Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge
Читать онлайн книгу.verabschiedet und den Hörer aufgelegt hatte, klingelte es an der Tür.
»Ich geh schon«, rief Amelie und hüpfte durch den Flur. Als sie öffnete, stand draußen vor der Tür der junge Mann vom oberen Stockwerk.
»Ach, Sie schon wieder«, sagte sie und musterte ihn nicht gerade freundlich. Sie konnte ihn nicht leiden – und das ließ sie sich anmerken. Für ihre Ablehnung hatte sie gleich mehrere Gründe. Zum einen hatte sie mitbekommen, daß er ihre Mutter sehr unhöflich behandelt hatte, als oben in Herrn Brückners Wohnung der Wasserschaden und seine unangenehmen Folgen beseitigt wurden. Zum anderen gefiel es ihr nicht, wie er neuerdings ihre Mutter anschaute – fast so, als wäre er in sie verknallt. Und zum dritten fürchtete sie, daß dieser Mann ihr etwas von der kostbaren Zeit mit ihrer geliebten Mutter stehlen könnte, und sich vielleicht sogar zwischen sie drängen würde. In Amelie schwelte eine unbewußte Eifersucht. »Was wollen Sie denn überhaupt?«
»Wer ist es denn?« rief Nina vom Wohnzimmer her.
»Ach, nur der Mann von oben«, meinte Amelie. Mit ihrem kleinen Körper versperrte sie förmlich den Eingang, so daß er keinen Schritt näher kommen konnte.
»Der Mann von oben?« sagte Nina fragend und kam herbei.
»Ja, der oben bei Herrn Brückner in seiner Wohnung wohnt«, erklärte Amelie ungnädig und hätte ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeknallt. Als Nina beim Näherkommen den jungen Mann, der immer noch vor der Tür stand, erkannte, flog eine leichte Röte über ihr Gesicht.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte sie freundlich. Er hob beide Hände mit einer entschuldigenden Geste.
»Ich habe doch bei Ihnen noch etwas gutzumachen«, brachte er ein wenig schüchtern hervor. »Und so habe ich gedacht, ich könnte doch für uns Kinokarten besorgen. Es gibt einen guten Film im ›Astoria‹-Kino.«
»Danke, das ist sehr nett«, entgegnete Nina und ignorierte den entrüsteten Ausruf Amelies. Ihre Mutter sollte mit diesem Mann ins Kino? Niemals! »Ich würde liebend gerne mitgehen, aber ich gehe abends nie weg. Ich lasse Amelie nicht gern alleine.«
»Ja, dann«, sagte er niedergeschlagen und wollte schon gehen. Es tat Nina leid, ihn mit enttäuscht gesenktem Kopf fortzuschicken.
»Kommen Sie doch herein, Sie müssen nicht im Treppenhaus stehenbleiben!« forderte sie ihn
auf.
»Aber – wir wollten doch gerade essen!« rief Amelie empört.
»Nun, da kann er doch mit uns essen!« meinte Nina. »Das heißt, wenn er nichts besseres vorhat.«
»Nein, habe ich nicht!« beeilte er sich, freudig zu versichern. Das war ja das beste, was ihm passieren konnte: eine Einladung, zum Essen bei Nina Mertens zu bleiben! Die ganze Zeit hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie er mit ihr ins Gespräch kommen, wie er die so unglücklich begonnene Bekanntschaft wieder aufnehmen konnte. Er wollte sie so gerne davon überzeugen, daß er nicht der Unmensch, der eingebildete, hochnäsige Mensch war, für den sie ihn anfangs gehalten hatte. Und er wollte schlicht und einfach in ihrer Nähe sein, sie ansehen, mit ihr sprechen, alles über sie erfahren.
Bei Tag und bei Nacht mußte er an sie denken. Immer wieder rief er sich ihr Lächeln, den Blick aus ihren goldbraunen Augen, ihre warme Stimme ins Gedächtnis. Er hätte am liebsten jede Stunde des Tages in ihrer Nähe verbracht. Kaum konnte er sich auf seine Arbeit konzentrieren, so sehr war sie in seinen Gedanken.
Kurz gesagt, er hatte sich in sie verliebt.
Alles, was er über sie wußte, war, daß sie eine Tochter hatte und daß es – das hatte er aus der alten Frau Meyer herausgequetscht – keinen Ehemann und offensichtlich keine feste Beziehung in ihrem Leben gab. Sie lebte alleine mit dem Kind und war berufstätig.
»Vielen Dank, das ist ja wunderbar, daß ich zum Essen bleiben darf«, freute er sich. Er trat hinter Nina ins Wohnzimmer und übersah geflissentlich Amelies finstere Miene.
»Ich möchte Sie etwas fragen«, begann Nina leicht verlegen.
»Ja, bitte«, sagte er gespannt, und mußte herzlich lachen, als sie mit ihrer Frage herausrückte.
»Ich wollte Sie gerne nach Ihrem Namen fragen«, sagte sie, und eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. »Ich weiß ja gar nicht, wie ich Sie anreden soll.«
»Ich heiße Matthias. Matthias Brückner. Aber sagen Sie doch bitte einfach Matthias zu mir.«
»Und ich bin Nina Mertens. Sagen Sie einfach Nina«, sagte sie. Sie vergewisserte sich mit einem Blick, daß Amelie im Zimmer war, und stellte ihre Tochter vor. »Und das ist Amelie.«
Amelie sah mürrisch zur Seite und gab keinen Ton von sich. Sie lief in die gemütliche Wohnküche und kletterte auf die Eckbank. Nina legte Besteck und Teller für Matthias auf den Tisch und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen auf.
»Es gibt nur Maccaroni mit Tomatensoße, nichts besonderes«, sagte sie entschuldigend.
»Du sagst, es ist nichts besonderes«, warf die Kleine mit beleidigter Miene ein. »Es ist aber meine allerliebste Leibspeise.«
»Ja, es ist deine Leibspeise«, stimmte Nina zu. »Und – weil Amelie das lieber mag als geriebenen Käse – streuen wir uns in Butter geröstete Semmelbrösel darüber. Und einen frischen grünen Salat gibt es auch dazu.«
»Nichts besonderes – sagen Sie, Nina?« meinte Matthias und in seinen tiefblauen Augen war ein Lachen. »Das war auch meine Leibspeise, als ich ein kleiner Junge war. Maccaroni mit Tomatensoße und geröstete Semmelbrösel darüber! Das sind ja richtige Kindheitserinnerungen, die Sie in mir wachrufen.«
Er sah sie mit einem Blick so voller Zuneigung an, daß sie sich verlegen zur Seite wandte. Amelie dagegen schaufelte sich schweigsam ihren Teller bis zum Rand voll und zog ihn zu sich herüber. Sie übersah geflissentlich den tadelnden Blick ihrer Mutter, auch, als die Tomatensoße überschwappte und einen roten Klecks auf dem Tischtuch hinterließ. Matthias stand eilfertig auf, holte ein feuchtes Spültuch und tupfte den Fleck vorsichtig weg.
»Tomatensoße macht nun mal rote Flecken«, meinte er halb tröstlich und halb scherzhaft, aber Amelie würdigte ihn keiner Antwort und keines Blickes. Nina warf Matthias einen entschuldigenden Blick zu und forderte ihn auf, sich zu bedienen, und er ließ sich nicht lange bitten. Unter Amelies scheelem Blick begann er, mit Appetit zu essen.
Obwohl Nina ihrer Tochter immer wieder aufmunternd zu-lächelte, blieb die Kleine mürrisch und ablehnend. Sie kniete sich gar auf die Eckbank und schaute in die halbgeleerte Schüssel mit Maccaroni hinein.
»Es ist ja kaum noch was übrig – und dabei habe ich so einen großen Hunger!« sagte sie anklagend und schaute Matthias nicht nur vorwurfsvoll, sondern auch richtig böse an. Nina war das Verhalten ihrer Tochter schrecklich peinlich. Erstens fand sie es einem Gast gegenüber ungehörig, zweitens war sie von Amelie ein solch rüdes Benehmen nicht gewohnt.
»Du bist sofort still, Amelie. Es ist genug für alle da«, sagte Nina scharf, und Amelie zog den Kopf ein. Das fehlte gerade noch, daß ihre Mutter wegen dieses Mannes böse auf sie wurde! Sie übersah Matthias’ aufmunterndes Lächeln, lehnte mit eiserner Miene den Nachtisch ab und ging beleidigt in ihr Zimmer. Mit Nachdruck drückte sie die Tür fest ins Schloß.
»Nun, ich fürchte, bei Ihrer Tochter habe ich keinen Stein im Brett«, meinte Matthias bedrückt. »Was kann ich denn nur tun, um ihre Freundschaft zu gewinnen?«
»Diese Art kenne ich gar nicht an ihr – so kratzbürstig und unfreundlich«, entschuldigte sich Nina. »Es ist mir peinlich, daß sie sich Ihnen gegenüber so unhöflich benimmt. Sie ist eigentlich ein liebes Mädchen.«
»Sie wird schon ihre Gründe haben«, meinte er. Nina sah ihn an, ihre Nasenflügel bebten leicht – und beide dachten im selben Augenblick das gleiche: Amelie ist – eifersüchtig…
Als hätte dieser Gedanke eine Schranke zwischen ihnen niedergerissen, legte er ihr beide Hände auf die Schultern und zog sie an sich.