche Erscheinung, dass Indianerstämme, die durch Krieg oder Epidemien plötzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewöhnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den nämlichen physischen Bedingungen lebenden Völkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhältniss noch nirgends erörtert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und südamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln.« Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u.s.w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurück.

      Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Berührung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Raçe stammender Menschen entstehen, zu erklären versucht. Darwin, der in Shropshire gehört, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingeführt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen — und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren — die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Raçen wären (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestätigt wird.

      Will man sich aber mit Waitz dabei begnügen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Raçen, selbst bei völliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Raçe ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Raçe leicht etwas Missverständliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklärt. Dazu kommt, dass z.B. der Bericht Humboldts über das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Raçen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Völker betrachtet, so findet man eine ähnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wüthet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwährend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u.s.w., die dann oft nach und nach verlöschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschädlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschädlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Körper um so empfänglicher für ein Miasma oder einen Krankheitsstoff ist, je ferner und freier von demselben er früher war. Ist er aber, wie bei der Pockenimpfung geschieht, durch ein Minimum des Giftes affizirt und dadurch anders disponirt worden, so dass er sich nun allmählich an jenen feindlichen Stoff gewöhnt, ihn der eignen Natur und die eigene Natur ihm einigermassen assimilirt hat: so hat er dadurch Fähigkeit zum Widerstand gegen die Krankheit gewonnen, da sie ja nun seiner Natur nicht mehr absolut feindlich ist; daher denn solche Seuchen nach und nach erlöschen, denn die Ueberlebenden werden nach und nach durch das Einathmen der miasmatischen Luft körperlich selbst immer fester. Keineswegs hilft aber eine solche Gewöhnung für alle Zeit, wie ja auch die Pocken nach bestimmten Zeiträumen von neuem eingeimpft werden müssen. Merkwürdig, aber für uns wichtig genug ist, was Humboldt a 1, 92 über diese Krankheit in Mexiko sagt: »die Pocken scheinen ihre Verwüstungen nur alle 17 Jahre anzurichten. In den Aequinoktial-Gegenden« — ob das aber nicht in allen Gegenden oder wenigstens bei allen menschlichen Individuen auf gleiche Weise gilt? — »haben sie, wie das schwarze Erbrechen und mehrere andere Krankheiten, ihre festen Perioden, an denen sie sich regelmässig wieder einfinden: und man möchte glauben, dass sich in diesen Ländern die Anlage der Eingeborenen für gewisse Miasmen nur in sehr weit von einander entfernten Perioden erneuert; indem die Pocken, deren Samen sehr oft von europäischen Schiffen gebracht wird, nur in sehr ansehnlichen Zwischenräumen epidemisch, aber auch dem Erwachsenen nur desto gefährlicher werden.« Alles dies scheint sehr für unsere obige Annahme zu sprechen. Der Europäer, der Civilisirte kommt nun fortwährend mit unendlich mehr Krankheitsstoffen und Miasmen, in den meisten Fällen ohne es selbst zu merken, in Berührung, als der im Naturzustande und der freien Natur lebende Mensch. Und nicht nur durch eigene Gewöhnung von Kindheit an, sondern auch durch Vererbung der Accommodation von Eltern und Grosseltern her hat er eine viel grössere Widerstandsfähigkeit gegen solche schädliche Einflüsse, als sie jemals früher Isolirte und namentlich, wenn sie vielleicht schon erwachsen zuerst mit diesen Einflüssen in Berührung kommen, sich erwerben können. Hiergegen spricht nicht, wenn einzelne Individuen der Naturvölker gesund etwa in Europa längere Zeit gelebt haben. Denn in den meisten Fällen ist da eine Gewöhnung von Jugend auf eingetreten und jedenfalls sind alle solche Fälle wissenschaftlich nur dann zu verwerthen, wenn man die Geschichte des Besuchers, seine Natur, die Natur seines Volkes u.s.w. bis ins Einzelne verfolgen kann. Uebrigens gibt es auch Beispiele genug, dass solche Besuche unglücklich abliefen: Liholiho, der Sohn Tamehameha I. und seine Gemahlin starben bei ihrem Aufenthalt in England, wo alle Sorgfalt ihnen zu Theil wurde, an den Masern bei raschem Verlauf der Krankheit; und der Prinz Libu, welchen Wilson gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von den Palau-Inseln mit nach England genommen hatte und dort sehr sorgfältig pflegte, an einer ähnlichen Krankheit, kurz nach seiner Ankunft (Keate die Pelewinseln, Schluss). Jetzt beweisen solche Besuche um so weniger, als jetzt die meisten Völker Bekanntschaft mit der weissen Raçe haben.

      Nach alledem würde es kein Wunder, nichts Rätselhaftes sein, wenn die Naturvölker gegen solche Miasmen, die auch von ganz Gesunden ganz unbemerkt eingeschleppt werden können, um so empfänglicher und empfindlicher sind, je weniger sie Schutz durch irgend welche Gewöhnung haben; daher denn solche Krankheiten, welche scheinbar unerklärlich entstehen, mit einer Heftigkeit wüthen, wie, vor Zeiten die Pest. So erzählt Williams (280 ff.), dass bei jener Seuche auf Rarotonga von mehreren tausend Einwohnern kaum ein einziger ganz davon befreit blieb. — Die Krankheiten, welche am meisten so ganz spontan dem Schein nach entstehen, sind Dysenterie, Influenza, Fieber, Blutungen, Geschwüre, Husten und Hautkrankheiten. (Einige Belegstellen: Turner 91; Dieffenbach 2, 12-14; le Gobien 376; Beechey 1, 94-95.)

      Dass auch Geschwüre genannt werden, könnte auffallen. Die ausbrechenden Krankheiten richten sich jedenfalls theils nach den Miasmen, durch welche sie hervorgerufen sind, theils und wohl ganz besonders nach der Natur des Inficirten. Wie ja bei herrschenden Epidemien oder in der Nähe gefüllter Krankenhäuser jede Krankheit, jede oft unbedeutendste Verwundung durch den giftigen Einfluss der Miasmen schlimmer werden, ja bis zum Tode führen kann, auch ohne in die herrschende Krankheitsform überzugehen: ebenso natürlich ist es, dass sich solche eingeführten Miasmen gerade auf den Theil des inficirten Organismus werfen, welcher schon zuvor, in den meisten Fällen gewiss gleichfalls unbewusst, der schwächste oder gerade bei der Einführung des Miasma irgendwie erregt oder afficirt war. Auch erklärt es sich hieraus, wie bei gleichen Miasmen — vorausgesetzt, dass sie gleich sind; denn eine Schiffsmannschaft kann leicht verschiedene zugleich bringen — verschiedene Individuen, wie sich das gar nicht selten zeigt (z.B. bei Turner in Melanesien, bei le Gobien auf den Marianen, bei Beechey auf Pitkairn) verschiedene Krankheiten bekommen können.

      So erklärt sich das räthselhafte Faktum (welches als Faktum durch die sichersten und verschiedenartigsten Zeugnisse feststeht), dass eine gesunde Schiffsmannschaft gesunden Menschen Krankheiten bringen kann[B]. Dabei dürfen wir nicht unerwähnt lassen, was Humboldt an sich und seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: »Es kommt häufig vor, sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann äussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben.« Denn aus diesem Satze erklären sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der Naturvölker — so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der blossen Berührung mit den Kulturvölkern, ohne direkte Einschleppung entstehen — Erscheinungen, welche sonst auffallen müssten. So, dass


Скачать книгу