Über das Aussterben der Naturvölker. Georg Karl Cornelius Gerland

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Über das Aussterben der Naturvölker - Georg Karl Cornelius Gerland


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der Pitkairner noch während Beecheys Besuch beruhten sicher, nach ächt polynesischer Art, auf anticipirender und übertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem Zusammenstoss zweier Raçen sich zeigen, welcher freilich meist auch von kürzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen einer Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhärte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der verheerendste.

      Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache für das Aussterben der Naturvölker: ihre leichte Empfänglichkeit für Miasmen, welche die Kulturvölker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die geringe Widerstandsfähigkeit ihres Organismus gegen solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten.

       Inhaltsverzeichnis

      Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, für den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehören aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvölker betroffen haben; und kann man sich denken, wie verheerend sie auf die empfänglichen Naturen jener Völker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So ward ein böser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefährlich; und andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist zwar überall bekannt genug, wo die Europäer hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefährlicher aber ist sie vor allen für die Polynesier geworden, denn hier begünstigte ihre Mittheilung und Verbreitung die ausserordentliche Lüderlichkeit dieser Völker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lüste vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom äussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt häufig eingeschleppt von Europäern (Mörenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den Küsten, wo die Eingeborenen mit den Europäern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst erzählt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein Fall, welcher auf französischer Ansteckung beruhte, so rasch tödtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von Gonorrhöe mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwähnt, doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den Ratakinseln — denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte — ist die Syphilis und andere Seuchen durch europäische Seeleute eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn überhaupt Mikronesien auch sonst sehr durch solche bösen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245).

      Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewüthet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr berührt ist (Mörenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fünftel der Insel venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel für die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob von Wallis (Anfang 1767) oder Von Bougainville (1767, 15. Apr.), genug, Cook fand sie vor. Meinicke zwar (b, 118) versucht zu beweisen, dass dies Uebel in der Südsee schon heimisch war, vor der Berührung mit den Europäern: allein sein Beweis ist ihm nicht gelungen und seiner Hypothese stehen die gewichtigsten Autoritäten entgegen, so Cook selbst für Tahiti (dritte Reise 2, 331) und für Hawaii (King ebendas. 4, 379), Turnbull (291) für Tahiti und so noch andere. Auch thut Meinicke nicht recht, das Zeugniss der Eingeborenen für so ganz nichtig zu halten; um so weniger, als die Tahitier nach Cook sehr bestimmt Bougainvilles Schiff als das bezeichneten, welches die verhängnissvolle Gabe brachte, sich also keineswegs in allgemeinen Behauptungen hielten. Auch was Cook a.a.O. 390-91 über die Schwierigkeit, Ansteckung zu verhüten, die Gesundheit der eigenen Mannschaft zu ermitteln und die Leichtigkeit, mit der sich die Krankheit ausbreitet, und gewiss sehr richtig auseinandersetzt, spricht gegen Meinicke. Allerdings stützt dieser sich für die Sandwichgruppe auf den Umstand, dass, obwohl Cook zuerst nur auf Atuai und Onihiau landete, er gleichwohl schon neun Monate später die Seuche auf Maui verbreitet fand — was auch La Perouse mit mehreren anderen Gründen medizinischer Art, die aber nicht ganz stichhaltig erscheinen (1, 246, 276), als Grund gegen die Einschleppung durch Cook anführt. Er schreibt die erste Verbreitung dieser Seuche den Spaniern zu, welche im 16. Jahrhundert öfters die Hawaiigruppe besucht haben. Wenn man nun auch auf die rasche Verbreitung der Krankheit, wie sie bei der Lüderlichkeit und dem fortwährenden Verkehr der Eingeborenen nur zu möglich war, hinweisen könnte, so ist uns das für unsere Zwecke gleichgültig; genug die Seuche ist jetzt überall verbreitet in Polynesien und Meinicke gibt ja selbst zu, dass die Eingeborenen wenigstens die schwereren Formen des Unheils den Europäern verdanken. Jedenfalls sind die Verheerungen, welche gerade diese Krankheit in Polynesien angerichtet hat, auch wenn es Meinicke nicht ganz zugeben will, entsetzlich genug, wie ältere und neuere Schriftsteller einstimmig bezeugen. (Vergl. über Hawaii noch Virgin 1, 265; Rollin bei La Perouse 2, 271; über Tahiti Turnbull 291; Cook dritte Reise 2, 331). Doch scheint es, als ob in Tahiti sich jetzt (1852) der Gesundheitszustand wieder gehoben habe (Virgin 2, 41). Auch werden von früher (Cook a.a.O. 2, 331) schon Beispiele erwähnt, wo Infizirte, freilich selten genug, von selbst genassen. Nur in Tonga scheint, bei dem keuscheren Leben der Tonganer das Unheil wenigstens nach Mariners Bericht, nicht um sich gegriffen oder doch leichtere Formen nach und nach angenommen zu haben.

      Die Seuche ist auch unter den Eingeborenen von Neu-Holland verbreitet und auch hier will Meinicke (a 2, 179) die Annahme, sie sei ihnen von den Europäern gebracht, als »äusserst unwahrscheinlich« dadurch beweisen, dass bei der Gründung der Colonie von Sydney und auch neuerdings diese Krankheit tief im Inneren des Continentes gefunden sei. Als ob das bei dem Wanderleben dieser Stämme auffallen könnte! als ob sie nicht schon vor der Gründung der Colonie mit Europäern und wahrlich nicht mit den reinsten in mannigfacher Berührung gewesen wären! Den Aleuten, bei denen es Cook schon vorfand (dritte Reise 3, 265), und den Kamtschadalen ist dieses Unheil von den Russen, den Pelzhändlern, mitgetheilt. Da nun aber die Kamtschadalen ebenfalls zu Ausschweifungen, sei es im Trunk, sei es in der Liebe, geneigt waren, so sind auch hier seine Folgen nicht ohne Gewicht für unsere Betrachtung.

      Bei weitem schlimmer, aber und allgemeiner haben die Blattern gewüthet, die schlimmste Geissel aller Naturvölker. Am bekanntesten ist dies von Amerika, in dessen nördlicher Hälfte sie zuerst um 1630 auftraten (Waitz b, 15). Neun Zehntel von den Nordindianern rafften sie hin; die Mandans starben 1837 fast ganz aus, die Schwarzfüsse schmolzen durch sie von 30-40,000 auf 1000 zusammen: ähnlich erging es anderen nordamerikanischen Stämmen, den Krähenindianern, Minetarris, Cumanchen, Rikkaris; von den Omahas und den Eingeborenen des Oregongebietes erlagen ihnen zwei Drittel, von den Californiern die Hälfte (Waitz 1, 161). Aehnlich wütheten sie unter den Völkern von Südamerika, den Indianern von Paraguay und Gran Chako, den Puelchen, den Cariben, den Araukanern, in Peru, am Maranon, in Guyana, wo ganze Völkerstämme durch sie aufgerieben sind. Nie aber sind sie, wie Humboldt b 4, 224 bezeugt, am oberen Orinoko aufgetreten, obwohl sie bei den Völkern Brasiliens wieder ihre ganze Furchtbarkeit zeigten, bei den Chaymas, die 1730-36 von ihnen dezimirt wurden (Humboldt eb. 2, 180), bei den Chiquitas (Waitz 3, 533), welche schwer von ihnen zu leiden hatten. Nicht minder heftig aber traten sie bei den kultivirten Stämmen Amerikas auf.

      In


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