Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.vom Trunk aufgedunsenes Gesicht und eine Brille auf der knopfähnlichen Nase. Der Ausdruck dieses Gesichtes war boshaft, sinnlich. Die häßlichen, tückischen, mißtrauischen Augen steckten ganz im Fett und blickten wie aus Ritzen heraus. Beide schienen Masslobojew zu kennen; aber der Dicke schnitt bei der Begegnung mit uns ein ärgerliches Gesicht, allerdings nur für einen Augenblick, und der Jüngere verzog seine Lippen zu einem süßlichen, unterwürfigen Lächeln. Er nahm sogar die Mütze ab. Er trug nämlich eine solche.
»Verzeihen Sie, Filipp Filippowitsch«, murmelte er, ihn gefühlvoll anblickend.
»Aber was denn ?«
»Pardon … hm …« (er knipste an seinem Rockkragen). »Da drinnen sitzt Mitrofan. Er benimmt sich sehr ausfällig, dieser Schurke.«
»Was ist denn los?«
»Ganz arg macht er’s … Dem hier« (er wies mit dem Kopf auf seinen Begleiter) »haben sie in der vorigen Woche auf Anstiften eben dieses Mitrofan an einem unanständigen Ort das ganze Gesicht voll Sahne geschmiert … hihi!«
Sein Begleiter stieß ihn ärgerlich mit dem Ellbogen an.
»Aber wollen Sie nicht mit uns ein Halbdutzend Flaschen trinken, Filipp Filippowitsch? Dürfen wir hoffen?«
»Nein, mein Bester, jetzt habe ich keine Zeit«, antwortete Masslobojew. »Ein Geschäft nimmt mich in Anspruch.«
»Hihi! Ich habe auch noch ein Geschäftchen mit Ihnen zu besprechen …«
Der Begleiter stieß ihn wieder mit dem Ellbogen an.
»Ein andermal, ein andermal!«
Masslobojew gab sich offenbar Mühe, die beiden nicht anzusehen. Wir gingen in das erste Zimmer, durch das sich in seiner ganzen Länge ein sehr sauberer Verkaufstisch hinzog, dicht besetzt mit kalten Speisen, mit Fleisch-und Fischpasteten und mit Karaffen voll verschiedenfarbiger Liköre. Kaum waren wir eingetreten, als Masslobojew mich schnell in eine Ecke führte und sagte:
»Der Jüngere ist ein Kaufmannssohn namens Ssisobruchow, der Sohn eines angesehenen Mehlhändlers; er hat von seinem Vater eine halbe Million geerbt und verschwendet sie jetzt. Er war nach Paris gereist, hatte dort schon eine Unmenge Geld vergeudet und hätte dort wohl das ganze vertan; aber da erbte er noch von seinem Onkel und kehrte aus Paris zurück; nun bringt er das übrige hier durch. Nach einem Jahr wird er natürlich betteln gehen. Er ist dumm wie eine Gans, treibt sich in den feinsten Restaurants und in Kellerlokalen und Schenken herum, verkehrt mit Schauspielerinnen und hat sich zum Eintritt als Husar gemeldet; er hat neulich ein Gesuch eingereicht. Der andere, ältere, heißt Archipow; er ist auch so eine Art Kaufmann oder Verwalter, hat sich mit Branntweinpacht abgegeben und ist eine Kanaille, ein Gauner, jetzt Ssisobruchows Gefährte, ein Judas und Falstaff, alles zusammen, ein zweimaliger Bankrotteur und ein abscheulich sinnlicher Patron mit verschiedenen häßlichen Neigungen. In dieser Hinsicht weiß ich von ihm eine kriminelle Geschichte; er hat sich nur noch so zur Not herausgewickelt. In einer Beziehung freue ich mich jetzt sehr darüber, daß ich ihn hier getroffen habe; ich wartete darauf … Archipow ist jetzt selbstverständlich dabei, Ssisobruchow auszuplündern. Er kennt eine Menge von Spelunken aller Art, wodurch er für solche Jünglinge wertvoll ist. Ich, lieber Freund, wetze schon lange die Zähne, um ihm einen gehörigen Biß zu versetzen. Und dasselbe tut auch Mitrofan, der forsche junge Mann dort im ärmellosen Wams; er steht da am Fenster, der mit dem Zigeunergesicht. Er beschäftigt sich mit Pferdehandel und ist mit allen hiesigen Husaren bekannt. Ich sage dir, er ist ein solcher Schlaukopf: er wird vor deinen sehenden Augen eine Banknote fälschen, und obgleich du es gesehen hast, wirst du sie ihm dennoch einwechseln. Er trägt ein Wams ohne Ärmel, allerdings von Samt, und sieht wie ein Slawophile aus (was ihm meines Erachtens auch ganz gut steht); aber ziehe ihm auf der Stelle einen eleganten Frack nebst Zubehör an, führe ihn in den Englischen Klub und sage dort: ›Der Großgrundbesitzer Graf Barabanow‹, und sie werden ihn dort zwei Stunden lang für einen Grafen halten, und er wird Whist spielen und wie ein Graf reden, und sie werden nichts merken, und er wird sie betrügen. Er wird einmal ein schlechtes Ende nehmen. Also dieser Mitrofan hat es auf den Dickwanst abgesehen; denn bei Mitrofan ist jetzt Ebbe, und der Dickwanst hat ihm seinen früheren Freund Ssisobruchow abspenstig gemacht, ehe er selbst noch Zeit hatte, ihn ordentlich zu scheren. Wenn sie jetzt in dem Restaurant zusammengetroffen sind, so will Mitrofan dem Dicken gewiß einen Streich spielen. Ich weiß sogar, was für einen, und vermute, daß Mitrofan und kein anderer es gewesen ist, der mich benachrichtigt hat, daß Archipow und Ssisobruchow hier sein werden und sich in dieser Gegend mit irgendwelcher schändlichen Absicht herumtreiben. Mitrofans Haß gegen Archipow will ich mir zunutze machen, weil ich meine eigenen Ursachen habe, und ich bin namentlich deswegen hierhergekommen. Ich will aber tun, als ob ich mit Mitrofan nichts zu schaffen habe, und sieh auch du nicht zu scharf zu ihm hin! Wenn wir aber von hier weggehen werden, so wird er wahrscheinlich von selbst an mich herantreten und mir das Erforderliche sagen … Aber jetzt komm, Wanja; wir wollen in jenes andere Zimmer dort gehen. – Na, Stepan«, fuhr er zu dem Kellner gewendet fort, »weißt du, was ich gern möchte?«
»Jawohl, ich weiß.«
»Nun, dann erfülle meinen Wunsch!«
»Sogleich werde ich ihn erfüllen.«
»Tu das! Setz dich, Wanja! Na, warum musterst du mich denn so? Ich sehe ja, daß du mich musterst. Wunderst du dich? Wundere dich nicht! Es kann dem Menschen alles mögliche passieren, was er sich nie hat träumen lassen, namentlich damals nicht… na, wenigstens damals nicht, als du und ich am Cornelius Nepos büffelten. Aber das kannst du mir glauben, Wanja: wenn Masslobojew auch vom geraden Weg abgeirrt ist, so ist doch sein Herz dasselbe geblieben, und nur die Umstände haben sich geändert. ›Lieber brav im Dreck und Schmutz als ein Schuft in seinem Putz.‹ Ich fing an, Medizin zu studieren, und wollte Lehrer der vaterländischen Literatur werden und schrieb eine Abhandlung über Gogol und beabsichtigte, unter die Goldgräber zu gehen, und schickte mich an, zu heiraten – ›der Menschenseele Wunsch ist Braten, Schnaps und Punsch‹; und ›sie‹ hatte eingewilligt, obgleich in dem Haus ein solcher Überfluß herrschte, daß man keine Katze durch einen Leckerbissen herauslocken konnte. Ich traf schon die Vorbereitungen zur Trauung und wollte mir ein Paar heile Stiefel borgen, weil die meinigen schon seit anderthalb Jahren zerrissen waren … Aber ich habe mich nicht verheiratet. Sie hat einen Lehrer genommen, und ich nahm eine Stelle in einem Kontor an, das heißt nicht in einem Bankkontor, sondern in einem geringeren, andersartigen. Na, damit kam ich in eine andere Richtung hinein. Die Jahre sind dahingegangen, und wenn ich jetzt auch nicht in einer dienstlichen Stellung bin, so verdiene ich mir doch hübsche Summen: ich lasse mir Geld in die Hand drücken und trete für Wahrheit und Recht ein; wie man zu sagen pflegt: ›Klug ist’s, Schwache anzugreifen und vor Starken auszukneifen.‹ Ich habe meine Grundsätze und weiß zum Beispiel, daß das Sprichwort recht hat: ›Allein vermag auch der Tapferste wenig‹, und – ich betreibe eifrig meine Geschäfte. Meine Geschäfte aber sind meist von geheimnisvollem Charakter … du verstehst?«
»Du bist doch nicht etwa Geheimpolizist?«
»Nein, das nicht eigentlich; aber ich gebe mich mit gewissen Geschäften ab, teils in offiziellem Auftrag, teils auch auf eigene Faust. Siehst du, Wanja, ich trinke zwar Schnaps; aber da ich meinen Verstand noch nicht im Schnaps ersäuft habe, so weiß ich auch, was mir in der Zukunft bevorsteht. Die Zeit, wo etwas Besseres aus mir werden konnte, ist vorüber; einen schwarzen Hund kann man nicht durch Waschen weiß machen. Ich will dir nur eins sagen: wenn ich nicht manchmal noch wie ein anständiger Mensch dächte und fühlte, so hätte ich dich heute nicht angeredet, Wanja. Du hast recht: ich bin dir früher mehrmals begegnet und habe dich gesehen; oftmals wäre ich gern an dich herangetreten; aber ich wagte es nie, sondern schob es immer auf. Ich bin deiner nicht wert. Und du hast ganz richtig gesagt, Wanja, daß, wenn ich dich diesmal angeredet habe, das nur infolge meiner Betrunkenheit geschehen sei. Aber das alles ist dummes Gerede; hören wir auf, von mir zu sprechen, und sprechen wir lieber von dir! Na, lieber Freund: ich habe es gelesen! Ich habe es gelesen, von Anfang bis Ende! Ich rede von deinem Erstlingswerk. Als ich es durchgelesen hatte, wäre ich beinah ein anständiger Mensch geworden, mein Bester! Beinahe, aber ich überlegte es mir doch noch und zog es vor, ein unanständiger Mensch zu bleiben. So ist es …«
Noch vieles sagte er zu mir in dieser