Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Stellung und Existenz dort oben in den himmlischen Regionen anböte.«
Was der Mann vom Mondgebirge dem grauen vergnügten Heimtücker auf dieses Ansinnen antwortete, verschweigt die Geschichte, allein es steht fest, dass er die eigentliche Meinung, den einfachen, aber tief philosophischen Grundgedanken wohl herauszulösen verstand und ihn nachdenklich aus des Vetters Hinterstübchen auf der Bumsdorfer Pappelchaussee nach Bumsdorf trug. Er hatte solche holden Vertröstungen auf eine behaglichere, ruhige Zukunft sehr nötig; denn trotz der Stille, welche in dem Hause des seligen Steuerinspektors herrschte, war es augenblicklich ein ziemlich ruheloser Aufenthaltsort.
Die alte Frau, die Mutter, trug doch schwer an dem Verlust des alten subtrahierenden und addierenden Murrkopfs, und wenn sie länger als vierzig Jahre schwer an seinem Erdendasein getragen hatte, so vermisste sie ihn desto schmerzlicher jetzt überall und suchte ihn in allen Winkeln, wo sie ihn früher nur mit großem Unbehagen gefunden hätte. Es ist so etwas um eine verklungene Stimme, und wenn sie auch noch so verdrießlich knarrend oder schneidend war! Man kann selbst auf Fußtritte, die man innerlich bedeutend fürchtete, mit höchstem Verlangen warten und die Gewissheit, dass man dieselben nimmermehr in der Nebenstube oder draußen auf dem Gange vernehmen werde, nur mit wehmütig bangem Widerstreben an sich kommen lassen.
Der »Vater« fehlte der Alten, wo sie ging und stand, und der Sohn konnte ihr den Abgeschiedenen nun keineswegs ersetzen. Ja die Tante Schnödler, die Base Klementine und die Onkel Sackermann und Hagebucher waren ihr jetzt ein viel größerer Trost und eine viel liebere Gesellschaft als der stumme, nachdenkliche, zerstreute Leonhard. Mit jenen konnte man doch sitzen und von dem Gewesenen sprechen, wie es sich gehörte; allein die Welt war überhaupt mit einemmal eine andere geworden, und der Tod hatte alles verschoben. Die Alte hatte sich sehr ducken und fügen müssen, solange der Alte an jedem Morgen grämlich die Wacht bezog, und nun ging sie, wie gesagt, ruhelos umher und sprach nur noch davon, wie es für sie doch keine bessere und liebere Stelle mehr gebe als die neben seinem Grabe und wie angenehm es sein werde, wenn man auch sie dorthin trage und zur Ruhe bringe, da nun doch einmal alles aus der Welt fortgenommen sei, was ihr Freude gemacht habe, und der auf Nimmerwiederkommen fortgegangen sei, der’s allein in allen Stücken gut mit ihr gemeint habe. –
Auf leisen Sohlen schlich der Afrikaner der Mutter nach, und es kostete ihm nicht die geringste Mühe, sich in ihre tausend und aber tausend weinerlichen und krittligen Launen zu schicken. Aber an manchem dunkeln, stürmischen Tage sendete er das bleiche, betrübte, verschüchterte Schwesterchen fort aus dem Hause, hinüber auf den Gutshof zu den Freundinnen; und der Herr Leutnant Hugo, der sich seinen Urlaub um ein nicht geringes hatte verlängern lassen, war ihm sehr dankbar dafür.
Es waren andere Grillen, welche der Mann aus dem Tumurkielande am Fenster der Katzenmühle, und es waren andere Grillen, welche er daheim der alten Frau gegenüber fing. Dazwischen fielen dann allerlei Briefe. Täubrich-Pascha schrieb sehnsüchtig-unverständlich, der Professor schrieb wehmütig-grimmig und stellenweise ebenfalls etwas unverständlich; doch eins ging aus den Seelenergüssen beider Korrespondenten unzweifelhaft hervor: Die Aufregung über die Vorgänge der letzten Zeit war immer noch mächtig in der Residenz, und was die Privataufregung der zwei trefflichen Charaktere betraf, so hatte sich auch diese durchaus noch nicht gelegt.
Leonhard antwortete, so gut er’s vermochte. Er vertröstete den Pascha auf ein baldiges heiteres Zusammentreffen und setzte ihn fürs erste in den absoluten Besitz seines hauptstädtischen Nachlasses. Den Professor, welcher ihm auch die heitere Gegenwärtigkeit (hicceitas, wie er’s nannte) des liebenswürdigen Herrn Ferdinand Zwickmüller meldete, vertröstete er auf die baldige Abreise desselben und warf ihm, d. h. dem Professor, die Entdeckung zwischen die Zähne, dass Bumsdorf wie so vieles andere im deutschen Lande seine Entstehung den Römern verdanke, lud ihn ein, sich in der Sommervakanz nach der Hochzeit der Tochter persönlich von der Richtigkeit der Sache zu überzeugen und den Stein, welcher das Ding bewies, abzuholen.
Was bedeutete dieses alles? Es hat Leute gegeben, die auf einer Watte, auf einem Felsenstück am Strande von der Flut überrascht wurden, die Wellen um sich anschwellen sahen und es dennoch vermochten, die Pfeife im Brand zu halten und die Uhr aufzuziehen, ehe die erbarmungslosen Wasser die Westentasche erreichten. Es waren nicht die schwächsten Charaktere, welche dieses konnten, und die Wahrscheinlichkeit, noch einmal aus der Gefahr gerettet zu werden, war für sie vielleicht größer als für alle jene, die in solchen Momenten nichts als ein verzweiflungsvolles Händeringen oder ein stumpfsinniges Hinstarren auf die graue tödliche Wüste übrig hatten. Der Herr van der Mook musste im Laufe der Tage schreiben, und das einfachste und natürlichste war, so ruhig als möglich das Anklopfen des Briefboten zu erwarten und ihm nicht weiter entgegenzugehen, als eben unbedingt nötig war. Gegen Anfang des Monats Februar schrieb denn auch der Herr van der Mook, und zwar einen Brief folgenden Inhalts:
»Southampton, an Bord der Borussia
Lieber Hagebucher!
Ich besitze eine zähe Natur und befinde mich so wohl, als den Umständen angemessen ist; allein die Umstände sind auch danach, und der Teufel hole mich, wenn ich weiß, was für Gesichter Sie und andere, welche ich nicht zu nennen wage, zu diesem Schreiben machen werden. Als wir beide in Abu Telfan im Königreich Dar-Fur zusammentrafen und ich das Vergnügen hatte, Ihnen in jedenfalls nicht durchgängig angenehmen Situationen meine schwache Hilfe zur Verfügung zu stellen, da konnten wir keine Ahnung davon haben, welche Verhältnisse uns noch das Schicksal in Kompanie auf die Schultern laden würde. Ich drücke der Bestie, die in mir steckt, eben wieder einmal mit beiden Fäusten die Gurgel zusammen, allein es wäre ein Mirakel, wenn sie sich nicht doch in dem, was ich zu sagen habe, Luft machte; und somit werden Sie nach der Mühle steigen, um den betrübten Seelen, den zwei armen Weibern den schmutzig blutigen Lappen in ein reinliches Tuch gewickelt zu überreichen.
In Paris fand ich nicht, was ich suchte, und das war mir eigentlich nicht unlieb, denn ich bin dort früher recht vergnügt gewesen; und in dieser verruchten Welt muss man sich solche unschuldig grüne Fleckchen möglichst unentweiht zu halten suchen. Bon, ich habe allerlei gejagt, Menschen und Vieh, und verliere nicht so leicht eine Fährte, wenn mir die Sache – das Leben, das Fell oder das Gefieder am Herzen liegt. Treffe einen alten Bekannten, einen Engländer, der wie ich allmählich ein solider Mann geworden ist und sich redlich von seiner Frau