Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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dir etwas zu bringen; und – und noch etwas anderes.«

      Toby schien dies immer noch nicht glauben zu können, doch sie blickte ihm mit ihren klaren Augen ins Gesicht und bat ihn, indem sie ihre Hand auf seine Achsel legte, weiter zu essen, solange noch alles warm sei; da nahm Trotty Messer und Gabel wieder zur Hand und machte sich wieder ans Werk, doch viel langsamer als vorher und kopfschüttelnd, als wenn er mit sich gar nicht zufrieden wäre.

      »Ich habe«, sagte Meg nach einigem Zaudern, »mit – mit Richard zu Mittag gegessen. Er machte zeitig Mittag; und da er sein Essen mitbrachte, als er zu mir zum Besuch kam, so haben wir – wir es miteinander geteilt, Vater.«

      Trotty nahm einen Schluck Bier und schnalzte mit den Lippen. Dann sagte er: »O!« weil sie wartete.

      »Und Richard sagt, Vater –« nahm Meg wieder das Wort; dann stockte sie.

      »Was sagt Richard, Meg?« fragte Toby.

      »Richard sagt, Vater –« sie stockte von neuem.

      »Richard sagt lange«, meinte Toby.

      »Er sagt also, Vater«, fuhr Meg fort, endlich die Augen aufschlagend, und sprach zwar mit zitternder, aber ganz vernehmlicher Stimme; »es sei beinahe wieder ein Jahr vergangen, und was es nütze, von Jahr zu Jahr zu warten, wenn es so unwahrscheinlich sei, daß wir jemals in besseren Verhältnissen sein würden, als wir jetzt sind? Er sagt, wir wären jetzt arm, Vater, und wir würden später arm sein; aber wir wären jetzt jung, und die Jahre würden uns alt machen, ehe wir es merkten. Er sagt, wenn wir, Leute in unserer Lage, warteten, bis wir ganz reinen Weg hätten, dann würden wir einen engen Weg zu gehen haben – den Weg, den alle nehmen – ins Grab, Vater.«

      Ein kühnerer Mann als Trotty Veck hätte alle seinen Mut zusammennehmen müssen, um dies zu leugnen. Trotty schwieg also.

      »Und wie hart ist’s, alt zu werden, Vater, und zu sterben und daran zu denken, daß wir einander hätten erfreuen und helfen können. Wie hart, uns unser Leben lang zu lieben und sich jedes für sich zu grämen und zu arbeiten, sich schinden, alt und grau werden zu sehen. Im besten Falle sogar, wenn ich ihn vergäße (was ich niemals könnte), o lieber Vater, wie hart ist es, ein so liebevolles Herz wie das meine zu haben und es so nach und nach vertrocknen zu lassen, ohne die Erinnerung an einen glücklichen Augenblick im Leben des Weibes zu haben, die mir bliebe, wenn alles mich verlassen hat, was mich tröstete und mich besser machte!«

      Trotty saß ganz still, Meg wischte ihre Augen ab und sagte dann heiterer, d.h. bald lachend und seufzend, und dann wieder lachend und seufzend zugleich: »So sagt Richard, Vater, da er nun für einige Zeit gewisse lohnende Arbeit hat, und da ich ihn liebe und drei volle Jahre – ach, noch länger, wenn er es gewußt hätte! – geliebt habe, so wollen wir uns am Neujahrstage verheiraten; es ist der beste und glückverheißendste Tag im ganzen Jahre, sagt er, der allen Liebenden Segen bringt. Allerdings ist es nur kurze Zeit bis dahin, Vater – nicht wahr? – aber mein Vermögen macht uns keine Schwierigkeiten, und mein Brautkleid habe ich heute schon an, darin bin ich vornehmer als große Damen. Vater, nicht wahr? So sagte er und sagte es in seiner Weise, so fest und ernst, und bei alledem so gut und freundlich, daß ich entgegnete, ich wollte zu dir gehen und mit dir sprechen, Vater. Und da man mir heute morgen unerwartet meine Arbeit bezahlt hat und da du eine ganze Woche sehr sparsam gelebt hast und ich wünschte, daß der heutige Tag eine Art von Feiertag für dich und ein guter glücklicher Tag für mich würde, so machte ich ein kleines Festessen zurecht, und ich brachte es dir, lieber Vater, um dich zu überraschen.«

      »Und schau, wie kalt er es auf der Treppe werden läßt!« sagte eine andere Stimme.

      Es war die Stimme des besagten Richard, der unbemerkt herangekommen war und plötzlich vor Vater und Tochter stand, mit einem Gesicht auf sie blickend, das so glühte wie das Eisen, auf welches sein starker Schmiedehammer täglich niederschmetterte. Es war ein hübscher, gutgebauter, kräftiger Bursche, mit Augen, die sprühten wie die glühenden Funken aus einem Ofen; schwarzen Haaren, die sich prächtig um seine braunen Schläfen lockten, und einem Lächeln, das Meggs Lob rechtfertigte.

      »Schau, wie er es auf den Stufen kalt werden läßt!« sagte Richard. »Meg weiß nicht, was er gern ißt. Wirklich nicht!«

      Trotty, ganz Feuer und Flamme, gab Richard sogleich die Hand und wollte ihn gerade eilig anreden, als die Haustür plötzlich geöffnet wurde und ein Bedienter fast in die Kaldaunen getreten wäre.

      »Weg hier mit euch! Ihr müßt immer kommen und euch auf unsere Treppe setzen, müßt ihr! Ihr könnt nicht gehen und einmal mit unsern Nachbarn abwechseln, könnt ihr! Wollt ihr euch aus dem Wege scheren oder nicht?«

      Genau genommen war die letzte Frage sehr überflüssig, denn sie hatten es bereits getan.

      »Was gibt’s, was gibt’s?« fragte der Herr, dem die Tür aufgemacht wurde, indem er mit halbschwerem Schritte, einer eigentümlichen Verschmelzung von Schritt und langsamem Trab, aus dem Hause trat, mit dem ein Mann, welcher den Berg des Lebens bereits wieder hinabsteigt, knarrende Stiefel, eine Uhrkette und reine Wäsche trägt, nicht nur ohne seine Würde zu verletzen, sondern um sich selbst den Anschein zu geben, als hätte er irgendwo wichtige und einträgliche Geschäfte, aus dem Hause treten darf. »Was gibt’s, was gibt’s?«

      »Ihr laßt Euch immer wieder kniefällig bitten und flehen«, sagte der Bediente mit großem Nachdruck zu Toby Veck, »unsere Treppe nicht zu belästigen. Warum laßt Ihr sie nicht? Könnt Ihr sie nicht frei lassen?«

      »Na, ist gut, ist gut!« sagte der Herr. »Heda, Mann!« und er winkte Toby Veck mit dem Kopfe heran. »Kommt einmal her. Was ist das? Euer Mittagsbrot?«

      »Ja, Herr«, entgegnete Trotty, und ließ es in der Ecke stehen.

      »Laßt es nicht dort stehen«, rief der Herr; »bringt es mir hierher. So! Dies ist Eure Mittagsmahlzeit, he?«

      »Ja, Herr«, erwiderte Trotty und blickte mit sehnsüchtigem Auge und einem Munde, in dem ihm das Wasser zusammenlief, nach den Kaldaunen, die er sich als Leckerbissen bis zuletzt aufgehoben hatte, und die der Herr um und umdrehte.

      Zwei andere Herren waren mit dem ersten herausgekommen. Der eine war ein untersetzter Mann von mittleren Jahren, in dürftiger Kleidung und von unzufriedener Miene; er hatte beständig die Hände in den Taschen seiner pfeffer-und salzfarbigen knappen Hose, die infolge dieser Gewohnheit sehr weit abstanden, und war nicht besonders reinlich gewaschen und gebürstet. Der andere Herr trug einen blauen Frack mit blanken Knöpfen und eine weiße Halsbinde. Er hatte ein sehr rotes Gesicht, als wenn zuviel Blut aus seinem Körper sich nach dem Kopfe drängte, und dies war vielleicht auch der Grund, weshalb er recht kaltherzig zu sein schien.

      Derjenige, der Tobys Mittagsmahl an der Gabel umdrehte, rief den ersteren unter dem Namen Filer heran, und sie steckten nun beide die Köpfe zusammen. Da Mr. Filer außerordentlich kurzsichtig war, mußte er sich die Überreste von Tobys Mahlzeit so dicht vor die Augen halten, um zu erkennen, was es war, daß Toby das Herz fast stehenblieb. Mr. Filer aß aber nicht.

      »Dies ist eine Art animalischen Stoffes, Ratsherr«, sagte Filer, indem er mit einem Bleistift kleine Löcher hineinstach, »den die Arbeiterklasse dieses Landes Kaldaunen nennt.«

      Der Ratsherr lachte und zwinkerte mit dem Auge, denn er war ein gar vergnügter Herr, der Ratsherr Cute. Und ein Schlaukopf außerdem, der alles wußte, alles durchgemacht hatte und nicht getäuscht werden konnte. Er hatte die Herzen des Volkes ergründet! Wenn jemand es kannte, so war es Cute.

      »Wer aber ißt Kaldaunen?« fuhr Mr. Filer fort und sah sich rings um. »Kaldaunen sind ausnahmslos der am wenigsten ökonomische, der verschwenderischste Konsumtionsartikel, den die Märkte dieses Landes irgendwie produzieren können! Es hat sich durch genaue Untersuchungen ergeben, daß ein Pfund Kaldaunen, wenn sie gekocht werden, sieben Achtel verlieren, ein Fünftel mehr als irgendeine andere animalische Substanz. Kaldaunen sind kostspieliger im eigentlichen Sinne des Wortes als Treibhausananas. Wenn man die Anzahl der Rinder berechnet, welche jährlich nur innerhalb des Stadtweichbildes geschlachtet werden, und wenn man die Quantität der Kaldaunen, welche die Leiber dieser Rinder liefern, wenn man sie zur rechten Zeit schlachtet,


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