Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.Sir Joseph. Sie denken anders.«
»Ich bin des armen Mannes Freund«, versetzte Sir Joseph mit einem Blicke auf den anwesenden Mann. »Das kann man mir zum Vorwurf machen. Das ist mir zum Vorwurf gemacht worden. Doch mir liegt an keinem andern Titel.«
»Der Himmel segne den edlen Herrn!« dachte Trotty.
»Ich stimme zum Beispiel mit Cute hierin nicht überein«, sagte Sir Joseph den Brief vor sich haltend. »Ich stimme mit der Partei Filer nicht überein, genug, ich stimme mit keiner Partei. Mein Freund, der arme Mann, hat mit dergleichen nichts zu schaffen und dergleichen hat nichts mit ihm zu schaffen. Mein Freund, der arme Mann, in meinem Kreise, ist meine Sache. Kein Individuum und keine Körperschaft hat ein Recht, sich zwischen meinen Freund und mich zu drängen. Das ist die Basis, auf die ich mich stelle. Ich sage: ›Mein guter Mann, ich will dich wie ein Vater behandeln.‹«
Toby hörte sehr bewegt zu und fing an sich behaglicher zu fühlen, »Du hast es einzig und allein mit mir zu tun, mein guter Mann«, fuhr Sir Joseph fort, indem er zerstreut Toby ansah; »einzig und allein mit mir und brauchst dich dann dein Lebenlang um nichts zu sorgen. Du brauchst dir nicht die Mühe zu nehmen, über etwas selber nachzudenken. Ich will schon für dich denken; ich weiß, was dir gut ist; ich bin beständig dein Vater. Das ist die Ordnung einer allweisen Vorsehung! Der Zweck deiner Schöpfung besteht nicht darin, zu schwelgen und zu schlemmen und deine Freude wie ein unvernünftiges Tier in Essen und Trinken zu setzen« – Toby dachte reuevoll an seine Kaldaunen – »sondern daß du die Würde der Arbeit fühlst. Gehe hinaus, Mann, in die heitere Morgenluft und – und – dort bleibe. Lebe sparsam und mäßig, sei gottesfürchtig, übe dich in der Selbstverleugnung, erziehe deine Familie mit so gut wie nichts, bezahle deine Abgaben so pünktlich wie die Uhr schlägt, sei gewissenhaft in deinen Geschäften (ich gebe dir ein gutes Beispiel; du wirst Mr. Fish, meinen Geheimsekretär, immer mit einer vollen Geldkasse finden), dann wirst du in mir immer einen Freund und Vater finden.«
»Nette Kinder, in der Tat, Sir Joseph!« sagte die Lady mit einem Schauder. »Rheumatismus, Fieber, krumme Beine, Asthma und alle Arten von schrecklichen Krankheiten!«
»Mylady«, entgegnete Sir Joseph feierlich, »nichtsdestoweniger bin ich des armen Mannes Freund und Vater. Nichtsdestoweniger soll er von mir Unterstützung erhalten. Jedes Quartal soll er zu Mr. Fish kommen. Alle Neujahrstage will ich mit meinen Freunden auf seine Gesundheit trinken. Einmal alle Jahre wollen wir, meine Freunde und ich, mit tiefer Empfindung eine Rede an ihn halten. Einmal in seinem Leben mag er vielleicht öffentlich, in Gegenwart der ganzen Gesellschaft, selbst etwas empfangen – eine Kleinigkeit von einem Freunde. Und wenn er, von diesen Anreizungsmitteln und der Würde der Arbeit nicht mehr aufrecht gehalten, in sein stilles Grab sinkt, dann, Mylady« – hier blies Sir Joseph die Nasenflügel auf – »will ich unter denselben Bedingungen der Freund und Vater seiner Kinder sein.«
Toby war auf das tiefste ergriffen.
»O, Sie haben eine dankbare Familie, Sir Joseph!« sagte seine Gemahlin.
»Mylady«, versetzte Sir Joseph ganz majestätisch, »Undankbarkeit ist die Erbsünde dieser Klasse. Ich erwarte keinen anderen Dank.«
»Ach, von Natur böse!« dachte Toby. »Nichts rührt uns!«
»Was ein Mensch tun kann, tue ich«, fuhr Sir Joseph fort. »Ich tue meine Schuldigkeit als des armen Mannes Freund und Vater und suche seinen Geist zu bilden, indem ich ihm bei jeder Gelegenheit die eine große sittliche Lehre, die diese Klasse nötig hat, einpräge, nämlich: gänzliche Abhängigkeit von mir. Sie haben mit sich selber – mit sich selber gar nichts zu schaffen. Wenn ihnen gottlose, ränkesüchtige Menschen etwas anderes sagen, und sie werden ungeduldig und unzufrieden und lassen sich ein aufrührerisches Benehmen und schwarzen Undank zuschulden kommen – was unzweifelhaft der Fall sein wird – selbst dann bin ich immer noch ihr Freund und Vater. Es ist so angeordnet. Es liegt in der Natur der Dinge!«
Bei diesem großen Gedanken machte er des Ratsherrn Brief auf und las denselben.
»Sehr artig und aufmerksam, das ist wahr!« rief Sir Joseph aus. »Mylady, der Ratsherr ist so liebenswürdig, mich daran zu erinnern, daß er ›die ausgezeichnete Ehre‹ – sehr gütig – gehabt habe, mich in dem Hause unseres beiderseitigen Freundes, des Bankier Deedles, zu treffen; und er ist so gütig zu fragen, ob es mir angenehm wäre, wenn Will Fern eingesteckt würde.«
»Höchst angenehm!« entgegnete Lady Bowley, »Der Schlimmste von allen. Er hat hoffentlich einen Raubanfall verübt?«
»Nun, nein«, sagte Sir Joseph, indem er auf den Brief Bezug nahm, »nicht ganz. Zwar beinahe, aber nicht ganz. Er kam nach London, wie es scheint, um sich nach Arbeit umzusehen (er wollte sich verbessern, das ist die Sache!), und wurde, als man ihn bei Nacht in einem Schuppen schlafend fand, in Gewahrsam genommen und den nächsten Morgen vor den Ratsherrn geführt. Der Ratsherr bemerkt (sehr richtig und vernünftig), daß er entschlossen sei, derlei Dinge auszurotten, und daß, wenn es mir angenehm wäre, es ihn glücklich machen werde, mit Will Fern anzufangen.«
»Auf jeden Fall muß er des Beispiels wegen bestraft werden«, erwiderte die Lady. »Letzten Winter, als ich das Häkeln und Stricken unter den Männern und Knaben des Dorfes als hübsche Abendbeschäftigung einführte und die Verse:
O, laßt uns unsre Arbeit üben,
Unsern Herrn und seine Freunde lieben.
Von unsern Rationen leben
Und nie hochmütig höher streben!
nach einer neuen Melodie in Musik setzen ließ, die sie während der Zeit singen sollten, griff derselbe Fern – ich sehe ihn noch – an seinen Hut und sagte:›Mylady, ich bitte ergebenst um Verzeihung, aber bin ich nicht etwas anderes als ein großes Mädchen?‹ Ich erwartete es natürlich; denn wer kann etwas anderes als Unverschämtheit und Undank von dieser Volksklasse erwarten? Indes gehört dies nicht hierher; stellen Sie aber ein warnendes Beispiel auf, Sir Joseph!«
»Hm!« hustete Sir Joseph. »Mr. Fish, wollen Sie so freundlich sein –«
Mr. Fish ergriff sogleich die Feder und schrieb nach dem Diktat Sir Josephs:
»Mein lieber Sir!
»Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Freundlichkeit in Sachen des Menschen Will Fern, von dem ich zu meinem Bedauern nichts Günstiges sagen kann. Ich hatte mich beständig in dem Lichte eines Freundes betrachtet, bin aber leider (ein gewöhnlicher Fall!) mit Undank und fortwährender Widersetzlichkeit gegen meine guten Absichten belohnt worden. Er ist ein unruhiger, widerspenstiger Kopf. Sein Charakter verträgt eine nähere Prüfung nicht. Nichts genügt ihm, um glücklich zu sein, wenn er es auch sein könnte. Unter diesen Umständen scheint mir, ich gestehe es, wenn er wieder vor Ihnen erscheint (und Sie teilen mir mit, daß er sich morgen zu stellen versprochen hat, und ich glaube, daß man sich hierin auf ihn verlassen kann), seine Einsperrung für kurze Zeit als Landstreicher ein der Gesellschaft geleisteter Dienst zu sein, und er würde ein heilsames Beispiel geben in einem Lande, wo sowohl wegen derjenigen, die unbekümmert um gute und böse Worte die Freunde und Väter der Armen sind, als in Rücksicht auf die allgemein verführten Klassen selber solche Beispiele sehr notwendig sind. Ich bin usf.«
»Es scheint«, bemerkte Sir Joseph, als er den Brief unterzeichnet hatte und Mr. Fish ihn siegelte, »als wäre dies von höherer Macht beschlossen, wirklich. Mit dem Schlusse des Jahres bringe ich meine Rechnung in Ordnung und schließe ab, selbst mit William Fern!«
Trotty, der schon lange wieder einen Rückfall bekommen hatte und sehr niedergeschlagen war, trat mit wehmütigem Gesicht einen Schritt vor, um den Brief in Empfang zu nehmen.
»Meinen Dank und meine Empfehlung!« sagte Sir Joseph. »Halt!«
»Halt!« rief das Echo, Mr. Fish.
»Ihr habt vielleicht«, sagte Sir Joseph wie ein Orakel, »gewisse Bemerkungen gehört, die ich zu machen veranlaßt war, bezüglich des feierlichen Zeitabschnittes, bei dem wir angelangt sind, und der Verpflichtung, die uns obliegt, unsere Angelegenheiten zu ordnen und auf alles gefaßt zu sein. Ihr habt gehört, daß ich mich nicht hinter meine hohe