Lebenssplitter. Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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Lebenssplitter - Dietmar Wolfgang Pritzlaff


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aufgeschürft, zerquetscht und gebrochen

      durch den harten Aufprall.

      Kann nicht mehr greifen, nicht mehr steuern,

      nicht mehr streicheln.

      Unbeweglich liegt sie da,

      zwischen platt geschlagenen Grashalmen

      und scharfkantigen Glassplittern.

      Getrennt vom Leben,

      abgetrennt von dem gerade noch Lebenden.

      Auge sieht Kurve.

      Kurve zu scharf.

      Scharfes Auge fliegt und - MATSCH.

      Auge fliegt und fliegt und flöge immer noch,

      wenn nicht ein Baum Einhalt geboten hätte.

      Nun hängt Auge an Baumrinde.

      Sieht aus, als ob der Baum ein Auge bekommen hätte.

      Er schaut ganz traurig drein.

      Schon verblasst der Glanz des strahlenden Auges.

      Der Baum schüttelt nur ungläubig sein Geäst.

      Wut hat er auch im hölzernen Bauch.

      Ist ihm doch ein stählerner Keil in seinen Holzleib gefahren.

      Aber er hielt dem Blechungetüm stand.

      Der Baum zählt mindestens dreihundert Jahre,

      da hat er solches schon oft miterlebt.

      Und jedes Jahr kommen weitere Keile und Schrammen

      an seinen Stamm dazu.

      Behutsam, ganz sachte, ganz sanft,

      wird das Auge genommen,

      dem Besitzer zurückgebracht.

      In einer Plastiktüte trägt es ein Sanitäter davon.

      Unbeweglich liegt das Auge nun

      auf dem Grund der künstlichen Behausung.

      Bauch krampft sich zusammen,

      vor dem Schleudern.

      Bauch schleudert mit und - MATSCH.

      Bauch kaputt.

      Aufgerissen.

      Metall bohrt sich in offene Wunden.

      Herausgerissen, die vielen Meter

      der Ver- und Entsorgungsleitung des Menschen.

      Können nicht mehr mit was versorgen.

      Können nichts mehr entsorgen.

      Liegen nur in großen Schlaufen

      auf schwarzem Teer,

      tausend sich schlängelnder Nattern gleich.

      Aber kaum so lebendig.

      Ruhig, ganz ruhig,

      senkt sich die Abendkühle

      auf die Menschenfetzen.

      Blech wird zerdrückt.

      Rücken gekrümmt.

      Krümmt und krümmt sich und - KNACK.

      Zuviel gekrümmt.

      Die Krümmung geht niemals wieder heraus.

      Armer Rücken, muss sich nur noch krümmen.

      Nie mehr aufrecht gehen.

      Rücken ist gespickt,

      aber nicht mit duftenden Kräutern,

      Gewürzen und Speckstreifen,

      nein, er ist gespickt mit spitzen,

      zerborstenen Glasstücken und scharfen Metallteilen.

      Dann aufgeschlagen auf Steine,

      die sich auch noch in den Rücken drücken.

      Und jetzt liegt er da, der Rücken,

      völlig zerschunden und für immer gekrümmt.

      Vorzerkleinert für die Würmer.

      Nerven bis zum Reißen gespannt.

      Sie werden reißen, irgendwann.

      Oder durchdrehen.

      Oder beides gleichzeitig.

      Lungen, mal mit, mal ohne Luft,

      saugen nur Rauch in sich hinein.

      Bronchien gereizt, husten im Todeskampf.

      Beine lässig oder verkrampft,

      dünn oder dick,

      werden tausendfach gebrochen,

      um geschient, genagelt und gegipst zu werden.

      Finger werden abgenommen.

      Innereien zerquetscht

      und dann erneuert, ersetzt.

      Herz aus Plastik.

      Niere aus Kunststoff.

      Gelenke aus Metall.

      Und die vielen, vielen hübschen Prothesen, die es gibt.

      Nur Mut!

      Das Experimentierfeld ist groß

      und Ärzte wollen ja schließlich auch leben.

      Und wenn gar nichts mehr geht,

      übernimmt eine Maschine sogar unser Denken.

      Und wir liegen dann ganz unbeweglich,

      ganz ruhig,

      die nächsten Wochen,

      die nächsten Monate

      oder Jahre -

      im KOMA.

      Aber noch ist es ja nicht so weit.

      Auf geht’s und gute Fahrt.

      Denn wer stirbt schon tausend Tode?

Kapitel 2: Dramen und andere Kleinigkeiten

      Wie beschreibt man einen Feigling? Oder, was ist ein Feigling? Was bedeutet es "feige" zu sein?

      Fragen über Fragen und keine Antwort. Oder doch? Vielleicht gibt diese Geschichte Antwort. Vielleicht kann diese helfen, Antworten zu finden. Warst Du schon einmal so richtig feige? Kennst Du das Gefühl der Feigheit? War es mehr Angst oder Unmut? War es mehr eine Charakterschwäche, vielleicht resultierend aus Deiner Kindheit, sozusagen ein psychologisches Erziehungsproblem, das Deine Moralvorstellung geprägt hat, oder war es ein beklemmendes Angstgefühl, ganz tief drinnen, dass keine intimen Gespräche darüber zulässt und sich einschließt, sich ummauert und verschanzt, wenn es berührt wird? Eventuell liegt es ja an Deiner Sensibilität. Sozusagen ein Feingefühl, welches nicht angekratzt werden darf.

      Angst vor Schmerzen? Eigenen Schmerzen in Situationen der Wahrheitsbeichte oder Mutunterdrückung bei richtigen hautnahen Prügeleien. Angst vor Schmerzen und Angst davor, Tränen des Schmerzes danach zeigen zu müssen. Angst vor der Verspottung dieser Tränen. Angst vor der Lächerlichkeit die in der Verspottung liegt. Angst davor, in der Lächerlichkeit als Hampelmann vor anderen Leuten zu stehen. Wer sind diese anderen Leute, die Dir sagen, dass Du immer mutig, immer stark, immer kraftvoll sein musst? Wer sind die Leute die Dir sagen, dass Du keine Gefühlsregungen offen zeigen darfst, die Dich wegen Deiner Gefühle auslachen dürfen? Wer?

      Es ist Frau Saubermann vom dritten Stock, die etwas über Deine Familienverhältnisse weiß und wenn die Quatschtante so richtig bei den Nachbarn auf den Putz haut, bist Du gesellschaftlich unten durch.

      Es ist auch der stramme Max aus dem Fitness-Studio, der mit seinen Muskelpaketen prahlt und auf mindestens tausend


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