Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch). Richard von Schaukal

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Die Geschichten von Hans Bürgers Kindheit (Über 100 Kunstmärchen in einem Buch) - Richard von Schaukal


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und einem messingnen Puffer in der Mitte ... Still, hier hat das Märchen gewohnt. Rechts vom Eingang stand ein wohl hundertjähriger blauweißer Kachelofen. Dem nicht eben kleinen Raum diente bloß ein schmales Fenster, das in einer tiefen Nische steckte, als Lichtquelle. An der Längswand aber war das alte Ledersofa, auf dem uns Kindern, an die junge Mutter geschmiegt, alle raunende Seligkeit der tiefsten Zauberwelten sich erschloß. Hier haben im ewigen Dämmern, wie oft bloß vom milden Schneeglanz des beschneiten Hinterdachs beschienen, alle Geister der Heimlichkeit gekauert ... Vom Sofa sah man in dem bis an die Decke reichenden Ofen hinterm durchbrochnen Innentürchen die Glut züngeln. Fern, im Fernsten verbannt war das feindliche Leben ... Wer vor dieser Tür den Schnee von den Füßen stampfen durfte, der gehörte herein. Bald war's der Knabe, der, in seinem blauen Wintermantel mit gekräuseltem Pelzkragen, später eintretend, die Schwester schon im Dunkel, beide den Atem anhaltend, mit der Mutter ertappte, bald wieder war es die jüngere Schwester, die, von den liebenden Verschworenen lautlos beobachtet, den schwebenden Dämmer mit den fröhlichen Augen zu durchdringen strebte ...

      Über einem Tischchen in der Fensternische sprang in einem weißen Bauer zwitschernd ein Kanarienvogel

       emsig von Sprosse zu Sprosse. Später saß Jahre hindurch auf einem Ständer zwischen Ofen und Tür ein Rosenkakadu, der schon des Knaben die Stiege erstürmenden Schritt mit jubelndem Kreischen begrüßte und ihm, war die kleine Leiter nicht an den messingnen Standteller des Gestelles gelehnt, in seiner ungeduldigen Willkommensseligkeit mit gestutzten Flügeln schwerfällig hinab entgegenplumpste.

      War die Hängelampe, die in der Mitte des Zimmers über den breiten, runden Tisch ihr Petroleumlicht verbreitete, tief herabgezogen, dann saß die kleine Gesellschaft friedlich arbeitend unter ihrer weißen Glasglocke.

      Aber welche Fieberphantasien auch hat das dann so sonderbar entfremdete Zimmer still erlebt, wenn der Knabe, kaum im Bett erhalten von der unzählige Kinderkrankheiten sonst unbesorgt pflegenden Mutter, stundenlang mit der Qual seiner wüsten Wachträume rang! Einen kreiselartigen Schatten sehe ich noch, entsetzlich in seiner Sinnlosigkeit, sich auf meinen glühenden Polstern wirbelnd drehen ... Und wie oft saß der starke, bärtige Mann mit den goldeingefaßten Brillengläsern, ein Arzt und Oheim dazu, den Puls der irren Hände zählend, an einem der beiden grünbegarnten Gitterbetten. Gut wie kühle Limonade war seine gedämpfte, feste Stimme ... Auch ein großes, altes Holzbett gibt's in meiner Erinnerung; unten darin war eine Lade, die, als sie nicht mehr zum Schlafen diente, geduldig dicke Bücher aufnahm. Und die gemütlichen Bäder, damals noch ohne Badezimmer als ein erwünschtes Wochenereignis abgetan in einem vortrefflichen Bottich, der vor unseren erwartungsvollen Augen mit dem dampfenden Wasser, Butte nach Butte, gefüllt ward. Und der Schutzengel aus Porzellan, die gebreiteten Flügel flach an der Wand, mit der Weihwasserschale überm Bett; ich seh mich im langen Hemde betend vor ihm knien, seh meinen Schatten an der Wand, deren durch ein Zieratenblech gepinseltes unentrinnbar wiederkehrendes Muster mich vor dem Einschlafen bei grünverhängter Lampe in ermüdendem Verfolgen des Nichterreichbaren immer wieder beschäftigte.

      Alte braune, gelbgerandete Tischdecke, und du, spiegelndes, glattes Wachstuch darunter, wie oft haben meine emsigen Hände euch berührt! Da waren wohl an tausend flache Soldaten aufzustellen in unendlichen süßen Stunden, alle sorgfältig ausgepackt, wie sauber wieder auf die vielen dünnen farbigen Papierblättchen eingelegt in die reinen runden Holzschachteln mit den blauen Nürnberger Sortenzetteln. Da waren zu Weihnachten allerlei Kästchen zu bemalen oder Briefkärtchen mit feingezeichneten Figürchen zu versehen, während Mama Märchen vorlas. Und »Wünsche« waren auf den verehrungswürdigen Bogen mit krausen Spitzenrahmen aus braven Vorlagebüchern sorgfältig abzuschreiben, bis man sie, den Formeln entwachsen, besser selbst zu dichten und sauber fertigzustellen wußte. Und Laubsägepeinlichkeit, Tombola mit grünen Glasplättchen und schaukelnden Holzhalbkugeln und Hammer und Amboß, Wettrennspiele auf großen bunten, die Tischplatte deckenden Gebreiten und das höchste: das mit stets erneutem pappenen Zubehör nach Gustav Kuhns Sechskreuzerbücheln belebte Tischtheater, in dessen schattende Soffiten die ehrliche alte, alles begleitende Lampe, hochgeschoben an ihrer knirschenden Gliederkette, hineinschien.

       IV

       In einem kleinen Garten, zu dem man auf dunkeln Steinstufen hinabsteigen mußte, seh ich mich als kleines Kind. Hoch über mir ragt eine mit Efeu dichtbekleidete heimliche Wand auf; an Rosenstöcken vorüber auf knirschendem roten Sand führt ein sanfter schmaler Weg zu einem tiefen Brunnen, in dessen Mitte auf einem Steinblock ein metallener Kranich steht ... Versunkner Garten, bist du wahrhaftige Wirklichkeit gewesen? Als meine Kindheit sich vor unbewußtem Grauen schwankend ihrem Ende zuneigte, schrie ein Pfau hinter der Nachbarmauer. Nahenden Tod kündigte der häßliche schrille Schrei, der mir durch den ganzen Körper fuhr. Aus diesem Garten, in dem ich den ersten, lächerlichen Schmerz erlitt, Kohlrüben, die ich, ein zweijähriges Kind, hatte essen müssen und weinend erbrach, bin ich hinaufgerufen worden zu einer sterbenden alten Frau, der letzten von den drei Schwestern der Großmutter. Denn in diesem Garten, in diesem stillen, schlichten, gelben Hause, dessen rotes Ziegeldach uns begrüßte, wenn wir durch die Gartenanlagen des Glacis hinterm Statthaltereigebäude aus der Stadt – hier hieß es schon Vorstadt – ihm entgegeneilten, in dem geliebten Hause mit den fröhlich von Sonne blitzenden blanken Fenstern haben sie alle beisammengelebt, die freundlichen alten Verwandten; die Großtante mit glattem Spitzenhäubchen und schlichtem, gelblichem Scheitel, feinen, weißen, fleißigen Händen; Großonkel Christian, weißhäuptig und mit dichtem, weißen Schnurrbart, der dicken, goldenen Uhrkette, über der tiefausgeschnittenen, schwarzen Weste den weißen Leinwandkittel des behaglichen Schlenderers; junge blonde Tanten, die im Hofe der wohltemperierten kleinen Fabrik zum gemütlichen Surren und Sausen der Räder Croquet spielten und den mit einiger Scheu sich dazugesellenden blauäugigen Buben herzten oder ihm an Sommernachmittagen im kühlen Zimmer hinter grünen Jalousien »Den kleinen Hydrioten« und »Der Blumen Rache« vorlasen oder ihn an wunderbaren Winterabenden vor dem schwarzgerandeten Standspiegel in himmelblauen Ballkleidern zu verstummendem Entzücken brachten ...

      Manchmal knistert noch der Schnee an einem Nikolausabend, seltsam glüht es hinter Ofentüren, süß duften unbemerkte Bratäpfel. Und an einer Fensterklinke hängt ein schwarz-weißes Horn mit blechbeschlagenem Rand, das in der Nähe nach Leim riecht, aber aus dem, hat man es schüchtern an den Mund gesetzt, ein einsamer Ton tönt, der die Dämmerung bedeutet und das Verweilen an einem von steifen Spitzenvorhängen verhüllten, die Lampe spiegelnden Fenster, hinter dem, gewußt, aber nicht gesehen, der frischkalte, verglaste Gang hingeht ...

       V

      In dem düstern Gassenzimmer, hinter dessen weißem, in Absätzen durchbrochenen Kachelofen die Ritterrüstung aus Silberpappe verwahrt war und der mit einer Silberborte gesäumte blaue Rittermantel, saßen der rotbärtige böhmische Klavierlehrer und der ungeduldige Knabe am Piano, und abgehackt rang sich der Jägerchor aus dem »Freischütz« zwischen zwei Kerzen empor. Manchmal klirrten die Gläser an den Leuchtern von tiefen Noten erschüttert mit ... Die weißen Leinwandvorhänge an den Fenstern waren herabgelassen, im Wandspiegel standen gespenstisch die geöffneten Türflügel, und im Nebenzimmer am Nähtisch saß unhörbar Mama ... In demselben Zimmer hauste auch alljährlich durch viele Tage geheimnisvoll, von gruselig-behaglichen Marzipandüften umhüllt, das Christkind. Wehrend steckte ein starker Schlüssel im glänzenden Messingschloß ... Dort erstrahlte eines seligen Abends immer wieder der dunkelgrüne Weihnachtsbaum, und die ganze Welt stand tiefblau und feierlich still um die weißgedeckten, mit den Gaben reich bestellten Tische. Hier schlägt die Seele die großen Augen dankbar auf, hier verstummt in brausendem Glück, das brandend in die Ohren steigt, das hochklopfende Herz auf einen Augenblick, auf eine Ewigkeit. Es ist Nacht. Tritt man einmal versunken ans Fenster, so hat alles, was sonst drüben ist, eine gespenstisch-süße Entrücktheit, die schaudern macht. Ist dort der tagtägliche Tag, kann dort gar der kühle Sommermorgen gewesen sein, als die Militärmusik mit Tschinellen und Trompeten vorüberzog oder in hellen, hohen, langgezogenen, falschen Tönen die Bittprozession? Hier drinnen hat das Christkind geweilt, noch liegt von seinem goldnen Flügelschwirren etwas in der kerzen- und nadelduftenden Luft. Dort sitzt die Großmutter, in ihre gütige Melancholie versunken, am Ofen; verstohlen wirft man einen Blick auf die Geschenke der Erwachsenen, aber man kehrt zurück zu den Soldaten


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