Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.jungen Manne!« sprach der Professor, indem er sich mit der Würde eines Kardinals, der im Konklave einen Papst zu wählen hat, von seinem Stuhle hinter dem Hagebucherschen Familientische erhob und sämtliche Anwesende in voller Begeisterung mit sich emporzog. Wie es verabredet war, geschah es, nachdem ein jeglicher seine Verbesserungsvorschläge eifrigst vorgetragen hatte…
Der Pascha saß mit gefalteten Händen auf einem Baumstumpf und stierte an der nächsten Eiche empor; Hagebucher streckte neben ihm im Grase die langen Beine weit von sich; weiter unten an der Berglehne arbeiteten der Professor, der Vetter Wassertreter und Sievers der Vasall gewaltiglich, den römischen Stein, welchem der Vetter weniger als je traute, von dem Schmutz der Jahrtausende zu befreien; weiter oben aber auf der grünen Lichtung, neben dem knisternden Feuer und den Kaffeetöpfen und Viktualienkörben lachten die Mädchen und Herr Hugo, während gegen Fliegenhausen zu auf dem freien Felde der Dynast von Bumsdorf vergnügt seinen Weizen besah. Erst war ein leises Rauschen durch die Wipfel der Bäume gezogen, doch schwand das bald, und jetzt war es ganz still im Walde.
»Nun, Täubrich, was sagt der Häher da oben im Baum?« fragte Leonhard, richtete sich aber noch während dieser Frage schnell auf und rief: »Holla, Mann, was haben Sie, was sehen Sie, was fällt Ihnen bei?«
Der träumende Schneider hatte plötzlich einen langen, schweren Seufzer ausgestoßen; jetzt sperrte er den Mund, nach Luft schnappend, weit auf, und zwei dicke Tränen rollten ihm die Backen hinunter. Der Afrikaner klopfte ihm zärtlich auf den Rücken, wie einem Kinde, das sich verschluckte, und sagte:
»Besinnen Sie sich, es ist heller, lichter Tag! Lustig, Alter, wie schickt sich ein solches Gesicht zu dem Sonnenschein und dem grünen Walde?«
»O Sidi, Sidi, es ist freilich lichter Tag«, schluchzte der Pascha, »und ich kann ja nichts dafür. Die Sonne scheint, und hier sitze ich im grünen Walde und hab es so gut, wie ich es mir niemals im Wachen und im Schlaf erträumte; aber es ist doch ein rechter Jammer, dass ich nicht weiß, ob’s auch wahr ist und kein Traum wie die Palmen und Herrlichkeiten von Damaskus.«
»Ihr Götter, wem halte ich die Predigt, deren mir jetzt das Herz voll ist?« rief Hagebucher, welcher nunmehr weitbeinig vor dem Pascha stand, aber ihm den Rücken zuwendete und gegen den Wald und die Berge redete. »Wer weiß von der Welt, in der er lebt, und von sich selber mehr als dieser Kamerad hier hinter mir? Da lachen sie im Sonnenschein und treiben ihre Spiele, solange sie jung sind; da wühlen sie alte, versunkene Steine, einen Traum im Traum, hervor, und alle glauben sie an ihr Spielzeug, nur dieser kluge Gesell hinter mir will nicht an das seinige glauben und nennt sich selber einen Narren! Womit spielt er, was sieht er? Das Meer und die Wüste, Paläste in den Wolken, Palmenwälder, schöne Mädchen und Gärten, so herrlich, wie niemand auf Erden sie pflanzen kann, sind ihm zu unbeschränkter Verfügung gestellt, und – er heult, o Täubrich, Täubrich!«
»Wenn ihr wüsstet, was ich weiß, sagt Mahomet, so würdet ihr viel weinen und wenig lachen!« schluchzte der Pascha kläglich; der Afrikaner aber drehte sich schnell um und rief:
»Kennen Sie das arabische Wort auch? Was geht das Sie an? Die anderen alle, die mit List oder Gewalt den ägyptischen Proteus, das Leben, zu überwältigen und zu ihrem Willen zu zwingen suchen und mit ihm ringen müssen bis an den Tod, die mögen das Wort sprechen, Sie aber sollen’s gefälligst bleibenlassen. Täubrich, es ist keine Kleinigkeit für einen Menschen, der aus dem Tumurkielande nach Hause kommt, einen Gesellen Ihresgleichen Wand an Wand neben sich zu wissen, und ich verbitte mir ernsthaft jeden Versuch Ihrerseits, auch das werden zu wollen, was jene dort über und dort unter uns einen klaren Kopf und vernünftigen Menschen zu nennen belieben. Ich sage Ihnen, Täubrich, es ist auch unter jenen nicht einer, der mit Sicherheit sagen kann, ob er in seinen Gedanken, Wünschen und Handlungen wahrhaftig in der Wirklichkeit wandle; und so ist’s ein Großes zu nennen, was einem Bevorzugten, das heißt einem närrischen Kerl, wie Sie, gegeben wurde von den Göttern. Jetzt aber kommen Sie; lassen wir die anderen Erntefelder betrachten, freien, spielen und Steine der Vorzeit zusammentragen; wir wollen uns hinter den Büschen wegschleichen und einen eigenen Pfad suchen. Ich habe vieles probiert seit meiner Heimkehr nach Europa; ich habe auch tausendjähriges Gestein zusammengeschleppt, ich habe gespielt und habe heiraten und Kinder zeugen wollen, doch nun bin ich nur zu einem Wächter vor einem kleinen Unglück in einer großen See von Plagen geworden und habe für jetzt mein volles Genügen daran. Kommen Sie, Täubrich, und treten Sie leise auf; ich will Ihnen eine merkwürdige Ehre antun, und Sie können später auch dieses Bild in Ihre Träume aufnehmen, wenn Sie den Winter über an meiner Stelle dem Professor die zungenvergleichende Grammatik aufbauen helfen.«
Er schritt schnell dem Pascha voran durch das Gebüsch und stieg schräg über die Berglehne hinab, vorsichtig nach beiden Seiten hin ausschauend, gleich einem, der nicht will, dass ein Unberufener ihm nachsehe oder gar sich herausnehme, seinen Schritten zu folgen. Aber niemand blickte den beiden seltsamen Freunden nach oder folgte ihnen; und sie erreichten bald die Sohle des Tales, wo sie sich durch dichtes Unterholz förmlich durchzuwinden hatten, bis sie nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Walde und auf die Landstraße von Fliegenhausen, am Eingange des Tälchens der Katzenmühle gegenüber, hinaustraten. Leise gingen sie weiter auf dem schmalen Pfade, den wir so oft im Laufe dieser Erzählung beschritten haben, und dann standen sie still hinter den Nussbüschen, und Hagebucher legte dem Pascha die linke Hand auf die Schulter und deutete mit der rechten vor sich hin:
»Das ist die Katzenmühle, Täubrich! Alle jene, welche wir dort an der anderen Seite der Straße im Walde an den Bergen ließen, kennen den Ort so gut wie ich; doch niemand von ihnen geht mehr hierher. Das ist halb eine Verabredung, doch nicht ganz. Was zuerst Scheu und Ehrfurcht vor dem Unglück war, das ist bald zu einer bequemen Gewohnheit geworden, und es ist das beste so. O Täubrich, es schlägt keine Welle mehr bis zu jener Schwelle dort, seit der Major Wildberg mir den Bericht des amerikanischen Konsuls über die Schlacht bei Richmond sendete. Sie weinen nicht mehr dort hinter den Blumen, dort unter dem morschen Dache. Sie sitzen still, und still ist es um sie her, sie verlangen nicht mehr.« …
Der kleine, halbwilde Garten vor der Mühle blühte in voller Pracht des Sommers. Die Fenster des untern Gestocks und die Tür der verfallenden Wohnung standen geöffnet, doch kein Leben regte sich dort bei allem zierlichen Anschein des Lebens. Nur die Bienen, Fliegen und Schmetterlinge hatten ihr Wesen über den Blumen und in den Sonnenstrahlen; nur der Fall der Wassertropfen klang wieder – wieder vom alten schwarzmoosigen Rad herüber. Täubrich-Pascha hielt die Hand des Mannes vom Mondgebirge und blickte so dumm und verzückt