Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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er ist gestorben«, warf Mr. Snitchey ein.

      »Aber ich bitte dich, jenes Ballabends zu gedenken«, fuhr seine Frau fort. »Nur darum ersuche ich dich. Wenn du mir folgst und wenn dich dein Gedächtnis nicht ganz im Stich läßt, und wenn du nicht ganz geistesschwach geworden bist, so fordere ich dich auf, den heutigen Abend mit jenem zu verknüpfen und dich daran zu erinnern, wie ich dich auf meinen Knien anflehte und bat –«

      »Auf den Knien?« fragte Mr. Snitchey.

      »Ja«, entgegnete Mrs. Snitchey ganz sicher, »und du weißt es – dich vor diesem Mann in acht zu nehmen – seinen Blick zu beobachten – und jetzt sage mir, ob ich damals nicht recht hatte, und ob er an jenem Tage nicht im Besitz von Geheimnissen war, die er nicht für gut hielt, zu enthüllen?«

      »Liebe Frau«, flüsterte ihr der Anwalt ins Ohr, »bemerktest du vielleicht auch etwas in meinen Augen?«

      »Nein«, antwortete Mrs. Snitchey spitz. »Bilde dir nur das nicht ein.«

      »Weil wir zufällig an jenem Abend«, sprach er weiter und hielt sie am Ärmel fest, »beide Geheimnisse zu wahren hatten und weil wir beide eins und dasselbe wußten. Darum, Frau, je weniger du über diese Angelegenheit redest, desto besser; und nimm dir dies zur Lehre, damit du künftig die Dinge mit barmherzigeren und klügeren Augen ansiehst. – Miß Marion, ich habe eine alte Bekanntschaft mitgebracht.«

      Die arme Clemency kam, die Schürze vor dem Gesicht, langsam am Arm ihres Gatten herein; dieser selbst mit einer ahnungsvollen Miene, daß es mit dem Muskatsieb zu Ende sei, wenn sie den Mut verlor.

      »Nun, liebe Frau«, sagte der Anwalt und hielt Marion zurück, die der alten Dienerin entgegeneilen wollte, »was fehlt Ihnen denn im Grunde?«

      »Was mir fehlt?« rief Clemency.

      Aber als sie jetzt verwundert und empört über die Frage und erschrocken über ein lautes Gejuchze Mr. Britains aufschaute und das wohlbekannte liebe Gesicht so dicht vor sich gewahrte, da machte sie große Augen, schluchzte, lachte, weinte, machte allerlei Ausrufe, umarmte Marion, hielt sie fest, ließ sie wieder los, fiel Mr. Snitchey um den Hals (worüber Mrs. Snitchey sehr indigniert war), dann dem Doktor, dann Mr. Britain und umarmte zuletzt sich selbst, warf die Schürze über den Kopf und lachte und weinte auf einmal.

      Gleich hinter Mr. Snitchey war ein Fremder in den Garten eingetreten und hatte an der Tür haltgemacht, ohne von den andern beachtet zu werden; denn sie hatten nur wenig Aufmerksamkeit übrig, und diese wurde durch Clemencys Freudenrausch ganz und gar aufgezehrt. Er schien nicht den Wunsch zu haben, daß er beachtet würde, sondern er stand beiseite mit niedergeschlagenen Augen; und sein Gesicht zeigte einen bekümmerten Ausdruck (obwohl er sonst ein stattlicher Mensch war), der in der allgemeinen Fröhlichkeit nur noch mehr abstach.

      Nur Tante Martha hatte ihn bemerkt. Sie ging gleich auf ihn zu und redete mit ihm. Gleich darauf trat sie wieder zu Marion, die mit Grace und ihrer kleinen Namensschwester eine holde Gruppe bildete, und flüsterte ihr etwas ins Ohr, wovon diese überrascht zu sein schien. Aber bald faßte sie sich wieder, ging mit der Tante zu dem Fremden und begann ein Gespräch mit ihm.

      »Mr. Britain«, sagte der Anwalt und zog ein aktenmäßig aussehendes Papier aus der Tasche, »ich wünsche Ihnen Glück. Sie sind jetzt der einzige und alleinige Eigentümer des freien Besitzes, den Sie bis jetzt als ein konzessioniertes Gasthaus in Pacht hatten und das unter dem Namen ›Muskatsieb‹ bekannt ist. Ihre Frau verlor ein Heim durch meinen Klienten Mr. Michael Warden und erhält jetzt ein neues durch ihn. Ich werde das Vergnügen haben, demnächst mich um Ihre Stimme bei der Wahl zu bewerben.«

      »Würde es einen Unterschied in der Stimme machen, wenn das Schild eine Änderung in seiner Bezeichnung erführe?« fragte Britain.

      »Ganz und gar nicht«, versetzte der Anwalt.

      »Dann«, sagte Mr. Britain und reichte ihm die Schenkungsurkunde zurück, »fügen Sie noch die Worte hinein: ›und Fingerhut‹, und ich will diese beiden Symbole im Wohnzimmer aufhängen lassen, anstatt des Bildes meiner Hausfrau.«

      »Mir aber«, ließ sich eine Stimme hinter ihm vernehmen – es war der Fremde, Michael Warden – »laßt den Inhalt dieser Symbole zugute kommen. Mr. Heathfield und Doktor Jeddler, ich hätte Ihnen beiden großes Herzeleid antun können. Daß es nicht so kam, geschah nicht durch mein Verdienst. Ich will nicht sagen, daß ich um sechs Jahre klüger oder besser geworden bin. Aber auf alle Fälle habe ich so lange bereut. Ich verdiene keine schonende Behandlung von Ihrer Seite. Ich mißbrauchte die Gastfreundschaft Ihres Hauses und lernte meine Schwächen kennen – mit einer Beschämung, die ich nie vergessen habe, aber ich hoffe, auch nicht ohne Nutzen – von einer«, er sah auf Marion, »die ich demütig um Verzeihung bat, als ich ihren Wert und meinen Unwert erkannte. In kurzem werde ich diesen Ort für immer verlassen. Ich bitte Sie alle um Vergebung. Wie ihr wollt, daß euch die Leute tun, so tut ihnen auch! Vergeßt und verzeiht!«

      * * *

      Die Zeit – die mir den letzten Teil dieser Geschichte mitteilte, und die ich zu meiner Freude seit etwa fünfunddreißig Jahren persönlich kenne – benachrichtigte mich, gelassen auf ihre Sense gestützt, daß Michael Warden England nie verließ und sein Haus nicht verkaufte, sondern daß er es wieder mit großzügiger Gastlichkeit eröffnete und eine Gattin hatte, der Stolz und die Ehre der ganzen Umwelt, namens Marion. Aber da ich erfahren habe, daß die Zeit zuweilen Tatsachen durcheinander bringt, so weiß ich wahrhaftig nicht, wieviel Wert ich auf ihre Mitteilung legen soll.

       Ende.

      Die Silvester-Glocken

      (Charles Dickens)

       Inhaltsverzeichnis

       Erstes Viertel

       Zweites Viertel

       Drittes Viertel

       Viertes Viertel

      Erstes Viertel

       Inhaltsverzeichnis

      Es gibt nicht viele Leute – und da es wünschenswert ist, daß ein Geschichtenerzähler und seine Leser so bald als möglich sich gegenseitig verstehen, so erlaube ich mir, zu bemerken, daß ich diese Beobachtung weder auf junge Leute, noch auf kleine Leute beschränke, sondern daß sie allen Arten von Leuten, kleinen und großen, jungen und alten, noch heranwachsenden und bereits wieder zurückwachsenden gilt; – es gibt, sage ich, nicht viele Leute, die gern in einer Kirche schlafen möchten. Ich meine, nicht während der Predigt bei warmem Wetter (wo es wirklich ein-oder zweimal geschehen ist), sondern bei Nacht und allein. Eine große Menge von Menschen würde diese Behauptung, wenn ich sagen wollte: am lichten Tage, gewaltig in Erstaunen setzen. Aber es handelt sich um die Nacht. Es muß genau verstanden werden: um die Nacht. Und ich will dies erfolgreich an einem ersten besten stürmischen Wintertage mit dem ersten besten Gegner beweisen, der allein mit mir auf einen alten Kirchhof, vor eine alte Kirchentür kommen und mir im voraus die Vollmacht geben will, ihn bis zum frühen Morgen, wenn dies zu seinem besonderen Vergnügen notwendig ist, einzuschließen.

      Denn der Nachtwind hat die böse Gewohnheit, um ein Gebäude dieser Art herumzujagen und dabei zu seufzen, mit unsichtbarer Hand an die Fenster und Türen zu rütteln und irgendeine Spalte zu suchen, durch welche er hineinkommen könnte. Und wenn er sich schließlich hineingeschlichen hat, dann wimmert und heult er wie einer, der nicht findet, was er sucht, um wieder hinauszukommen, und begnügt sich nicht, durch die Seitenschiffe zu stürmen, um die Pfeiler zu sausen und die feierliche Orgel zu schlagen, sondern schwingt sich zur Decke


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