Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Dover und habe bald das Vergnügen, unter meinem Fenster in Piccadilly den Strom, aus welchem ich die bekannten zwei Tropfen auffangen soll, rollen zu sehen und rauschen zu hören.
Dass ich mit einigem Widerwillen an die Aufgabe ging, werden Sie mir glauben, mon cher, und dass mich mein Fatum wieder so tief als möglich in das Pech hinabdrücken würde, war mir bereits in dem Augenblicke klar, als ich die Katzenmühle und Ihre zuversichtliche Miene hinter mir hatte. Lieber Freund, Sie ahnen wohl schon, was ich Ihnen mitzuteilen habe – es war eine kurze Jagd, und der Kamerad ist so schnell und hitzig auf seinem Wege gewesen, dass ich nicht einmal beim Halali zugegen sein konnte. Da wäre ich denn wieder einmal mit meinen allerbesten Vorsätzen um eine Nasenlänge hinter dem festen Willen eines anderen zurückgeblieben! Und, bei meinem Leben, es tut mir nicht so leid, dass ich jetzt nicht zu Euch heimkehren und mich meiner Fahrt rühmen kann, als dass ein so starkes, ehrliches Leben an ein so schlechtes, niederes Wild gewendet werden musste. Mein Kamerad, o mein Kamerad, mein wackerer, lieber Leidensgefährte aus dem Bagno! Bah, ich glaube, er ist besser dran als ich!
Die Londoner Polizeibeamten sind liebe Leute. Ich habe bereits in früheren Jahren die Freude gehabt, ihre Bekanntschaft in einer anderen Angelegenheit zu machen, doch die Sache ging mich schon damals nichts an und kann uns heute gar nicht mehr kümmern. Nachdem ich einige Tage gleich einem sewer-hunter, einem Kloakenjäger, auf eigene Faust gesucht und nichts gefunden hatte, blieb mir, da die Zeit drängte und meine Unruhe von Stunde zu Stunde wuchs, nichts übrig, als in Bowstreet auf dem Polizeizentralbüro meine Visitenkarte abzugeben und mir den Rat und Trost der dortigen Gentlemen zu erbitten. Tat also und fand ein geneigtes Gehör und williges Entgegenkommen. Man stellt mir einen ruhigen, schweigsamen Herrn vor und zur Verfügung, Inspektor Cuddler, den ich wohl noch längere Zeit auf einsamen Spaziergängen an meiner Seite zu haben glauben werde. Er zieht bedächtig die Handschuhe an, nimmt den Regenschirm unter den Arm, und wir treten zusammen in die Gasse, gleich zwei guten Freunden und würdigen Cockneys, die sich vorgenommen haben, einen freien Tag dazu zu benützen, den Löwen des Towers einen Besuch abzustatten. Wir wandern und wandern, aus dem Tage in die Nacht hinein, aus der Nacht in einen neuen Tag. Zu Fuß, im Omnibus, im Cab, auf Spuren, die verlöschen, stärker hervortreten und wieder verlöschen – im Kreise, im Zickzack. Wir nehmen mit einem Händedruck Abschied voneinander und treffen am folgenden Morgen an einem verabredeten Platze von neuem zusammen. Aus Belgravia nach Saint Giles, von Pimlico nach Islington! Wir halten Konferenzen und machen Notizen auf den Polizeistationen in Westminster, Marylebone, Southwark und Thamesstreet. Nichts, nichts! Das Ding hätte für einen Amateur langweilig werden müssen: ich, welcher ich dieses Mal kein Amateur war, hielt aus, und Mr. Cuddler, der nichts anderes auf Erden zu besorgen zu haben schien, desgleichen. Wir warten an Straßenecken, in Kaffeehäusern, wir haben eine nächtliche Erscheinung am Haymarket unter den Babylonierinnen. Ein Herr steigt dort in ein Cab, und ich gebe meinem Inspektor einen Stoß. Wir haben nicht das Recht, den Herrn Friedrich von Glimmern zu verhaften, denn niemand erhob eine Anklage gegen ihn, und ich bin nicht deswegen über den Kanal gekommen; aber ein Königreich für seine Adresse! Wir werfen uns in ein anderes Fuhrwerk und instruieren den Kutscher; doch Erin ist natürlich wieder mal dreiviertel über Bord, will sagen total betrunken, strandet an einer Orangenbude, und ich gehe abermals getäuscht zum Teetrinken heim.
Was soll ich Sie länger aufhalten, Freund Hagebucher? Die Szene ist in Lower Thames Street, in dem dritten Stockwerk eines Hotels dritten Ranges; – Zeit: Mitternacht; – Wetter: regnerisch und windig. Das Haus ist in vollem Aufruhr; Mord! schreit die Finsternis, und die police hat die von innen verriegelte Tür des Zimmers Nummer sechsundzwanzig erbrochen. Um elf Uhr hörte Mr. Thomas Giblets, der Bewohner von Numero fünfundzwanzig, den Gentleman nebenan heimkehren, doch nicht allein, und wurde seine – Mr. Giblets’ – Aufmerksamkeit nach einer Weile durch einen heftigen Wortwechsel erregt, welchem er, wie er sagte, im Anfange mit Behagen hinter seinem Economist horchte. Er – Mr. Giblets – hatte ein mühevolles, verdrießliches Tagewerk zurückgelegt, und es trug – wie er meinte – zu seinem augenblicklichen Komfort bei, dass andere Leute ebenfalls allerlei verdrießliche Geschäfte abzuwickeln hatten, und er fand – wie er zu Protokoll gab – die Sache erst dann etwas extraordinary, als hinter der Wand plötzlich – fast gleichzeitig – zwei Pistolenschüsse fielen, der Fall von schweren Körpern diesen folgte und andere bedenkliche Töne sich vernehmen ließen.
Das Haus lief zusammen, und gegen zwei Uhr zog der Inspektor Cuddler die Schelle an meiner eigenen Wohnung in Piccadilly. Ich stelle es Ihnen anheim, Carissimo, sich auszumalen, was ich in der Untern Themsestraße fand. Wir, die wir beide allerlei Schlachten und Gefechte der Menschen sahen und beide wohl dann und wann zwischen den Blutlachen standen, ohne grade viel nach der Moral des Dinges zu fragen, wir behalten immer ein gewisses kitzelndes Gefühl für das Malerische, und malerisch war das Zimmer des Herrn von Glimmern in dieser Nacht.
Sie waren beide von der Gasse heimgekommen und hatten ihre Angelegenheit in Frieden besprochen, nachdem der Leutnant Kind die Tür verschlossen und den Schlüssel aus dem Fenster geschleudert hatte. So friedlich, dass der sich ergebende Wortwechsel, wie gesagt, nur zur Erhöhung des Komforts des Stubennachbars beitrug. Und dann waren sie über den Tisch weg zu einem Verständnis und alle Differenzen beiderseits vollständig ausgleichenden Schluss gekommen. Man fand sie zu beiden Seiten des Tisches, die abgeschossenen Pistolen in der Hand; man fand meinen Freund, Seine Exzellenz den Freiherrn Friedrich von Glimmern, tot, durch das Herz getroffen wie Alp, Venedigs Renegat, und man fand meinen Freund und Kameraden, den Exleutnant der Strafkompanie zu Wallenburg, Friedrich Kind, nicht ganz so gut getroffen, jedoch ebenfalls über alle fernern irdischen Widerwärtigkeiten hinausgehoben. Er hat noch eine halbe Stunde nach dem Aufbrechen der Tür gelebt und sich recht friedfertig, sanft und gelassen gezeigt. Auf dem Bette des Herrn von Glimmern ist er ruhig entschlafen, seit fünfzig Jahren der einzige wirkliche Soldat des Bundeskontingents, welches die Ehre hatte, ihn in seinen Reihen aufzuführen. Ich fand einen Citymissionär neben der Leiche, als ich mit meinem Begleiter anlangte. Der Mann hatte durch seinen Beruf vor vielen anderen Menschenkindern Gelegenheit, kuriose Sachen zu sehen, und wer an dem faulen Stroh der Sterbenden von Bethnal Green und Spital Fields zu knien hat, der mag wohl ein Wort über die Mysterien des Todes mitreden. Ich gab ihm im ersten ruhigen Augenblick eine kurze Erklärung über den vorliegenden Fall, und er nannte ihn – tragically