Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Arm und allerlei andre Leute beiderlei Geschlechts, die auf dem Bureau etwas zu erledigen hatten. Die Tür zu dem Bureau selbst stand gleichfalls sperrangelweit offen. Er ging hinein und blieb im Vorzimmer stehen, wo eine Menge einfacher Leute stand und wartete. Auch hier war eine furchtbar stickige Luft, und außerdem verbreitete der frische, noch nicht ordentlich trockene Anstrich der Zimmer mit unreinem Firnis einen Geruch, von dem einem übel werden konnte. Nachdem er ein Weilchen gewartet hatte, entschloß er sich, noch weiter, ins nächste Zimmer, zu gehen. Es waren lauter kleine, niedrige Räume. Eine schreckliche Ungeduld trieb ihn immer weiter. Niemand beachtete ihn. In dem zweiten Zimmer saßen, mit Schreiben beschäftigt, einige Schreiber, dem Äußeren nach eine sonderbare Gesellschaft, obwohl sie ein wenig besser gekleidet waren als er. Er wendete sich an einen von ihnen.

      »Was willst du?«

      Er zeigte die Vorladung, die ihm vom Bureau zugegangen war.

      »Sie sind Student?« fragte der Schreiber nach einem Blick in die Vorladung.

      »Ja, gewesener Student.«

      Der Schreiber musterte ihn, jedoch ohne alle Neugier. Es war ein Mensch mit auffällig unordentlichem Haar und mit einem eigentümlich starren Blick.

      ›Von dem wird nichts zu erfahren sein; dem ist ja alles gleichgültig!‹ dachte Raskolnikow.

      »Gehen Sie dorthin, zum Sekretär!« sagte der Schreiber und wies mit dem ausgestreckten Finger nach dem letzten Zimmer.

      Er ging in dieses Zimmer hinein, das vierte in der Reihe; es war nur klein und gedrängt voll von Menschen; das Publikum war hier etwas besser gekleidet als in den andern Zimmern. Darunter befanden sich auch zwei Damen. Die eine, in ärmlicher Trauerkleidung, saß an einem Tische dem Sekretär gegenüber und schrieb etwas, was ihr dieser diktierte. Die andre Dame, eine sehr volle, stattliche Figur, im Gesichte purpurrot mit noch dunkleren Flecken, luxuriös gekleidet, am Halse eine Brosche in der Größe einer Untertasse, stand etwas abseits und wartete. Raskolnikow schob dem Sekretär seine Vorladung hin. Dieser sah sie flüchtig an und sagte: »Warten Sie ein wenig!« Dann fuhr er fort, sich mit der Dame in Trauer zu beschäftigen.

      Raskolnikow atmete nun freier und leichter. ›Es ist sicher etwas anderes!‹ Er faßte allmählich Mut; mit aller Macht ermahnte er sich selbst, Mut zu haben und nicht den Kopf zu verlieren.

      ›Irgendeine Dummheit, irgendeine noch so geringe Unvorsichtigkeit, und ich kann mich ganz und gar verraten!

      Hm! … Schlimm, daß hier keine frische Luft ist‹, dachte er weiter. ›Eine schreckliche Atmosphäre … Der Kopf schwindelt mir noch mehr davon … und der Verstand auch …‹

      Er fühlte, daß bei ihm Körper und Geist in arger Unordnung waren, und fürchtete, er werde sich nicht in der Gewalt haben. Er gab sich alle Mühe, sich mit seinen Gedanken an irgend etwas anzuklammern, an etwas ganz Nebensächliches zu denken; aber das wollte ihm schlechterdings nicht gelingen.

      Doch den Sekretär betrachtete er sehr angelegentlich; gern hätte er aus seiner Miene Schlüsse gezogen, seine Absichten erraten. Es war ein noch sehr junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren, mit einem gebräunten, lebhaften Gesichte, das ihn älter erscheinen ließ, als er wirklich war; gekleidet war er modisch und stutzerhaft; dazu war er sorgsam frisiert, mit Nackenscheitel, und pomadisiert; an den weißen Fingern mit den sauber gebürsteten Nägeln trug er eine Menge von Ringen, auf der Weste eine goldene Uhrkette. Mit einem anwesenden Ausländer sprach er sogar ein paar Worte Französisch, und zwar nicht schlecht.

      »Setzen Sie sich doch, Luisa Iwanowna«, sagte er lässig zu der geputzten Dame mit dem roten Gesichte, die immer noch stand, als wage sie sich nicht hinzusetzen, obgleich ein Stuhl neben ihr stand.

      »Ich danke«, sagte sie auf deutsch und ließ sich sachte mit leisem Seidengeknister auf dem Stuhle nieder. Ihr hellblaues, mit weißen Spitzen besetztes Kleid umgab den Stuhl wie ein Luftballon und nahm fast das halbe Zimmer ein. Eine Wolke von Parfümduft verbreitete sich. Aber die Dame genierte sich offenbar, weil sie so viel Platz einnahm und so stark duftete; sie lächelte zwar in einer zugleich ängstlichen und unverschämten Art; jedoch ihre Unruhe war unverkennbar.

      Die Dame in Trauer war endlich fertig und stand auf. Da trat geräuschvoll, mit sehr forschem Wesen und jeden Schritt mit eigentümlichen Schulterdrehungen begleitend, ein Polizeioffizier ein, warf seine kokardengeschmückte Uniformmütze auf den Tisch und setzte sich in einen Lehnstuhl. Als die geputzte Dame ihn erblickte, sprang sie hurtig von ihrem Platze auf und machte ihm mit besonderer Liebenswürdigkeit eine Anzahl von Knicksen; aber der Polizeioffizier schenkte ihr nicht die geringste Beachtung, und sie getraute sich nun nicht mehr, in seiner Anwesenheit wieder Platz zu nehmen. Es war der Stellvertreter des Revieraufsehers; sein rötlicher Schnurrbart war horizontal nach beiden Seiten lang ausgezogen; sein auffällig kleines Gesicht drückte außer einer gewissen Frechheit nichts Besonderes aus. Er sah Raskolnikow von der Seite einigermaßen mißbilligend an: der Anzug dieses Menschen war doch gar zu schäbig, und sein Benehmen schien mit diesem armseligen Äußern nicht recht im Einklang zu stehen. Raskolnikow hatte nämlich die Unvorsichtigkeit begangen, ihn zu lange und zu scharf anzustarren, so daß der so Fixierte ordentlich ärgerlich wurde. »Was willst du?« schrie er; er mochte wohl erstaunt darüber sein, daß ein solcher Lumpenkerl überhaupt nicht daran dachte, unter seinen blitzenden Blicken in sich zusammenzukriechen.

      »Ich bin hierher bestellt … durch Vorladung …«, antwortete Raskolnikow nachlässig.

      »Die Vorladung ist in einer Schuldklage erfolgt«, warf der Sekretär eilig dazwischen, indem er von dem Schriftstücke, mit dem er beschäftigt war, aufblickte. »Er ist Student, und es soll von ihm Geld beigetrieben werden.« Er wandte sich an Raskolnikow: »Hier, lesen Sie das durch!« sagte er, indem er ihm in einem Aktenhefte eine Stelle zeigte und es ihm dann herüberwarf.

      ›Geld? Was für Geld?‹ dachte Raskolnikow. ›Also ist es jedenfalls nicht die andre Sache!‹ Er fuhr vor Freude zusammen. Es wurde ihm auf einmal unsagbar leicht ums Herz; er fühlte sich von einer schweren Last befreit.

      »Und auf welche Stunde sind Sie vorgeladen, mein Herr?« schrie der Polizeileutnant, der ohne eigentlichen Grund immer mehr in seinen Ärger hineingeriet. »Sie sind auf neun Uhr herbestellt, und jetzt ist es schon weit nach elf Uhr!«

      »Die Vorladung ist mir erst vor einer Viertelstunde gebracht worden«, entgegnete Raskolnikow laut und über die Achsel weg. Auch er fing nun an, ärgerlich zu werden, und fand sogar ein gewisses Vergnügen darin. »Es ist schon viel von mir, daß ich überhaupt gekommen bin; denn ich bin fieberkrank.«

      »Schreien Sie nicht so!«

      »Ich schreie nicht, ich rede ganz ruhig; aber Sie schreien mich an. Ich bin Student und lasse mich nicht so anschreien.«

      Der Polizeileutnant wurde so wütend, daß er im ersten Augenblicke überhaupt kein Wort herausbringen konnte, sondern nur ein paar zischende Töne hervorsprudelte. Er sprang von seinem Platze auf.

      »Schweigen Sie! Sie befinden sich hier in Amtsräumen! Ich verbitte mir Ihre Grobheiten, Herr!«

      »Sie befinden sich doch auch in Amtsräumen«, rief Raskolnikow. »Aber trotzdem schreien Sie nicht nur, sondern Sie rauchen sogar eine Zigarette; eine Rücksichtslosigkeit gegen uns alle.«

      Es war ihm ein wahrer Genuß, dem Polizeileutnant dies zu sagen.

      Der Sekretär sah die beiden lächelnd an. Der hitzige Polizeileutnant war offenbar ganz verblüfft.

      »Das geht Sie gar nichts an!« schrie er endlich überlaut. »Geben Sie lieber die Auskunft, die von Ihnen verlangt wird! Zeigen Sie ihm doch einmal die Sache, Alexander Grigorjewitsch! Es ist eine Klage gegen Sie eingegangen. Sie bezahlen Ihre Schulden nicht. Sie scheinen ja ein nobler Patron zu sein!«

      Aber Raskolnikow hörte nicht mehr auf ihn, sondern griff begierig nach dem Schriftstück, um möglichst bald ins klare zu kommen. Er las es einmal, zweimal durch, ohne es zu verstehen.

      »Was steht denn eigentlich darin?« fragte er den Sekretär.

      »Man verlangt von Ihnen Zahlung auf Grund eines Schuldscheines. Sie müssen entweder den Betrag einschließlich aller Gebühren, Strafgelder usw. entrichten oder eine schriftliche


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