Gesammelte Werke: Philosophische Werke, Religiöse Essays & Autobiografische Schriften. Edith Stein

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Gesammelte Werke: Philosophische Werke, Religiöse Essays & Autobiografische Schriften - Edith  Stein


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gebunden. – Der Leib ist empfindender Leib nicht nur, sofern er äußere Reize spürt, sondern er empfindet sich selbst; er ist sozusagen durch und durch empfindender Leib und kontinuierlich empfindend, nicht nur oberflächenhaft und nur, wenn er von äußeren Reizen getroffen wird. Die Empfindsamkeit für äußere Reize ist ein Aufgebrochensein des animalischen Wesens nach außen, die Empfindsamkeit für sich selbst ist eine Aufgebrochenheit nach innen. Damit stoßen wir auf ein Innensein in einem Sinn, der uns beim bloßen Organismus noch nicht begegnet ist. Wir fanden dort eine innere Form als Lebens- und Gestaltungsprinzip, die traditionell als »Pflanzenseele« bezeichnet wird, aber ihr »Leben« erschöpft sich in dem gestaltenden Wirken. Die Tierseele wird traditionell als anima sensitiva bezeichnet, als Sinnenseele. Die empfindungsmäßige Aufgebrochenheit ist für sie charakteristisch. Sie scheidet sich damit nach unten gegen die Pflanzenseele, die noch nicht sensitive Seele ist, nach oben gegen die Menschenseele, die wohl auch sensitive, aber nicht bloß sensitiv aufgeschlossene Seele ist. Doch auch die sensitive Seele ist nicht bloß empfindende Seele. Die Empfindsamkeit des Tieres zeigte sich uns im Zusammenhang mit dem reaktiven Charakter seiner Bewegungen. Die Bewegungen und die Triebe, durch die sie bestimmt werden, kommen »von innen her« und sind innerlich gespürt. Und wenn mit dem Inneren des Leibes kein räumliches Innen, sondern ein Inneres in einem unräumlichen Sinn, das wir eben als »Seele« bezeichnen, gemeint ist, so hat alles Leibliche eine seelische Seite. Es wird mit dem Tierleib eine Tierseele aufgefaßt, die ein inneres Leben hat. Und erst damit haben wir erreicht, was »Seele« in einem eigentlichen Sinne besagt. »Seele haben« heißt ein inneres Zentrum haben, in dem spürbar alles zusammenschlägt (sic), was von außen kommt, aus dem alles hervorbricht, was im Verhalten des Leibes als von innen herkommend erscheint. Es ist die Umschlagstelle, an der die Reize angreifen und von der die Reaktionen ausgehen. Und wenn das tierische Leben ein unruhiges Getrieben- und Bewegtwerden ist, so ist der eigentliche Ort der Unruhe die Seele, die diesem Treiben ausgeliefert ist und sich ihm nicht entziehen kann. Die Tierseele ist dem Leib verhaftet; sie formt ihn, sie gibt ihm Leben, sie lebt in ihm; spürt, was ihm widerfährt, und spürt es in ihm und durch ihn: Seine Organe sind ihre Organe; sie bewegt ihn, und zwar so, wie es ihm nottut, ihre Triebe stehen im Dienst seiner Erhaltung und Entfaltung: als Begehren dessen, was ihm nottut, und Abwehr dessen, was ihn gefährdet. Schließlich noch eins, was bisher unberücksichtigt blieb: Die Seele spricht sich im Leibe aus, er dient ihr als Ausdruck, durch den sie selbst und ihr inneres Leben in sinnenfällige Erscheinung tritt. Das, was durch den leiblichen Ausdruck zu Tage tritt, ist ein Inneres noch in einem eigentlicheren Sinn: nicht ein bloßes Spüren dessen, was dem Leib äußerlich begegnet, und das Reagieren nach außen hin, sondern eine innere Befindlichkeit – die tierischen Ausdruckserscheinungen offenbaren uns Freude und Trauer, Zorn und Furcht, eine ganze Skala von Affekten oder Gemütsbewegungen, ein aktuelles seelisches Leben, das uns anspricht und mit dem wir in innerem Kontakt stehen. Darüber hinaus aber prägt sich im Äußeren des Tieres etwas Bleibendes aus, sein »Charakter«, seine Eigenart. Wenn wir dieses Innensein und -leben in Betracht ziehen, so können wir das Verhältnis von Leib und Seele nicht so auffassen, als wäre der Leib das, worauf es eigentlich ankommt, und die Seele etwas, was nur in seinem Dienst steht und nur um seinetwegen da ist. Es ist vielmehr eine gleichgewichtige Einheit da; nicht eine Einheit aus zwei getrennten Substanzen, sondern eine lebendig geformte Materie, deren Form sich zugleich in die Materie gestaltet und sich innerlich, in der Aktualität des seelischen Lebens, ausspricht.

      3. Species und Individualität beim Menschen und beim Tier

       Inhaltsverzeichnis

      Die Eigenart, die sich in der Körperbildung des Tieres wie in seinem seelischen »Charakter« ausprägt und wohl innerlich in einer eigentümlichen Grundbefindlichkeit gespürt wird, scheint mir die Eigenart der Species zu sein, keine schlechthin individuelle. Das telos, auf das die Entwicklung des Individuums hinzielt, ist wie bei der Pflanze die möglichst vollkommene Ausprägung der Species und ihre Forterhaltung auf dem Wege der Zeugung. Es scheint keine Individualität vorhanden, die als solche Bedeutung hätte. Es sind wohl die Individuen mehr oder minder vollkommene Exemplare der Species und voneinander verschieden. Aber diese Verschiedenheiten erscheinen als etwas »Zufälliges«, d. h. nicht unaufhebbar im Wesen des Tieres begründet. Die Vorstellung einer Mehrheit von völlig gleichen Exemplaren der Species hat nicht etwas so Abnormes, ja Unheimliches, wie die eines menschlichen »Doppelgängers«. Eine andere Bewertung der Individualität als beim Menschen scheint jedenfalls unser theoretisches und praktisches Verhalten den Tieren gegenüber zu beherrschen. Als praktisches Verhalten dürfen wir hier, wenn wir das Entscheidende erfassen wollen, nicht ein Verhalten nehmen, das die Tiere einfach für menschliche Zwecke ausnützt: Der Viehzüchter, der die Schweine oder Ochsen zum Verkauf mästet, ist weder an dem einzelnen Tier noch an der Species als solcher interessiert, sondern nur an den Eigenschaften, die den Marktwert bestimmen. Wir müssen uns als Exempel ein »persönliches« Umgehen mit Tieren vergegenwärtigen, das dem Umgang mit Menschen möglichst nahekommt: Der Hirt kann seine Schafe voneinander unterscheiden, er kennt jedes einzelne mit seinen Eigentümlichkeiten und jedes ist ihm mit diesen Eigentümlichkeiten lieb oder vielleicht auch manchmal lästig; der Hund wird im Hause wie ein Mitglied der Familie behandelt, und man hängt an diesem bestimmten Tier. Wenn diese Einstellung aber so weit geht, daß man das Tier ernstlich wie einen Menschen betrachtet und behandelt, wenn man seinen Verlust als »unersetzlich« betrauert, so erscheint das als Unvernunft, d. h. als Unangemessenheit an das, was sachlich vorliegt. Umgekehrt erscheint es bei menschlichen Beziehungen als Unangemessenheit, einen Menschen durch einen andern zu ersetzen: Das ist wohl möglich auf einem Posten, in einem Amt, in irgendeiner sozialen Stellung – da kann ein Mensch den andern ablösen und seinen Platz (wenn auch mehr oder minder gut) ausfüllen. Aber in dem, was dieser Mensch mir menschlich bedeutet, ist er nicht mit einem andern vertauschbar, wenn auch eine neue menschliche Verbindung über einen Verlust trösten kann. Das sind nur erste Hinweise, die einer tiefer gehenden Analyse als Ansatzpunkte dienen können. Erst diese tiefere Analyse könnte überzeugend dartun, daß hier eine Wesensgrenze zwischen Tierischem und Menschlichem liegt: daß beim Menschen Individualität einen neuen Sinn bekommt, der bei keinem untermenschlichem Geschöpf zu finden ist.

      Von daher würde dann auch der Unterschied in der theoretischen Behandlung von Menschen und Tieren begreiflich: daß wir wohl in der Zoologie und Anthropologie parallele Disziplinen haben, die menschliche und tierische Natur, Menschenrassen und Tierspecies allgemein erforschen, aber keine den individualisierenden Geisteswissenschaften entsprechende Wissenschaft vom Tier. Auch eine »Charakterologie« der Tiere, wie wir sie in poetischer Form seit den ältesten Zeiten in der Fabel vorliegen haben, zeichnet die spezifischen Charaktere. Sie tut es meist, um in ihnen bestimmte Menschentypen darzustellen, und gibt sie selbst in vermenschlichter Form. Die Unterlage für die Parallele wie für die Vermenschlichung ist aber die Auffassung gewisser Charaktertypen bei den Tierspecies und ihre Ähnlichkeit mit menschlichen Charaktertypen. Wie weit das Recht einer solchen Parallelisierung geht, das wäre natürlich erst zu entscheiden, wenn man die ontische Struktur hier und dort klar durchschaut hätte. So ist es ein Problem, ob es überhaupt Menschenspecies gibt, die den Tierspecies entsprechen, oder – falls der Mensch als Tierspecies zu fassen wäre – Spielarten der Species Mensch, den Spielarten einer Tierspecies entsprechend. Alle diese Ideen: »Species«, »Typus«, »Spielart«, »Individualität« sind vorläufig nicht geklärt. Ihre Klärung und die Feststellung ihres Verhältnisses zueinander ist dringendes Erfordernis, nicht nur um Tier und Mensch gegeneinander abgrenzen zu können, sondern für das Verständnis aller Bereiche der realen Welt: um die Struktur jedes einzelnen und ihr Verhältnis zueinander zu erkennen. Wir stellen diese Problematik jetzt noch etwas zurück, um rück- und vorblickend den erreichten Standort zu überschauen.

      4. Rück- und Ausblick

       Inhaltsverzeichnis

      Wir haben einen Zugang zur tierischen Struktur von der sichtbaren Erscheinung her gewonnen. Wir haben das aufgesucht, was über den gemeinsamen Organismuscharakter hinaus als spezifisch Animalisches im Vergleich zum Pflanzlichen


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