Ludwig IV. der Bayer. Martin Clauss

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Ludwig IV. der Bayer - Martin  Clauss


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Dem sind freilich methodische Grenzen gesetzt. Der biografische Zugang verleitet zwar leicht dazu, die beschriebene Person mit einem Menschen unserer Zeit gleichzusetzen – hier muss man sich aber der Gefahr bewusst sein, die in der Annahme anthropologischer Konstanten liegt. Wir dürfen nicht unhinterfragt davon ausgehen, dass die Menschen des 14. Jahrhunderts in uns vertrauten Kategorien gelebt haben. Statt uns in Ludwig hineinversetzen zu wollen, müssen wir uns vielmehr der Zeitgebundenheit diverser Kategorien bewusst werden. Dies betrifft den menschlichen Bereich – Emotion, Charakter, Gläubigkeit – ebenso wie den politischen. So können wir etwa die Ehen Ludwigs nicht mit unseren Maßstäben von glücklicher Ehe und Privatheit messen, sondern müssen ihre Darstellung in den zeitgenössischen Quellen als Reflex auf ein politisch-dynastisches Verständnis begreifen.

      

      Abb. 1  Grabmal Ludwigs IV. in der Münchener Frauenkirche – 1622 im Auftrag Kurfürst Maximilians I. gestaltet

      Wie bei etlichen geschichtswissenschaftlichen Darstellungen ist Vieles vom Folgenden das Ergebnis eines Abwägungsprozesses und eher Meinung als Faktum. Dies gilt vor allem für Urteile und Interpretationen. Dieses Buch zeigt meinen Ludwig, weniger den Ludwig. Dabei werde ich der Quellenlage und den methodischen Schwierigkeiten auch dadurch Rechnung tragen, dass ich die eigene Sprachlosigkeit zulasse und Lücken in der geschichtswissenschaftlichen Konstruktion der Vergangenheit sichtbar mache. Das lässt Ludwig sicherlich weniger heroisch und sein Bild vielleicht auch weniger plastisch erscheinen; es regt aber hoffentlich zum Nachdenken über Ludwig und unser Geschichtsverständnis an.

      Chancen und Grenzen historischer Biografien

      Das Genre der historischen Biografie erfreut sich großer Beliebtheit, nicht zuletzt, weil man sich an der Seite einer historischen Person leichter in die Zeitumstände einfühlen kann. Mitunter meint man sogar, die Vergangenheit mit den Augen des Protagonisten zu sehen; man findet sich gewissermaßen wieder in einem Menschen, der Pläne schmiedet, Ängste aussteht und Erfolge feiert. Dieses Verständnis von Geschichte ist aber nicht unproblematisch, und das Genre ›Biografie‹ steckt für den Historiker voller Tücken. Diese gilt es am Anfang dieses Buches zu benennen, weil sich dessen Darstellung auch als Reaktion auf diese Probleme versteht.

      Dem Genre liegen oftmals unhinterfragt einige Annahmen zu Grunde. Hierzu gehört die Vorstellung von einer persönlichen Entwicklung jedes Menschen, die in der Kindheit grundgelegt wird. Jugend und Erziehung lassen in dieser Lesart erahnen, wie der Erwachsene sich verhalten wird, und dienen als Erklärung. Oftmals greift hier das der Natur entlehnte Muster von Wachstum, Blüte und Verfall. Hinzu tritt ebenso häufig – und das erscheint zunächst paradox – die Vorstellung vom im Grundsatz unveränderlichen Charakter eines Menschen. Zumindest für den Erwachsenen wird die persönliche Disposition als ausschlaggebend für Entscheidungen und Verhalten angesehen. Ein Herrscher ist wankelmütig und ängstlich – und daher sein politisches Handeln sprunghaft und vorsichtig. Hierbei ist kaum Raum für Veränderung mitgedacht, und es besteht immer die Gefahr eines Zirkelschlusses: Schließen wir vom Charakter auf den Politikstil oder umgekehrt?

      Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in diesem Kontext von der »biografischen Illusion« gesprochen. Damit ist ein Phänomen benannt, das wir alle aus unserem Alltag kennen: Wenn wir unser Leben – etwa im Rahmen einer Bewerbung – präsentieren sollen, streben wir danach, einen im Sinne der Anforderungen stimmigen Lebenslauf vorzulegen: Zufälligen Entwicklungen wird bewusste Planung unterlegt, Lücken werden gefüllt oder verschleiert, und aus einer Vorher-Nachher-Abfolge wird eine kausale Entwicklung gemacht.

      So wie der Lebenslauf aus einem Leben eine Karriere formt, steht die historische Biografie in der Gefahr, die Informationen über ihren Protagonisten zu einer abgeschliffenen, zwangsläufigen Entwicklung zu formen.

      Zuweilen wird der Protagonist der Biografie obendrein zum idealisierten Helden, weil durch die Dauer der wissenschaftlichen Beschäftigung oder eine außerwissenschaftliche Komponente Nähe zwischen Autor und Objekt entsteht. Gerade bei ›unserem‹ Ludwig kann man eine bayerische von einer nicht-bayerischen Geschichtsschreibung unterscheiden. Erstere zeichnet sich oft durch große Nähe und Bewunderung für den Wittelsbacher, Letztere durch Desinteresse und große Kritikfreudigkeit aus. Auch der Schwerpunkt der Darstellungen kann variieren: Mal interessiert vor allem das Herzogtum Bayern, mal wird dieses kaum thematisiert. Jede historische Biografie bewegt sich also zwischen Perspektivität, Konstruktion und Illusion.

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        Ludwig der Mensch

      Ein Biograf versucht in der Regel, Aussehen und Charakter seines Protagonisten so darzustellen, dass seine Persönlichkeit für die Leserschaft greifbar wird.

      Dieses Anliegen gestaltet sich in unserem Falle schwierig: Weder Aussehen noch Charakter Ludwigs IV. sind zweifelsfrei zu ermitteln. Das liegt nicht nur an den Schwierigkeiten, die man bezüglich einer Charakterstudie bei jedem, auch einem modernen Menschen hat. Was macht den Charakter eines Menschen aus? Was ist Erziehung, was Veranlagung, wo greifen wir den Mensch, wo den Zeitgeist?

      Für Ludwig treten Quellenprobleme sowie die Tatsache hinzu, dass seine Herrschaft von einem gravierenden Konflikt gekennzeichnet war, der jede seiner Handlungen überschattete: dem Kampf mit dem Papst um die Rechtmäßigkeit seines Königtums. Dieser führte nicht nur zu Ludwigs Exkommunikation, sondern auch dazu, dass letztlich alle Nachrichten, die uns zu Ludwig von Zeitgenossen vorliegen, Partei ergreifen. Sie loben den Herrscher und betonen seine Größe und Bedeutung – oder verdammen ihn als Ketzer und verweisen auf seine Defizite. Eine Trennung zwischen Person und Funktion nehmen die meisten Quellen dabei nicht vor; die Amtsführung wird immer auch als Charakterfrage verstanden, und dies hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Informationen zum Menschen Ludwig.

      Ludwig als Vater und Ehemann

      Ludwig IV. war nicht nur Herzog, König und Kaiser, sondern auch Ehemann und Vater. In den Quellen treten uns seine Frauen und Kinder allerdings ausschließlich als Teil des politisch-öffentlichen Lebens des Herrschers entgegen. Wir wissen letztlich nichts über das, was wir heute das Privatleben Ludwigs nennen würden. Liebte er seine Frauen und seine Kinder? Machte er sich darüber jemals Gedanken? Ludwig hatte mit zwei Ehefrauen insgesamt 16 Kinder, von denen ihn zwölf überlebten. Als Herzog von Bayern heiratete er vor dem Jahr 1313 Beatrix von Schlesien-Schweidnitz aus der schlesischen Linie der Piasten. Über Beatrix erfahren wir aus den Quellen nur sehr wenig; vor ihrer Ehe mit Ludwig tritt sie nicht in Erscheinung und auch zur Herzogin und Königin bleiben die Nachrichten spärlich. In der Chronik von den Taten der Fürsten, die von einem Mönch des wittelsbachischen Klosters Fürstenfeld um 1330 verfasst wurde, finden sich gerade zwei Zitate zu Beatrix: »Mit diesen [Kämpfern] begibt er [Ludwig] sich unter großer Prachtentfaltung nach Aachen und wir hier mit seiner Gemahlin Beatrix von den ehrwürdigen Bischöfen von Mainz und Trier feierlich gekrönt.« und »Das Weihnachtsfest feierte er [Ludwig IV.] in München, wo nicht lange danach die gnädigste Königin Frau Beatrix einer Krankheit erlag und von Gott zu sich genommen wurde. Ihr wurde in der genannten Stadt im Münster der seligen Jungfrau Maria ein Grabmal errichtet, in dem sie unter den gebührenden Feierlichkeiten beigesetzt wurde.«3 Beatrix interessiert hier nur als Ehefrau Ludwigs, nicht als Person.

      Das Paar hatte sechs Kinder, vier Töchter und zwei Söhne. Die Söhne folgten ihrem Vater in der Herrschaft und übernahmen Teile der wittelsbachischen Hausmacht. Der älteste Sohn wurde auf den Namen seines Großvaters und Vaters getauft und firmiert in der Forschung als Ludwig V., der Brandenburger (1315–1361). Zu Lebzeiten des Vaters war er Teil von dessen politischen Aktionen: 1323 machte sein Vater ihn zum Markgrafen von Brandenburg und damit zu einem der sieben Kurfürsten, 1324 wurde er mit Margarete von Dänemark verheiratet und nach deren Tod (1340) mit Margarete, der Gräfin von Tirol. Diese zweite Hochzeit brachte Tirol an die Wittelsbacher und zeigt deutlich, dass der Sohn den Wünschen des Vaters entsprechen musste: Zeitgenossen erzählen vom anfänglichen Unwillen Ludwigs V., sich in die Heiratspläne seines Vaters zu fügen, weil Margaretes erste Ehe von der Kurie nicht annulliert worden war. Auch wenn diese Anekdote eine Erfindung sein mag, zeigt sie doch, dass sich der Sohn dem Willen des Vaters zu beugen hatte.

      Der


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