Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
Читать онлайн книгу.»Doch hier ist es endlich«, sagte Trotty und legte das zu einem Tee Erforderliche hin. »Alles in bester Ordnung! Ich wußte wohl, daß es Tee und eine Speckscheibe war, Meg, mein gutes Kind, wenn du den Tee machen willst, während dein unwürdiger Vater den Speck röstet, werden wir schnell alles geschafft haben. Es ist ein seltsamer Umstand«, sagte Trotty, indem er sich mit Hilfe der Röstgabel an seine Arbeit machte, »der aber meinen Freunden wohl bekannt ist, daß ich mir aus Speckscheiben und Tee gar nichts mache. Es freut mich, wenn es anderen Leuten schmeckt«, sagte Trotty sehr laut, um die Sache seinem Gaste bemerklich zu machen, »aber mir sind sie zuwider.«
Indes schnüffelte Trotty nach dem Duft des zischenden Specks – ach! – als wenn er ihn gar zu gern äße; und als er das kochende Wasser in die Teekanne goß, schaute er liebevoll in die Tiefen des sauberen Kessels und ließ sich den duftigen Dampf um die Nase kräuseln und Kopf und Gesicht in eine dichte Wolke einhüllen. Bei alledem aber aß und trank er nicht, ausgenommen im ersten Anfange einen einzigen Bissen der Form wegen, den er mit unendlichem Wohlgeschmack zu essen schien, wiewohl er erklärte, daß er ihm gar nicht besonders schmeckte. Nein, Trottys Sache war, Will Fern und Lilly essen und trinken zu sehen, und genau so machte es Meg. Und niemals fanden die Zuschauer bei einem Citygastmahl oder bei einem Hofbankett so ehrliches Vergnügen daran, andere speisen zu sehen, selbst wenn es ein Monarch oder der Papst gewesen wäre. Meg lächelte Trotty an, Trotty lächelte Meg an. Meg schüttelte den Kopf und wollte glauben machen, daß sie in die Hände klatschte, um Trotty Beifall zu spenden; Trotty erzählte Meg in stummer Sprache unverständliche Geschichten, wie, wann und wo er ihren Besuch gefunden; und sie waren glücklich. Sehr glücklich!
»Obgleich«, dachte Trotty bekümmert, indem er Megs Gesicht beobachtete, »diese Verbindung abgebrochen ist, wie ich sehe!«
»Nun will ich Euch etwas sagen«, sagte Trotty nach dem Tee. »Die Kleine schläft bei Meg, das kann ich mir denken.«
»Bei der guten Meg«, sagte das Kind sie liebkosend, »bei Meg!«
»Das ist recht«, sagte Trotty. »Und ich würde mich gar nicht wundern, wenn sie auch Megs Vater einen Kuß gäbe, ja? Ich bin Megs Vater.«
Trotty freute sich außerordentlich, als das Kind schüchtern auf ihn zukam, und nachdem es ihn geküßt, kehrte es wieder zu Meg zurück.
»Sie ist so weise wie Salomo«, sagte Trotty. »Hier kommen und hier gehen – nein – wir kommen nicht, ich versprach mich – ich – was wollte ich doch sagen, Meg, meine gute Tochter?«
Meg blickte nach ihrem Gast, der auf ihrem Stuhle lehnte und mit abgewandtem Gesicht den Kopf des Kindes streichelte, der in ihrem Schoß halb versteckt ruhte.
»Freilich«, sagte Toby, »freilich, ich weiß nicht, wo ich heute meine Gedanken habe; ich bin sehr zerstreut. Will Fern, Ihr kommt mit mir. Ihr seid todmüde, und der Mangel an Ruhe hat Euch völlig aufgerieben. Ihr kommt mit mir!« Der Mann spielte immer noch mit des Kindes Locken, lehnte immer noch auf Megs Stuhl, indem er immer noch sein Gesicht abwandte. Er sprach nicht, doch in seinen rauhen, dicken Fingern, die in dem schönen Haar des Kindes wühlten, lag eine Beredsamkeit, die genug sagte.
»Ja, ja«, sagte Trotty, indem er, ohne es zu wissen, beantwortete, was er in dem Gesicht seiner Tochter ausgedrückt sah. »Nimm sie mit dir, Meg, bring’ sie zu Bett. Und Euch, Will, will ich zeigen, wo Ihr liegt. Sehr vornehm ist der Platz nun gerade nicht, denn es ist nur ein Heuboden, doch das ist einer von den großen Vorteilen, wenn man in einem Marstalle wohnt, daß man einen Heuboden hat; und bis Remise und Stall besser vermietet sind, wohnen wir hier billig. Es ist viel weiches Heu oben, das einem Nachbarn gehört, und es ist so reinlich, wie es Megs fleißige Hände machen können. Immer munter! Ihr dürft nicht verzagen! Ein frisches Herz zum neuen Jahr, allemal!«
Die Hand, die des Kindes Haar losgelassen hatte, zitterte, als sie in Trottys Hand gefallen war, der seinen Gast, immerfort schwatzend, nun so bedachtsam und liebevoll hinausführte, als wenn er selbst ein Kind gewesen wäre.
Da er früher als Meg zurückkehrte, lauschte er einen Augenblick an der Tür ihrer kleinen Kammer, welche an die Stube stieß. Das Kind sprach ein einfaches Gebet, ehe es sich schlafen legte, und als sie Megs Namen zärtlich genannt hatte, hörte Trotty, daß sie abbrach und nach dem seinen fragte.
Es dauerte einige Zeit, ehe der kleine närrische Mann sich sammeln, das Feuer schüren und seinen Stuhl an den warmen Kamin rücken konnte. Doch als er dies getan und das Licht geputzt hatte, nahm er seine Zeitung aus der Tasche und fing an zu lesen, zuerst gleichgültig und nur mit den Augen die Spalten auf und nieder fliegend, sehr bald aber mit trüber Aufmerksamkeit und düsterem Ernst.
Denn selbige gefürchtete Zeitung lenkte Trottys Gedanken wieder auf die Dinge zurück, die ihn den ganzen Tag beschäftigt hatten. Sein Interesse an dem Wanderer mit dem Kind hatte ihn für einige Zeit auf andere und glücklichere Gedanken gebracht; als er aber wieder allein war und von den Verbrechen und Gewalttaten des Volkes las, fiel er wieder in seine früheren Gedanken zurück.
In dieser Stimmung stieß er auf einen Bericht – und es war nicht der erste, den er je gelesen hatte – von einem Weibe, welche ihre verzweifelte Hand nicht nur an ihr eigenes Leben, sondern auch an das ihres Kindes gelegt hatte. Ein so schreckliches Verbrechen, welches seine von Liebe zu Meg erfüllte Seele so empörte, daß er die Zeitung fallen ließ und entsetzt in den Stuhl zurücksank.
»Unnatürlich und grausam«, sagte Toby; »unnatürlich und grausam! Nur Leute, die von Herzen schlecht, von Natur böse sind, die auf der Erde nichts zu tun haben, können solche Dinge tun. Es ist nur zu wahr, was ich heute gehört habe, zu richtig, nur zu oft von der Erfahrung bewiesen: wir sind böse!«
Die Glocken nahmen die Worte so plötzlich auf, brachen so laut, hell und klar heraus, daß er von den Glocken auf seinem Stuhle wie vom Schlage getroffen schien.
Und was war es, was sie sagten?
»Toby Veck, Toby Veck, warten auf dich, Toby! Toby Veck, Toby Veck, warten auf dich, Toby! Komm, besuch’ uns, komm, besuch’ uns, schlepp’ ihn zu uns, schlepp’ ihn zu uns, plag’ und jag’ ihn, plag’ und jag’ ihn, stör’ im Schlaf ihn, stör’ im Schlaf ihn! Toby Veck, Toby Veck, Tür weit offen, Toby Veck, Toby Veck, Toby Veck, Tür weit offen, Toby!« – Dann fingen sie wieder von neuem an mit ihrem wilden, ungestümen Liede, und selbst die Backsteine und der Mörtel an den Wänden hallten davon wider.
Toby lauschte. Einbildung, Einbildung! Er war am Nachmittag ungern von ihnen weggegangen! Nein, nein. Nichts davon. Aber nun wieder und wieder und noch ein dutzendmal: »Plag’ und jag’ ihn, plag’ und jag’ ihn, schlepp’ ihn zu uns, schlepp’ ihn zu uns!« Sie betäubten die ganze Stadt.
»Meg«, sagte Trotty, leise an ihre Tür klopfend, »hörst du etwas?«
»Ich höre die Glocken, Vater, sie sind heute wirklich sehr laut.«
»Schläft sie?« fragte Toby, gleichsam als Entschuldigung, weshalb er hineinguckte.
»O, so glücklich und friedlich! Doch kann ich sie noch nicht verlassen. Sieh nur, wie sie meine Hand festhält!«
»Meg«, flüsterte Trotty, »höre einmal die Glocken.«
Sie lauschte, die ganze Zeit über ihr Gesicht ihm zukehrend, doch die Züge veränderten sich nicht. Sie verstand ihn nicht.
Trotty entfernte sich, nahm seinen Sitz am Feuer wieder ein und lauschte noch einmal allein. Er blieb hier eine kurze Zeit.
Es war unmöglich, es auszuhalten; ihre Stärke war furchtbar.
»Wenn die Turmtür wirklich offen ist«, sagte Toby und legte hastig seine Schürze beiseite, aber ohne an seinen Hut zu denken, »was kann mich hindern in den Turm zu gehen und mich selber zu überzeugen? Wenn sie verschlossen ist, dann brauche ich keinen anderen Beweis. Der genügt.«
Er war ziemlich überzeugt, als er leise auf die Straße hinausschlich, daß er die Tür verschlossen und verriegelt finden würde, denn er kannte dieselbe gar wohl und hatte sie so selten offen gesehen, daß er sich nicht mehr als dreimal zusammen erinnern