Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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sich an den Händen gefaßt, und es schien, als suchten sie mit ihren Blicken all das auszudrücken, was ihre Seelen erfüllte.

      »Wir werden uns wohl niemals wiedersehen«, sagte Katja.

      »Niemals, Katja«, antwortete Natascha.

      »Nun, dann wollen wir voneinander Abschied nehmen!«

      Beide umarmten sich.

      »Fluchen Sie mir nicht!« flüsterte Katja hastig; »ich aber … ich werde immer … seien Sie überzeugt … er wird glücklich werden … Komm, Aljoscha, begleite mich!« sagte sie schnell und ergriff seine Hand.

      »Wanja!« sagte Natascha aufgeregt und erschöpft zu mir, als sie hinausgegangen waren; »begleite auch du sie und … komm nicht zurück; Aljoscha wird bis zum Abend bei mir sein, bis acht Uhr; den Abend über kann er nicht bleiben, er muß fortgehen. Ich werde dann allein sein … Komm um neun Uhr her! Ich bitte dich darum!«

      Als ich um neun Uhr Nelly nach der Geschichte mit der zerbrochenen Tasse in Alexandra Semjonownas Obhut verlassen hatte und zu Natascha kam, war sie schon allein und erwartete mich mit Ungeduld. Mawra brachte uns den Samowar; Natascha goß mir Tee ein, setzte sich auf das Sofa und forderte mich auf, nahe bei ihr Platz zu nehmen.

      »Nun ist alles zu Ende«, sagte sie, mich starr anblickend. Niemals werde ich diesen Blick vergessen.

      »Nun ist unsere Liebe zu Ende. Ein halbes Jahr hat es gedauert, und nun ist’s fürs ganze Leben vorbei«, fügte sie hinzu und drückte mir die Hand.

      Ihre Hand war heiß. Ich redete ihr zu, sich etwas Warmes anzuziehen und sich ins Bett zu legen.

      »Gleich, Wanja, gleich, mein lieber Freund! Laß mich nur noch ein bißchen reden und der Vergangenheit gedenken! … Ich bin jetzt wie zerschlagen … Morgen werde ich ihn zum letztenmal sehen, um zehn Uhr … zum letztenmal!«

      »Natascha, du fieberst; gleich wird der Schüttelfrost kommen; schone dich! …«

      »Was tut’s? Ich habe jetzt diese halbe Stunde seit seinem Fortgehen auf dich gewartet, Wanja, und was meinst du, woran ich gedacht habe, welche Frage ich mir vorgelegt habe? Ich habe mich gefragt: habe ich ihn geliebt oder nicht, und von welcher Art ist unsere Liebe gewesen? Es kommt dir wohl lächerlich vor, Wanja, daß ich mir diese Frage erst jetzt vorlege?«

      »Rege dich nicht auf, Natascha …«

      »Siehst du, Wanja, ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich ihn nicht wie einen mir Gleichstehenden geliebt habe, so wie gewöhnlich eine Frau einen Mann liebt. Ich habe ihn geliebt wie … beinahe wie eine Mutter. Ich meine sogar, daß es überhaupt auf der Welt keine solche Liebe gibt, bei der beide einander wie Gleichgestellte lieben. Wie denkst du darüber?«

      Ich betrachtete sie beunruhigt und fürchtete, daß bei ihr ein Nervenfieber im Anzug sei. Es war, als treibe sie ein unwiderstehlicher innerer Drang, als fühle sie ein besonderes Bedürfnis zu reden; manches, was sie sagte, hatte gar keinen Zusammenhang, und sie sprach die Worte manchmal sogar mangelhaft aus. Ich war in großer Besorgnis.

      »Er war mein«, fuhr sie fort. »Fast seit der ersten Begegnung mit ihm wurde damals in mir der unwiderstehliche Wunsch rege, daß er mein werden möchte, recht bald mein, und daß er keine andere Frau ansehen, keine andere Frau kennen möchte als mich, mich allein … Katja hat vorhin etwas ganz Richtiges gesagt: ich habe ihn wirklich so geliebt, als ob er mir die ganze Zeit über aus irgendwelchem Grund leid täte … Ich hatte, wenn ich allein geblieben war, immer den heißen, ja qualvollen Wunsch, daß er im höchsten Grad und lebenslänglich glücklich sein möchte. Ich konnte sein Gesicht (du kennst ja den Ausdruck seines Gesichtes, Wanja), ich konnte sein Gesicht nicht ruhig ansehen: ein solcher Ausdruck ist bei keinem anderen Menschen zu finden, und wenn er lachte, so lief mir ein kaltes Zittern über den Leib … Wahrhaftig! …«

      »Natascha, höre …«

      »Da sagten die Leute nun«, unterbrach sie mich, »und auch du hast es gesagt, daß er charakterlos sei und … und nicht viel mehr Verstand habe als ein Kind. Nun, gerade das habe ich an ihm am allermeisten geliebt … solltest du es glauben? Ich weiß übrigens nicht, ob ich eigentlich dies allein an ihm geliebt habe; ich liebte ihn einfach ganz so, wie er war, und wäre er in irgendeiner Hinsicht ein anderer gewesen, charakterfest oder verständiger, so hätte ich ihn vielleicht nicht so stark geliebt. Weißt du, Wanja, ich will dir noch ein Bekenntnis ablegen; erinnerst du dich, ich hatte mit ihm vor drei Monaten einen Streit, als er bei jener … wie hieß sie doch? … bei dieser Minna gewesen war … Ich erfuhr es und verhörte ihn, und solltest du es glauben: es war mir sehr schmerzlich, gleichzeitig aber auch gewissermaßen angenehm … ich weiß nicht, warum … schon der Gedanke, daß er sich amüsierte … oder nein, das war es nicht: daß auch er wie ein Erwachsener mit anderen Erwachsenen zu schönen Frauen fuhr, daß auch er diese Minna besuchte! Ich … Welch einen Genuß empfand ich damals bei diesem Streit; und dann ihm zu verzeihen … o lieber Freund!«

      Sie sah mir ins Gesicht und lachte in einer ganz eigentümlichen Weise. Dann schien sie nachdenklich zu werden, als ob sie alle Erinnerungen noch einmal an ihrer Seele vorüberziehen ließe. Lange saß sie so, mit einem Lächeln auf den Lippen, da und dachte an die Vergangenheit.

      »Es war mir die größte Freude, ihm zu verzeihen, Wanja«, fuhr sie fort. »Weißt du was: Wenn er mich dann allein gelassen hatte, ging ich oft im Zimmer auf und ab und grämte mich und weinte; aber ich dachte manchmal: ›Je schuldiger er vor mir dasteht, um so besser …‹, ja! Und weißt du: ich hatte immer die Vorstellung, als ob er ein kleiner Junge wäre und ich dasäße und er mir seinen Kopf auf die Knie legte, einschliefe und ich ihm sachte über den Kopf striche und ihn liebkoste … So stellte ich ihn mir immer vor, wenn er nicht bei mir war … Höre, Wanja«, fügte sie auf einmal hinzu, »was für ein reizendes Wesen ist Katja!«

      Es schien mir, als reiße sie selbst absichtlich ihre Wunde auf, als fühle sie eine Art von Bedürfnis danach, ein Bedürfnis, zu leiden und zu verzweifeln … Das kommt bei Herzen, die viel verloren haben, so oft vor!

      »Katja kann ihn, wie mir scheint, glücklich machen«, fuhr sie fort. »Sie besitzt Charakter und spricht aus fester, innerer Überzeugung und verkehrt mit ihm so ernst und selbstbewußt; immer redet sie von verständigen Dingen wie eine Erwachsene. Und dabei ist sie selbst noch das reine Kind! Ein liebes, liebes Geschöpf! Oh, mögen sie glücklich werden! Das ist mein heißer Wunsch!«

      Die Tränen strömten ihr aus den Augen; ein Schluchzen drang aus ihrem Herzen. Eine halbe Stunde lang konnte sie nicht zu sich kommen und sich auch nur einigermaßen beruhigen.

      Welch ein lieber Engel war Natascha! Trotz ihres eigenen Leides vermochte sie es noch an diesem selben Abend, auch an meinen Sorgen Anteil zu nehmen; denn als ich sah, daß sie sich ein wenig beruhigt hatte oder, richtiger gesagt, müde geworden war, erzählte ich, um sie zu zerstreuen, ihr von Nelly … Wir trennten uns an diesem Abend erst spät; ich wartete, bis sie eingeschlafen war, und bat beim Fortgehen Mawra, die ganze Nacht über nicht von der Seite ihrer kranken Herrin zu weichen.

      »Oh«, rief ich auf dem Heimweg aus, »wenn doch diese Qualen recht bald, recht bald ein Ende nehmen möchten! Mag das Ende sein, wie es will, aber nur schnell, nur schnell!«

      Am anderen Morgen war ich Punkt neun Uhr schon wieder bei ihr. Gleichzeitig mit mir kam auch Aljoscha, um Abschied zu nehmen. Ich mag an diese Szene nicht zurückdenken und werde sie nicht schildern. Natascha hatte sich offenbar vorgenommen, sich stark und fest zu machen und heiter und gleichmütig zu erscheinen, vermochte es aber nicht durchzuführen. Sie umarmte Aljoscha krampfhaft, mit festem Druck. Sie sprach nur wenig mit ihm, sah ihn aber lange und unverwandt mit dem Blick einer Märtyrerin, ja einer Geisteskranken an. Gierig hörte sie auf jedes Wort von ihm, verstand aber nichts von dem, was er zu ihr sagte. Ich erinnere mich, daß er sie bat, ihm zu verzeihen, ihm diese Liebe zu verzeihen und alles, womit er sie während dieser Zeit gekränkt habe, die Fälle von Untreue, seine Liebe zu Katja, seine Abreise… Er sprach in abgerissenen Sätzen; Tränen erstickten seine Stimme. Manchmal versuchte er sie zu trösten, indem er sagte, er reise nur auf einen Monat oder höchstens auf fünf Wochen weg, er werde im Sommer wiederkommen, dann werde ihre Hochzeit sein, und sein Vater werde seine Einwilligung geben; und endlich, was die Hauptsache


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