Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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      Aber heute war er auf die Bamsen ganz versessen.

      „Sapperlot,“ rief er mit einem Mal mächtig, „wenn der Vater acht Täg’ net daheim war, wer hat das Recht ihm seine Bamsen vorzuenthalten?“

      Er trat zum Korridor hinaus und rief donnernd: „Marie! Isolde!“

       Hoch aufgerichtet stand er wie ein Streiter Gottes, die Brust geschwellt, die Augen mit Mannesmut auf seine Frau gerichtet.

      Ein ganz klein wenig hielt er sich am Thürpfosten.

      Er hatte heut etwas mehr, als die gewöhnliche Bettschwere, mit heimgebracht — etwas mächtig Heiteres.

      Unmöglich konnte er sich so zur Ruhe legen, denn er kam von seinem eigenen Triumphzug. Es war ihm vortrefflich ergangen.

      Marie und Isolde traten ein, trugen auch, wie die Mutter, Flanellröcke und Nachtjäckchen.

      „Ah! Spießbürger!“ rief Doktor Frey. „Ist das ’ne Zucht! So wie die Alten sungen, zwitschern die Jungen.

      Déesse! daß i net lach! In a Nachtjacken un’ Flanellhansel! Schamt’s euch net, Bamsen?“

      Die Mädchen sahen verdutzt und verlegen auf ihren Vater.

      Sie waren trotz ihrer spießbürgerlichen Morgentoilette herrlich anzusehn in ihrer scheuen Jugendlichkeit, die kleinen rosigen Häupter mit den köstlichen lockigen Haarschöpfen, die eine dunkel, die andre goldig leuchtend, und die jungen vollen Glieder, in weicher Schläfrigkeit.

      Mit ihnen schien ein süßer Jugendduft ins Zimmer gekommen zu sein, als wären sie aus einem wundervollen Sommergarten, in dem die Linden, Reseden, Levkojen und Lilien in voller Blüte stehen, hier eingetreten, und hätten einen Hauch dieser Wohlgerüche mitgebracht.

      Der Anblick seiner prächtigen Mädchen wirkte auf den Vater unbedingt besänftigend.

      „Bamsen!“ rief er, er hatte sich jetzt an das Fenster zurückgezogen und hielt sich ein wenig an’s Fensterbrett gestützt.

      „Bamsen, ich bring’ euch was mit heim. Freut euch, Mädels!“

      Noch nie hatten die Mädchen ihre Mutter gesehn wie eben jetzt — so alt — so müde — so gleichgültig.

       Ihr war soeben ihr letztes Privilegium genommen.

      Bisher hatte er noch nie gewagt die Mädchen wirklich zu rufen. Ein Blick von ihr hatte immer in diesem einen Fall genügt, ein „Bst“.

      ‚Ah so die schlafen, die Bamsen.‘

      Sie hatte die Mädchen vor diesen nächtlichen Eindrücken behüten wollen, für immer.

      Nun war es geschehn.

      Und was war denn geschehn? Er erzählte ihnen harmlos von einer schönen Frau, die am Starnbergersee wohnt, und deren Gast er jetzt drei Tage gewesen. Einer der Berliner Schriftsteller hatte ihn dort eingeführt.

      „Und euch hat sie eingeladen. He? Was? Na, was sagt ihr?

      Übermorgen schon.“

      „Wer ist sie denn?“ fragte Marie leise.

      „Ja wohl, nur immer vorsichtig Philisterseelchen!“ Doktor Frey lachte laut auf.

      „Die Frau eines Gesandten ist sie. Genügt das den gnädigsten Bamsen? Steinreich! Ein Weib, sag’ ich!“ Doktor Frey berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen und schickte einen Kuß zur Decke.

      „Ein Weib!“ — Er war verzückt. „Ein Götterbild!

      Gott, noch einmal, was man sonst so „Weib“ nennt! daß i net lach!

      Was für grundgütiges Gansvolk muß unsere edle Weiblichkeit doch sein, daß ich mein Lebtag nichts Ähnlichem begegnet bin!

      Da scharren sie so einen armen Teufel ein, ohne daß er ein allereinziges Mal das gesehn hat, was der liebe Herr Gott doch für ihn bestimmte, das Weib in seiner Vollkommenheit, das vollkommene Weib!

      Und durch eure Spießbürgerlichkeit kommt der Mann um sein bestes Teil, das ihm doch von Rechtswegen zukäme.

      Nicht einmal rechte Weiber können diese Weiber sein!

       Ja, was seid ihr denn eigentlich, wenn man fragen darf?“

      Er schwankte ein paar Schritte auf seine Frau zu.

      „Nichtskönnerinnen ihr! Kinder auf die Welt setzen, Gott seis geklagt und herum nörgeln und duddeln, vom Manne Kleider und Hüte erlisten, dem Manne auf dem Geldbeutel liegen, dem Manne auf die Finger passen. Wehmutsspritzen, Geldausgeberinnen! Hemmschuh für alles Große. Blutige Thränen könnt’ einer weinen!“

      Er wischte sich über die Augen. Es war da auch etwas zum Fortwischen.

      Frau Doktor Frey hörte ihren Gatten ruhig poltern und verzog keine Miene.

      „Aber das grüne Holz!“ donnerte er. „Ist denn da gar nichts zu machen? Eben so verstockt? kein Hauch von Schalkhaftigkeit? das trottet alles so schwer!

      Herr Gott, so ein armer Teufel! Was hat er denn eigentlich auf dieser Welt!“

       Doktor Frey war wieder bis zu Thränen gerührt.

      „Also ihr seid eingeladen, Bamsen! in ein Feenreich — sperrt Maul und Ohren auf — und lernt dort was!

      Ich bring euch übermorgen hin. Basta!

      Übrigens traf ich dort den faden Bengel, den Mengersen. Der hatte sich natürlich herangemacht, so eine feine Nase! Modelliert das Prachtweib. Wird aber nichts draus.“

      Isolde war zusammengezuckt.

      Sie stand ganz bleich.

      Das war ein Wunder, die Hand Gottes griff hier an!

      Zuerst daß sie diesen Schädel finden mußte — und nun! —

      Marie fragte zaghaft: „Und geht Mama nicht mit?“

      „Das ist nix für Mama. — Nicht Alte?“

      Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern predigte weiter.

       Die Morgendämmerung brach herein, fahl und kalt und beleuchtet das übernächtige müde Gesicht einer alternden Frau, das gerötete eines in jeder Fiber bebenden Mannes, der tagelang seine Nerven durch alle möglichen belebenden und anreizenden Einflüsse in Aufruhr gebracht hatte — und zwei süße junge Gesichter, die nicht recht wußten, wohin schauen.

      Ihre Mutter war ihnen so unheimlich, wie der Vater. Dies nächtliche Zusammensein berührte sie bang.

      Sie hatten schon immer allerhand im Halbschlaf gehört. Thüren werfen, die laute Donnerstimme des Vaters; aber es war sie nichts angegangen.

      Isolde hatte bei dem Anblick der Mutter ein dumpfes, unklares Bild, als ertappte und belauschte sie ein Nachttier auf seinen Gängen, ein Tier, das Nachts sehen kann, das Nachts sein eigentliches Leben lebt, das Nachts kämpft und leidet, das, wenn alles schläft, geheimnisvoll lebt.

      Sie fühlte ein so sonderbares, nebelhaftes Grauen vor Vater und Mutter! Was für zwei fremde Menschen waren das eigentlich?

      Das war auch nicht das geschäftige Mamachen, das den ganzen Tag so eifrig unbedacht herum wirtschaftete, mit dem Dienstmädchen schalt, immer im Trab war, sparte und zankte und wegarbeitete was ihr unter die Hände kam.

      Um diese Stunde schien alles Mütterliche von ihr abgefallen zu sein. Da war nur das Weib geblieben, das eigentlich nicht mehr Weib war, etwas Aufgebrauchtes, Zurückgestoßenes, Geduldetes; aber etwas, ohne das der Mann nicht mehr auskam.

      Isoldens dumpfe Gefühle wurden ihr nicht zu Gedanken, nahmen die klare Form nicht an, aber beängstigten sie.

      Es war da etwas Schreckliches.

      Sie hätte sich an die Brust der Mutter


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