Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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war.

      *

      Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült.

      Er lag mitten im Wassertümpel. Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus. Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel.

       Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck.

      ‚Ein Stein‘ dachte sie — ‚oder?‘

      Schon lange hatte sie sich am Fenster aufgehalten und hinausgesehen, bald halb knieend, auf dem Stuhl, bald im Stuhl lehnend, die jungen Hände um das Knie gefaltet; bald hatte sie mit den Fingern am Fensterglas leise geklimpert oder eine Lockenspitze zwischen die Zähne genommen und daran geknabbert.

      Der kleine feste Kopf mit dem dunkeln Geschau, prächtig frei auf dem schlanken Hals sitzend, war unverwandt auf das geschäftige Wühlen der Arbeiter gerichtet.

      Wenn sie da unten wieder einen Fund gethan, ist sie immer mit ganzer Seele dabei gewesen. ‚So etwas! — so ein Glück, die grausliche Geschichte vor dem Fenster zu haben! Wie gut, daß sie hier gemietet hatten!‘

      Sie sah so befriedigt aus. Über ihr, am weißen, verwaschenen Fenstervorhang, hängt ein fünffaches Kißchen, eins über dem andern, aus gelbem Atlas, ein Riechkißchen mit Irispulver gefüllt, und dieser trockene Duft berührt mit jedem Atemzug ihre Geruchsnerven.

      Das Zimmer, in dem sie sich aufhält, paßt nicht gerade gut zu der verwöhnten hingerekelten Gestalt des jungen Geschöpfes.

      Es hat etwas Spießbürgerliches, etwas Verbrauchtes, etwas, aus dem sie herausgewachsen ist.

      Es sind da auch zwei Seelen in dem einen Raum zu spüren. Zwei grundverschiedene Seelen, mit grundverschiedenen Angewohnheiten.

      Das eine schmale Bett mit einem roten, altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt, das nach einer Altarverkleidung aussieht; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet, kein Fältchen, keine Unebenheit. Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern, Freundinnen.

       Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet, japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams, alles wohl abgestäubt.

      An der Wand des Bettes mit der geflickten Purpurdecke ist nichts dergleichen zu sehen; nur ein paar unaufgezogene Originalphotographien nach alten Meistern sind hier mit gelben Zeichenstiften fest gemacht.

      Die tiefen, vornehmen Töne unterbrechen das Banale der Wand.

      *

      Die Thür zum Nebenzimmer wird geöffnet und eine weinerliche Stimme sagt:

      „Hast du denn garnichts weiter zu thun?“

      Die Stimme gehört einer langen schlanken Frau mit kleinem Kopf und feiner Gestalt.

      „Ach — das ist doch zu arg!“

      Jetzt wendete sich das Mädchen um. Sie schien zuerst nicht gehört zu haben.

       „Mama?“ antwortete sie.

      „Thust du denn auch gar nichts?“ — dieselbe weinerliche Stimme.

      „Was soll ich denn thun?“

      „Siehst du denn nicht, wie ich mich plage?“

      „Ach Mama.“

      Es lag so etwas in dieser gedehnten müden Antwort, als wollte sie sagen: Laß doch! Ich weiß wirklich nicht, was ich thun soll. Du plagst dich doch auf alle Fälle!

      „Nun, und Marie, weiß die es etwa nicht?“

      „Ja wohl, gescheidter wär’s aber, ihr ließt das Mädel mehr arbeiten, ihr verderbt jedes Mädchen.“

      „Werden etwa alle Tage Kapuziner hier ausgegraben?“

      „Das fehlte auch noch! Wie kannst du da nur immer zusehn? Ich bin froh, wenn ich nichts davon gewahr werde.“

      „Laß mich doch!“

      „Frau Doktor!“ rief dreimal hinter einander die ungebildete überlaute Stimme des Dienstmädchens vor der Thür.

      Und, als hätte ihr Vorgesetzter gerufen, war Frau Doktor Frey hastig zum Zimmer hinausgeschlüpft.

      Die junge Isolde seufzte, dehnte sich und hockte sich wieder am Fenster zurecht.

      Der Regen hatte nachgelassen. Der Tümpel auf dem Totenfeld war fast eingekrochen. Schimmernde Wasserblasen saßen im Sande und platzten und ließen einen feinen schwarzen Ring zurück, aus winzigen Kohlen- und Holzteilchen gebildet.

      Auch der ganze Tümpel hatte die verschiedenen Stadien seines Einkriechens mit schwarzen Linien bezeichnet — tripp, trapp, troll.

      Hier hatte er ein wenig gezögert, hier wieder, hier wieder. Es war wie eine feine Linienarbeit.

      Die kleine beinerne Insel, um die die Wellchen des Tümpels gespült hatten, der Schädel, lag jetzt ganz frei; auch um die Stirn saß das schwarze Linienwerk in perlmutterschimmernden Bläschen und leichtem Wasserschaum.

      Das alles sah das junge Mädchen. Sie hatte aus einem Schubfach ein Opernglas genommen und hielt es auf den Schädel gerichtet.

      Dann ging sie im Zimmer auf und nieder, ganz nachdenklich und nahm dann wieder das Opernglas.

      Die Dämmerung brach herein und am Himmel drohten schwarzblaue Wolken zu neuem Regenguß.

      Es kam ein Nachtrab.

      Vielleicht erst jetzt das Wahre! Auch der Wind hatte sich wieder erhoben. Die Leute rannten schon mit aufgespannten Regenschirmen.

      Des Mädchens ganzes Benehmen wurde ein unruhiges; etwas Unschlüssiges lag in ihren Bewegungen.

      Sie wanderte weiter im Zimmer auf und ab.

      Jetzt öffnete sie den Schrank, griff nach dem Hut, band ein Schleierchen vor, vorsichtig huschte sie aus dem Zimmer; draußen nahm sie ihren Regenmantel um, ging dann zur Korridorthür hinaus, und unter dem Regenschirm gerad über das aufgewühlte nasse Erdreich. Mit einem leichten blitzschnellen Niedertauchen hatte sie etwas ergriffen und schüttelte sich vor innerem Ekel.

      Sie schaute sich ängstlich um und vor der Hausthür blieb sie wieder aufatmend stehn.

      Wie ihr das Herz schlug!

      Aber, was sie wollte, hatte sie. Und etwas später wäre sie von den Arbeitern überrascht worden.

      Sie hörte sie kommen, auch der Kapuziner war unter ihnen.

      Sie murmelten und lachten; der Kapuziner hatte etwas Drolliges gesagt, wie es schien. Sie waren alle sehr guter Laune, denn sie hatten während des Regens im nächsten Gasthaus eins getrunken.

      Durch die enge Jungfernturmgasse, die auf den Platz mündet, kam ein Leichenwagen gefahren, und stand bald vor dem kleinen Totenfeld.

      Isolde hielt den Schädel unter dem Regenmantel verborgen.

      Unausgesetzt dieses Ekelgefühl und das Grausen — auch ein Gefühl der Schuld, so geheimnisvoll anziehend, wie aus einer andern Welt.

      Die Kisten wurden von den Arbeitern gelupft und in den Wagen geschoben.

      „Fahrt hin, ihr nassen Deiwel,“ sagt einer.

      „Herrschaft, seid’s ihr schwer!“ ein anderer. „Die haben sich zu guter Letzt noch tüchtig eins angedudelt.“

      Isolde drückte sich voller Grauen eng an die Hausthür an und erst als der gefüllte Leichenwagen dumpf davon rollte, trat sie ein.

      „Du bleibst eben bei mir“, sagte sie warm und trug ihren sonderbaren Schatz die Treppe hinauf.

      Oben angekommen, warf sie Hut und Mantel ab und ging mit dem Schädel in der Hand in die Küche.

      


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