Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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ihrer ältesten Tochter im Nebenraum.

      Auf das Geschrei des Dienstmädchens kamen sie herbei.

      „Isolde!“ schrie auch Frau Doktor Frey außer sich.

      Isoldes Schwester verbarg das Gesicht in der Schürze, und wagte gar nicht aufzusehen.

      „Schön ist er doch!“ meinte Isolde gemütsruhig. Sie hob den Schädel mit beiden Händen hoch.

      „Daß du mir jetzt mit dem Ekel gehst! In der Küche so ’ne Schmutzerei! — Pfui Tausend!“

      „Wir haben ja doch alle so einen unter dem Gesicht — was ist da weiter?“

      Sie ließ sich nicht irre machen, besprühte den Schädel von neuem unter dem Wasserstrahl.

       „Ide göh doch — ich bitt’ dich — mir wird ganz schlecht.“

      Das war so eine weiche, weiche Stimme und diese Stimme kam aus einem Geschöpf, das wie von Sammetschimmer umgeben war — dazu rötlich blonde Haare, eine ganze Symphonie von Weichheit.

      „Sammtaff’“ hatte Isolde ihre Schwester Marie getauft und titulierte sie jetzt so.

      Jetzt ging sie und nahm den Schädel mit sich.

      „So was!“ sagte die Köchin und schüttete einen Eimer voll Schmutzwasser in den Ausguß.

      „Mi beutelts ganz, der soll doch net etwa im Hause bleiben? Saftig. — Dös möcht feierlich werden.“ —

      *

      Isolde hatte ihre Thüre geschlossen und war eifrig dabei, ein kleines hölzernes Postamentchen, ihrem Bett zu Füßen, an die Wand zu nageln.

       Sie schlug den Nagel mit dem Absatz ihres Hausschuhs ein, so fest wie es mit diesem Werkzeug gehen mochte. Zuerst hatte sie den Rücken ihrer Hausbürste benutzt, als sie aber die Nägelmale in dem polierten Holz merkwürdiger Weise wahrnahm, war sie bedächtig genug gewesen, nach etwas Anderem Umschau zu halten.

      Auf das Postamentchen wurde der Schädel gesetzt.

      Und wie er seinen Platz eingenommen hatte und mit seinen hohlen Augen geheimnisvoll grinsend über das purpurne Bett hinwegsah, geschah etwas ganz Wunderliches: des Schriftstellers Heinrich Ewald Frey’s Tochter, Isolde, im glücklichen, zu allen Überschwenglichkeiten geneigten Alter von siebzehn Jahren, fiel auf die Kniee, reckte die Hände zum Schädel auf und sagte mit heißen Thränen in den Augen: „Du Mensch aller Menschen!“

      Über ihr zartes Gesicht mit den tiefen dunkeln Augen ging etwas Verzücktes, etwas Überirdisches, etwas Bräutliches, eine wundervolle Verliebtheit, wie sie in manchen siebzehnjährigen Naturen zu Tage tritt, die nicht wissen, wo ein und aus mit der Fülle ihres Wesens.

      Und diese süße Liebeswonne schüttete sie über das braune, grinsende Knochengehäuse aus, wie eine Nonne über eine heilige Reliquie.

      Sie sah aber einen eleganten jungen Mann vor sich, mit französisch zugestutztem Spitzbart, einer schönen Stirn, in die das kurzgeschorne Haar in scharfem Winkel hineingewachsen war; einen jungen Mann, der sich im Hochsommer in weißen Flanell zu kleiden liebte.

      Ja, es war da etwas, eine Ähnlichkeit in der Kopfform, die ihr verliebter Blick vom Fenster aus entdeckt hatte.

      Wie sie das große Geheimnis bewegte!

      Und dieser Schädel war so neutral. Sie vergab sich nichts. Ihm gegenüber gingen die Dinge in einer andern Sphäre vor sich, in einer Sphäre, in der alles Eins geworden, alles zusammengeflossen ist.

       Sie empfand etwas so Beruhigendes und konnte sich gehen lassen.

      *

      Die verriegelte Thür wurde kräftig zu öffnen versucht.

      „Déesse!“ rief eine heftige Stimme. „Sapperlot!“

      Wie aus tiefem Schlaf erwacht sagte sie „Papa?“

      „Seid ihr denn alle des Kuckucks! Ihr wißt doch, daß ich in einer Stunde ……“

      Da war schon die Thür aufgeriegelt und ein großer blonder Mann mit rötlichem Gesicht, vollem lockigen Haar, das aber auf dem Wirbel einem Glätzchen gewichen war, trat ein.

      Eine markige Persönlichkeit.

      „Weibergegacker! — Draußen laufen sie wie die Hühner umeinand’! Und was machst du denn hier, Déesse? Mein Handkofferl sollt doch gepackt sein?

       Ich werd euch mal Beine machen! Fertig sollt’s sein und die Mutter bügelt noch an den Stärkhemden. Zum Teufel, — ich will gar keine Stärkhemden! — Touristenhemden will ich.“

      Das kam alles herausgepoltert. Das ganze Zimmer war voller Lärm und Spektakel, als wäre ein Bergstrom hereingebrochen.

      Das war Doktor Heinrich Ewald Frey, Schriftsteller und Allerweltsmann, Vereinsmann, Redner, voraussichtlicher Reichstagsabgeordneter und so weiter.

      „Na also, packen wir,“ sagte das schöne rassige Geschöpf in aller Ruhe.

      „Na also? — Großartig! Was soll denn das ‚Na also‘? Fertig hätt’s sein sollen. Thu net so großartig, Déesse!“ Dabei kniff er sie in die zarte Wange „Götterköpfchen verdammtes!“

      „Wo hast du denn dein Kofferl, Pa?“

      „Hab’s denn ich?“

      Frau Doktor Frey trat herein und trug das Kofferchen in der Hand.

       Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißtropfen.

      „Hättest du mir’s nur gesagt, Heinrich! Gestern abend sollte doch nichts daraus werden bei schlechtem Wetter?“

      „Schlechtem Wetter? Ist denn das schlechtes Wetter, wann das Barometer gestiegen ist wie noch nie? Schau doch erst nach, eh du denkst.

      Meine Stiefel!“

      „Na, ich meine, wenn es gießt,“ sagte Frau Doktor Frey zaghaft.

      „Ja, wenn du anfängst zu denken!“ donnerte er. „Meine Stiefel und die beiden rohseidenen Hemden.“

      „Heut machst du dich ja fein,“ sagte Isolde.

      „Paar Berliner Schriftsteller! Solchen Gockeln muß man …… den Kofferschlüssel! Herr Gott noch einmal!

      Wo ist denn die Marie?“

      „Du hast ja dein’ Schlüssel an die Uhrkett’ gehängt für alle Fäll’,“ sagte Isolde.

       „Vorlauter Schnabel!“ Der Vater blinzelte ihr zu. „Wo ist Marie?“

      „Marie bügelt die Stärkwäsch,“ sagte die Mutter.

      „Wenn der Vater abreist, hat sie dabei zu sein; wär’ net übel! Wenn wir die Idee der Familie nicht aufrecht erhalten, wer soll’s denn thun? Eins da, das andre dort, der Vater reist ab — kein Hahn kräht danach — das ist ja — weiß Gott — großstädtisch!

      Meinen Rucksack! Marie!“ donnerte er abermals.

      Frau Doktor Frey war schon vordem aus dem Zimmer gegangen, um Marie zu holen.

      Jetzt traten sie miteinander ein.

      „Marie, dein Vater reist ab,“ sagte er mächtig.

      „Ja Papa. Auf wie lang denn?“

      „Drei bis acht Täg’ denk ich; wenn wir das Kaisergebirg mitnehmen, acht Täg.“

      „Du Glücklicher!“ sagte Marie aufatmend.

      „Hat sich was ‚Glücklicher‘! Wenn ich mich net zeig — Teufel auch — die tanzten mir bald auf der Nasen. —

      Was ist denn das?“ rief er ganz perplex.

      Seine Blicke hatten den Schädel gestreift.

      Frau


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