Gesammelte Werke: Philosophische Werke, Religiöse Essays & Autobiografische Schriften. Edith Stein
Читать онлайн книгу.Schließlich können wir etwas den menschlichen Gesinnungen Entsprechendes feststellen: eine dauernde Einstellung des Gemüts vor allem gegenüber andern Tieren und Menschen. So haben wir eine Reihe von Kategorien, in die sich die Mannigfaltigkeit des aktuellen seelischen Lebens einordnet. Auf eine Vollständigkeit der Übersicht wird dabei kein Anspruch erhoben.
Die Lebensaktualität bezeichnet ein ständiges Kommen und Gehen von äußeren Reizen, inneren Befindlichkeiten, Triebregungen usw. Hinter diesem Kommen und Gehen aber steht ein Dauerndes, das die Aktualität und eine solche Aktualität möglich macht. Die Akte sind Bekundungen von Potenzen (Vermögen oder Kräften). Sie wurzeln in der Seele, die das Prinzip aller Lebensäußerungen und Lebenstätigkeiten des Lebewesens ist. Gewisse Potenzen hat die Pflanzenseele mit der Tierseele gemeinsam. Thomas nennt als Potenzen der Pflanzenseele Ernährungs-, Wachstums- und Fortpflanzungsvermögen, als die beim Tier neu hinzutretenden die sinnlichen Potenzen (5 äußere und 4 innere Sinne). Wie weit diese Einteilung phänomenal zu rechtfertigen und ob sie ausreichend ist, das wollen wir hier nicht erörtern. Sie soll nur als Beispiel dafür dienen, was unter den Potenzen zu verstehen ist.
7. Tierseele und Körper; Problem der substanzialen Form; Charakteristik der Tierseele nach Thomas
Die Psychologie des 19. Jahrhunderts, die sich als Naturwissenschaft in möglichst getreuer Nachbildung der naturwissenschaftlichen Methoden etabliert hat, wollte mit der Seele und den seelischen Vermögen, mit denen noch die rationale Psychologie des 18. Jahrhunderts in Fortführung der scholastischen Tradition arbeitete, nichts zu tun haben. Sie wollte nur die »psychischen Phänomene« betrachten, und darunter verstand sie die Einzeltatsachen des Bewußtseins. Eine Kritik des Begriffs »psychisches Phänomen« würde uns hier zu weit vom Wege ab führen. Nur soviel soll festgestellt werden, daß mit dieser Isolierung von Einzeltatsachen gerade der Boden der Erfahrung verlassen ist, denn die Erfahrung zeigt uns keine isolierten psychischen Tatsachen, sondern zeigt uns Seelisches immer nur im Lebenszusammenhang eines animalischen Wesens. Wenn man sich damit zu helfen suchte, daß man nur die aktuellen »Bewußtseinserscheinungen« gelten ließ, als dauernden Träger dieser Erscheinungen aber den Körper erklärte, so ist diese Deutung nach den vorausgegangenen Analysen unhaltbar. Wir fanden ja nicht einen Körper wie andere materielle Körper und daran geknüpfte Bewußtseinstatsachen, sondern ein durch und durch von allen materiellen Körpern verschiedenes Gebilde. Was wir einen »Leib« nennen, das ist kein gewöhnlicher materieller Körper, sondern ein durchseelter; es ist zu fragen, ob etwas daran »nur körperlich« ist und wie im Leib die Gesetzlichkeit der materiellen Natur, des Organischen und des Animalischen ineinandergreifen. Das Einheitsgebende, von dem aus das Ganze zusammengefaßt ist, zugleich aber auch, was dieses Ganze zu einem mannigfaltig gegliederten formt, ist nach thomistischer Auffassung die Seele. Man kann die Differenzierung der Sinne z. B. nicht dadurch erklären, daß der Körper verschiedene Sinnesorgane hat, sondern weil verschiedene Sinne da sind (wie Thomas sagt), darum gibt es verschiedene Sinnesorgane. Und das gilt für alle Potenzen. Die Seele gliedert in sich die Potenzen und formt den entsprechend gegliederten Leib. Diese Auffassung ist unausweichlich, wenn man mit Thomas die Einheit der substanzialen Form annimmt. Trotzdem kennt Thomas eine Problematik des Verhältnisses von Körper und Seele.
Die spezifische Eigentümlichkeit der Tierseele charakterisiert er, indem er sie gegenüber den beiden andern, der Pflanzenseele und der Vernunftseele, abgrenzt durch das verschiedene Verhältnis zum Körper. Die Pflanzenseele oder die vegetative Seele ist ganz und gar auf den Organismus, den sie formt, beschränkt. Nur durch das Fortpflanzungsvermögen (das Thomas darum als das höchste Vermögen der vegetativen Seele ansieht), greift sie über sich selbst hinaus, indem sie einen neuen Organismus bildet. Die Tierseele ist auch noch ganz und gar körperlich gebunden, alle ihre Funktionen vollziehen sich mittels körperlicher Organe, ein vom Leib losgelöstes Dasein ist undenkbar. Aber mit den Sinnen greift sie über sich hinaus, sie bekommt dadurch ein Verhältnis zu allen materiellen Körpern. Die Menschenseele ist mit ihren niederen Teilen, den vegetativen und sensitiven, auch körperlich gebunden; aber ihre geistigen Kräfte sind nicht unmittelbar und unlöslich leibgebunden (nur mittelbar durch die sinnlichen Kräfte, auf deren Funktionen sie aufbauen), und durch diese Kräfte wird ihr prinzipiell alles Seiende zugänglich.
8. Verhältnis der gewonnenen Abgrenzung des Animalischen zu Thomas; das Problem von Species – Idee – Individuum im Zusammenhang mit dem Problem der Genesis der Species und der Seinsgebiete
Es ist hier noch nicht der Ort, um zu den Ausführungen über die Menschenseele Stellung zu nehmen. Aber für die Auffassung der Tierseele ist zu fragen, wieweit von den bisher erörterten Phänomenen aus ein Weg zu der eben wiedergegebenen Bestimmung des Animalischen und der niederen Bereiche gewonnen ist.
Es paßt wohl zu den Definitionen des hl. Thomas, wenn wir in der Entfaltung ihrer selbst und Beschlossenheit in sich selbst das Eigentümliche der Pflanze sehen, in dem beständigen Getriebensein und Reagieren das Eigentümliche des Tieres. Weil es durch seine Sinnlichkeit für die Umwelt, in der es lebt und von der es abhängt, aufgebrochen ist, muß es sich in Begehren und Abwehr mit ihr auseinandersetzen und in ihr zu behaupten suchen. Weil es durch und durch leiblich-sinnliches Wesen ist, kann es diesem Treiben nicht Einhalt tun, es kann sich nicht gegen die äußeren Eindrücke abschließen und die seelische Bewegung in seinem Inneren nicht hemmen.
So dürfen wir wohl sagen, daß wir eine erste Abgrenzung des Animalischen vom bloß Organischen gewonnen haben. Aber für ein tieferes Verständnis dieser Seinsgebiete wäre es notwendig, ihr Verhältnis zueinander und zur materiellen Natur weiter zu untersuchen. Ohne diese Klärung ist schon der Aufbau des einzelnen tierischen Individuums nicht zu begreifen. Ebenso ist sie notwendig, um die Mannigfaltigkeit der Tierspecies, in denen die das ganze Gebiet beherrschende »Idee des Tieres« sich ausprägt, ihr Verhältnis zueinander und zu dieser Idee zu verstehen. Die große Mannigfaltigkeit der Tierspecies ist u. a. dadurch zu kennzeichnen (wenn auch gewiß nicht allein darauf zurückzuführen), daß das spezifisch Tierische mehr oder minder rein in ihnen ausgeprägt ist. In manchen scheint das Organische noch stark vorzuherrschen – ich denke dabei nicht nur an die niederen Formen, deren äußere Erscheinung noch eine Verwechslung mit Pflanzen möglich macht, sondern auch an manche höhere, bei denen eine gewisse ruhige Hingabe an ihre eigene Entwicklung, ihr Wachstum und Gedeihen festzustellen ist (z. B. an Rinder) –, andere zeigen schon eine gewisse Annäherung an das Spezifische des Menschen, während bei einigen das spezifische Tierische das durchaus Beherrschende ist, wie es mir bei den Raubtieren zu sein scheint.
Schon bei der Pflanze hat sich die Frage ergeben, ob die Einheit des ganzen Gebietes nur als eine »ideale« zu fassen sei, in dem Sinn, daß die »Idee der Pflanze« in allen Gebilden des Gebiets eine Ausprägung findet, oder ob ein genetischer Zusammenhang zwischen den Species, in denen diese Idee sich verkörpert, festzustellen sei. Diese Frage, die Frage nach dem Ursprung der Arten, wiederholt sich für das Gebiet des Animalischen. Für jedes Gebiet erhebt sich die weitere Frage, ob ein solcher genetischer Prozeß durch die leitende Idee des Gebietes als teleologisches Prinzip bestimmt und ob es allein dadurch bestimmt sei. Es schien uns im Verhältnis der Pflanzenspecies untereinander und der Tierspecies untereinander ein doppeltes Prinzip sich anzudeuten unter der größeren und geringeren Vollkommenheit, mit der sie die Idee ihres eigenen Gebietes realisieren, ein Aufstieg in der Art, daß die niederen Species eines Gebiets noch Verwandtschaft mit denen des niederen Seinsbereichs zeigen, die höheren sich den niedersten Species des höheren Gebiets annähern – das, was als Gesetz der Kontinuität bezeichnet wurde. Dieses Gesetz führt wieder auf das Verhältnis der Seinsgebiete zueinander: welcher Zusammenhang zwischen ihnen bestehe, ob er etwa selbst als ein genetischer zu fassen sei und wie sich die Gesetzlichkeit des jeweils niederen Gebietes in dem höheren auswirkt und die Gebilde des höheren mitbestimmt.
Die Frage der Entstehung der Arten aber ist unaufhebbar verknüpft mit der Frage der Entstehung