Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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der Schädel predigt ihr nur von dem in die Erde kommen, von dem zu Erde werden lieber Menschen. Arme — arme Mama!

      Sie weinte oft nachts.

      Hätte sie aber gewußt, weshalb Isolde den Schädel aufgestellt hatte, ihre weiche Seele wäre erschauert und sie hätte das große Opfer nicht gebracht. Wenn der Schädel wirklich in irgend etwas an Henry Mengersen erinnerte, von dem Isolde ihr gesprochen hatte, nein, dann gewiß nicht.

      Marie ahnte aber von Isoldens Geheimnis nichts.

      *

      Es mußte gut zwei Uhr nachts sein. Alle schliefen, die laue Sommerluft drang durch die offenen Fenster. Da klang die Glocke kräftig und anhaltend. Jemand mußte von der Straße aus auf das Läutwerk gedrückt haben.

      „Da schellen sie schon wieder, die Studenten unten,“ meinte Marie ganz schlaftrunken.

      „Der Vater!“ Isolde saß aufrecht, aus dem Schlaf gescheucht, im Bett.

      Auf dem Gang hörten sie schlürfende Schritte und sahen einen Schein durch das Glasfenster ihrer Thür.

      „Es ist doch der Vater,“ meinte Marie. „Mama schließt die Thür auf.“

      Mama wollte nicht, daß die Mädchen die Hausthür öffneten, wenn der Vater spät heimkehrte. Sie sollten ruhig in den Betten bleiben und schlafen.

      So blieben sie ruhig liegen. Ehe die Mutter die zwei Treppen herabgekommen war, klingelte es noch einmal schrill und anhaltend, als stände ein auf Leben und Tod Verfolgter unten, der sich retten wollte.

      „So macht’s Pa nachts doch immer,“ sagte Isolde.

      *

      „Sapperlot noch einmal! Liegt ihr denn alle miteinander auf beiden Ohren?“

      Das war die Begrüßung, die Doktor Frey fürs erste seiner Frau zu Teil werden ließ, als diese die Thür geöffnet hatte.

      „Da bist du ja“, sagte Mama. „Weshalb hast du denn aber nicht geschrieben?“

      „Daß i net lach! Liebesbriefe etwa? He Alte?“

      Ohne seine Antwort zu beachten, sagte sie: „Du hättest dann auf den schwarzen Kaffee nicht zu warten brauchen.“

       „Sput dich halt.“

      Sie nahm ihm das Köfferchen ab und trug es ihm nach.

      „Geh in dein Zimmer, Heinrich!“ — Da war sie schon dabei, die Küchenlampe anzuzünden.

      „Natürlich,“ rief Doktor Frey und rumorte mit aller Gewalt an der Thür, „den Schlüssel verschleppt!“

      „Bst!“ machte Mama. „Du weckst sie ja! Hier ist der Schlüssel,“ flüsterte sie, reckte sich und langte auf den Schrank, der neben der Arbeitsstubenthür stand. „Hier.“

      Doktor Frey hielt die Lampe, aber hielt sie bedenklich schief.

      Die Frau streifte ihn mit einem einzigen langen Blick, wie ein Heizer etwa auf das Ventil seiner Dampfmaschine schaut, mit unendlicher Sachkenntnis.

      Sie nahm Lampe und Schlüssel ihrem Mann aus den Händen und schloß die Thür auf.

      „Der Kaffee kommt sofort.“

       „Schlafen die Bamsen?“ fragte er ihr nach.

      Sie hörte ihn nicht mehr.

      Kaum aber brannte die Spiritusmaschine unter dem kleinen Schnellkocher, war er ihr auch schon nachgekommen und stand in der Küche.

      Sie schaute erstaunt auf.

      Seine Gewohnheit war das nicht.

      „Na?“

      Er schaute blinzelnd auf sie.

      „Ein zartes Negligé thut oft viel größre Wunder!“ deklamierte er mit mächtiger Stimme.

      „Bst,“ machte sie.

      Sie stand in der Nachtjacke und in einem grauen Flanellrock vor ihm, die bloßen Füße in Bambuschen.

      „Allerliebst,“ meinte er.

      Er blinzelte weiter.

      „Waret ihr alle noch bei einander bis heut?“ Sie schüttete den gemahlenen Kaffee in den Trichter.

      „Unterschiedlich — aber sehr unterschiedlich.“

       „Wie?“ fragte sie.

      „Unterschiedlich!“ rief er mit donnernder Stimme.

      „Was soll denn das heißen, Heinrich?“ mahnte sie mit sanftem Vorwurf.

      „Schlafen die Bamsen?“

      „Natürlich.“

      „Was sagst du’s denn net früher. Weißt du wo wir waren?“

      „Nein.“

      „Heiliger Strohsack,“ seufzte er tief auf. „Ja — nein — nein — ja! — wie eine Maschine.

      Ein Mann wie ich kommt nach Haus, — Gott sei’s geklagt, ein Mann, den sie die Tage her geradezu gefeiert haben, ein Mann, den sie auf Händen tragen, auf den sie, weiß Gott, hören und sich nicht Watte in die Ohren stopfen, wenn er redet; — ein Prophet — ein — ein — ein — — — und hier! ……

      Ich sag dir’s,“ donnerte er — denn er war in Begeisterung. Er fühlte und sah und empfand sich und seine eigene Größe.

      „Stell dir einen in einem herrlichen Tempel vor, Licht, Glanz — Musik — schöne Weiber!

      Er ist der Mittelpunkt. Lebensfreudigkeit, — Lebenshöhe — und der Erdboden thut sich auf und er rutscht ganz sachte, ohne sich weh zu thun in ein schwarzes Loch.

      Da sitzt er nun!“ —

      Doktor Frey seufzte tief auf und rieb sich die Nase.

      „So kommt einer nach Hause!“

      Mama maß ihn wieder mit demselben sachkundigen Blick.

      Frau Doktor Frey hatte sich angewöhnt, auf das, was ihr Mann zwischen zwei und drei und vier Uhr nachts aussprach, nicht besonders zu achten.

      Sie goß jetzt den Kaffee über. Es duftete anregend und appetitlich.

      „So komm, trink jetzt,“ sagte sie, stellte Kännchen, Tasse und Zuckerdose auf ein Tablette und ging ihrem Gatten damit voraus.

      Ihre Handlungsweise war die einer Person, die ihrer Natur und der Erfahrung nach durchaus so handeln muß, wie sie handelt.

      Es gab da keinen Ausweg mehr. Aber Doktor Frey mochte heute außerordentlich aufgebracht und unangenehm berührt sein.

      Er schlug die Küchenthür Mama vor der Nase zu, daß es durchs Haus dröhnte.

      Sie beachtete es nicht, öffnete, als wäre nichts geschehen, die Thüre wieder, trat gleich hinter ihm drein ins Arbeitszimmer und goß ihm den Kaffee ein.

      „Trink nun,“ sagte sie noch einmal.

      „Weißt du, laß dich wenden!“ schrie er, „an dem Muster hätt’ ich mich endlich satt gesehn!“

      Von zwei bis vier Uhr nachts aber war sie undurchdringlich, unbezwinglich, unverletzbar, zu seinem allergrößten Ärger.

      Er wußte sich nichts Schlimmeres, denn in dieser Stunde war sie ihm über. Was hatte er ihr in den letzten Jahren in diesen späten Stunden nicht alles angethan! — nicht alles gesagt — und hatte doch die Fessel nicht abschütteln können.

      Wie eine Zwangsjacke empfand er sie, eine elende verächtliche Jacke — aber er konnte sich doch nicht bewegen, wie er wollte.

      Sie hatte sich selbst so ganz verloren, daß sie an sich nichts mehr zu schützen und zu


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