Halbtier. Böhlau Helene

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Halbtier - Böhlau Helene


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— mitten auf die kleine, blankgebürstete Sonne, die oben spiegelt. So eine dumme, steife, kleinliche Sonne.

      Ach, wie mich das alles aufbringt.

      Und das Häßliche, mit dem man sich umgiebt!

       Und das nennt man Leben!

      Schau her, so ein Gelump wie da herumsteht!

      Alles zum Fenster naus! Zum Kämmen ein widerlich riechender Kautschukkamm. — Ah! — die riechen alle und machen elektrische Funken! Pfui! — Gold muß es sein oder Elfenbein — dann!

      Aber was ist das hier — von allem das Geringste, das Schäbigste. Talmi und unechte Spitzen!

      So gemein! — so gemein! so gemein!“

      Sie schluchzte.

      „Was ich anfasse, soll schön sein, eine Freude — ein Glück!

      Ich will Hemden mit echten Spitzen — echte Spitzen — reines Gold! Elfenbein! — auch Perlmutter!

      Das ist’s! Das sind Dinge, die man in die Hand nehmen darf — nichts Andres!

      Ach, wie man lebt, wie ein Schwein!“

       Sie schluchzt und schluchzt.

      „Nackt müßte man gehen dürfen und es müßte keine Schande sein.

      Nackte, schöne Menschen. Gold, Elfenbein und Perlmutter! — das wär’ eine Welt! — Und dann — immer Seelenräusche.

      So, wie meine Seelenräusche! So herrlich! — und eine Liebe dazu.

      Seelenräusche und ganz wenig Sachen; aber alles schön zum anfassen, edel bis in den Kern.

      Etwa keine japanische Holzpuderbüchse!

      Aber wir leben im Schmutz.

      Unter ekelhaften Lumpen kriecht das alles wie Gewürm, wie Mehlwürmer in der Kleie —

      Und alle riechen mufflich — und sind mufflich durch und durch!

      Oder, wenn man all das Herrliche, das, was sein müßte, nicht haben kann — dann gar nichts — aber auch gar nichts!

      Die Haare mit den Fingern kämmen, ein Strohsack — eine wollene Decke — ein grobes Hemd — einen Strick um den Leib — das ist auch eine Welt! —

      Aber nicht so wie wir!

      Pfui der Plunder!

      So ein Nähtischchen, so ein Ferkel von einem Nähtischchen!

      So ein Tier von einer Bettvorlage!

      Pfui! Pfui! Pfui! Pfui!“

      Sie war vollkommen außer sich.

      Marie hatte die größte Not die heftige jüngere Schwester zu beruhigen.

      Sie kroch zu ihr ins Bett und hielt Isolde an sich gedrückt und vergaß ganz, daß der Schädel grinsend auf sie beide herab blickte.

      Isolde schlief in den weichen, süßen Armen ein, ohne in ihr Nachtkleid geschlüpft zu sein, Hals und Arme entblößt. —

      Und Marie schlich leise und scheu mit klopfendem Herzen und einem Grausen über den ganzen Leib nach ihrem schneeweißen Bettchen.

       Sie fühlte wie der Schädel ihr spöttisch nachsah und sie wagte nicht sich umzuschauen.

      Lange konnte sie keinen Schlaf finden und als sie endlich schlief, träumten ihr häßliche Dinge.

      Der Schädel lebte wirklich und hatte es immer auf sie abgesehn, so schauerlich zudringlich.

      Sie wachte ein paar Mal vor lauter Angst und Schrecken auf, hielt atemlos die Arme auf die Brust gepreßt, lag wie eine Statue so still und ließ alles Grauen über sich hingehen, ohne sich zu wehren.

      Für sie war mit dem Schädel ein nie gekannter böser, banger Geist ins Haus gekommen.

       Inhaltsverzeichnis

      Acht Tage war der Vater schon auswärts.

      Die Zurückgebliebenen hatten in dieser Zeit auch eine Art Sommerfrische durchgemacht, wenigstens eine Änderung ihrer Lebensweise. Mit dem Vater zugleich schien allerhand verschwunden zu sein.

      Der sogenannte Salon und des Vaters Arbeitszimmer waren sofort, nachdem beide Räume sich einer gründlichen unerbittlichen Reinigung hatten unterwerfen müssen, abgeschlossen worden, und machten jetzt den Eindruck von Kirchen, so still und fast feierlich war es darin, und man lebte in den Schlafstuben.

      Das Mittag- und Abendessen hatten ihre Hauptbestandteile eingebüßt. Gerichte, die wenig kosteten und sich leicht herstellen ließen, waren an der Tagesordnung, Kartoffeln und Häring oder Reisbrei. Nur Karl erhielt seine Kotelette, die wurde aber der Einfachheit halber gleich fix und fertig aus dem Gasthaus gegenüber geholt, in dem Arbeiter und arme Studenten ihre billigen Mahlzeiten hielten.

      Am Abend gab es Rettig und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst.

      Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke. Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt.

      Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten.

      Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen, um in allen erdenklichen Restegeschäften die Stoffe zu diesen Kleidern zu erlisten.

       Und sie hatte auch etwas erbeutet; hübsche Muhadjierstoffe, den Meter zu vierzig Pfennige.

      Wie sie zu Hause damit ankam! Aufgeregt wie ein Wilderer, der mit Lebensgefahr einen Rehbock erlegt hat und heimgeschleppt bringt.

      Isolde hatte eine glänzende Idee, wie diese Kleider gemacht werden sollten. Anders als andere Leute sie gemacht hätten, ganz etwas Apartes.

      „Bleib mir mit deinen glänzenden Ideen vom Leibe,“ sagte die Mutter bei solchen Anlässen gewöhnlich.

      Aber diesmal hatte Isolde durchgesetzt was sie wünschte.

      Sie bekamen lange Gewänder vom Hals an herabfallend, nur um die Mitte mit einem Seidenband lose gehalten, die Ärmel leicht und duftig wie Blütenkelche.

      Und die Mutter schaffte ihnen noch braunlederne feine Halbschuhe an, statt daß sie sich selbst ein Sommermäntelchen gekauft hätte. Ihr altes ging immer noch ganz leidlich.

       Die Kleider waren für beide Mädchen ein Ereignis, ein so viel versprechendes Ereignis. Die duftigen weißen Wolken mit den rosigen Streifchen trugen wie Zauberwolken alles Glück der Welt in sich.

      Wie Heiligtümer wurden sie in den Schrank geschlossen und die Mädchen warteten nun der Dinge, die da kommen sollten.

      Ganz umsonst konnten doch solche Kleider nicht im Schranke hängen!

      Wegen des Schädels hatte es in dieser Zeit noch manchen Strauß gesetzt; aber er blieb auf seinem Postament. Und im Grund war es nur Mariens weicher Liebenswürdigkeit zu danken, daß Isolde ihn behalten hatte.

      Marie hatte, so schwer es ihr geworden, klein beigegeben. Ihre behagliche Stube, ihr schneeweißes Bettchen aber waren ihr durch diesen Gast fremd und untraulich geworden, ihre Nächte wurden von schweren Träumen geplagt.

      In Mariens weicher Seele hatten sich das Bild des Schädels und trübe Vorstellungen, die sein Anblick schuf, tief eingegraben.

      Nie hatte sie noch an den Tod gedacht und jetzt war sie beim Dunkelwerden von bangen schreckhaften Todesahnungen ganz umgeben.

      Es stand ihr zum ersten Mal greifbar vor der Seele, daß alle Menschen sterben müssen — das schauerliche Ende


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