Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin


Скачать книгу
Trutzbündnis gegen das Bureau, das in ihren Augen eine Mörderhöhle und ein gemeinschaftlicher Feind voll gefährlicher und geheimnisvoller Einrichtungen war.

      Und doch erzeugten in dieser Klause Snitchey und Craggs ihren Honig. Hier standen sie zuweilen an schönen Abenden bei dem Fenster ihres Empfangszimmers, das auf das alte Schlachtfeld hinausging, und wunderten sich (aber das war meistens der Fall, wo die Assisen »fest« waren, und wo rastlos gutgehende Geschäfte sie sentimental stimmten) über die Torheit der Menschenkinder, die nicht immer in Frieden miteinander leben und ihre Zwistigkeiten in Seelenruhe vor Gericht ausfechten konnten. Hier strichen Tage, Wochen, Monate und Jahre an ihnen vorbei, und ihr Gerichtskalender, die allgemach sich verringernde Zahl der messingenen Nägel in den Lederstühlen und die wachsende Last von Papieren auf dem Tisch zeugten genugsam davon. Hier hatten fast drei seit jenem Lunch im Obstgarten vergangene Jahre die einen vermindert und die anderen vermehrt, als sie eines Abends bei einer Besprechung zusammensaßen.

      Sie waren nicht allein, sondern zusammen mit einem Mann von ungefähr dreißig Jahren, der ein wenig nachlässig in seiner Haltung, etwas schmal im Gesicht, aber sonst wohlgebaut, wohlgekleidet und von schmuckem Aussehen war. Er saß in dem Staatslehnstuhl, die eine Hand oben in der Falte des Rocks, die andere in dem ungeordneten Haar, in trübes Nachdenken versunken. Snitchey und Craggs saßen daneben. Eine der feuersicheren Kisten stand geöffnet auf diesem; ein Teil des Inhalts lag auf dem Tisch ausgebreitet, während der Rest durch die Hand Mrs. Snitcheys ging, der ein Dokument nach dem andern gegen das Licht hielt, jedes Papier einzeln prüfte, dabei den Kopf schüttelte und es Mr. Craggs hinreichte, der es ebenfalls prüfte und den Kopf schüttelte. Zuweilen hielten sie damit inne, schüttelten beide den Kopf und sahen ihren in Gedanken versunkenen Klienten an. Da auf der Kiste geschrieben stand: Michael Warden Esquire, dürfen wir aus allem folgern, daß Name und Kiste jenem gehörten und daß die Angelegenheiten Michael Wardens, Esquire, nicht günstig standen.

      »Das ist alles«, sagte Mr. Snitchey, und legte das letzte Papier nieder. »Ich sehe keinen Weg weiter. Keinen Weg weiter.«

      »Alles verloren, durchgebracht, verpfändet, verliehen und verkauft?« sagte der Klient und blickte auf.

      »Alles«, antwortete Mr. Snitchey.

      »Weiter ist nichts zu machen, sagen Sie?«

      »Gar nichts«, war die Antwort des Advokaten.

      Der Klient biß sich in die Nägel und versank wieder in sein altes Grübeln.

      »Und sogar meine persönliche Sicherheit ist gefährdet, glauben Sie?« fing er nach einer Pause wieder an.

      »In jedem Bezirk der vereinigten Königreiche Großbritannien und Irland«, erwiderte Mr. Snitchey.

      »Also nichts als ein verlorener Sohn, der zu keinem Vater mehr zurückkehren kann, keine Schweine zu hüten hat und keine Treber mit diesen teilen kann?« fuhr der Klient fort, indem er ein Bein über das andere schaukelnd schlug und zu Boden blickte.

      Mr. Snitchey hustete, gleichsam als wollte er die Zumutung zurückweisen, an irgendeiner allegorischen Deutung eines Rechtsverhältnisses sich zu beteiligen. Mr. Craggs hustete gleichfalls, als wolle er zu verstehen geben, daß dieses in der Tat die Auffassung des Hauses sei.

      »Zugrunde gerichtet mit dreißig Jahren«, sagte der Klient. »Hach!«

      »Nicht zugrunde gerichtet, Mr. Warden«, entgegnete Snitchey. »So arg ist es noch nicht. Sie haben zwar alles dazu getan, muß ich sagen, aber Sie sind nicht zugrunde gerichtet. Etwas Einschränkung –«

      »Zum Kuckuck mit der Einschränkung«, rief der Klient.

      »Mr. Craggs, wollen Sie mir eine Prise gestatten? Ich danke Ihnen.«

      Als der gemächliche Rechtsanwalt die Prise ersichtlich mit großer Vorfreude und ganz in diesen Genuß vertieft in die Nase steckte, verzog sich das Gesicht des Klienten schließlich zu einem Lächeln, und er sagte: »Sie reden von Einschränkung. Wie lange?«

      »Wie lange?« wiederholte Snitchey und schnippte sich den Tabak von den Fingern, während er angestrengt nachzudenken schien. »Bei treuen Händen – sagen wir in Snitcheys und Craggs Namen – sechs oder sieben Jahre.«

      »Sechs oder sieben Jahre hungern!« sagte der Klient mit verdrießlichem Lachen und rückte ungeduldig auf dem Stuhle hin und her.

      »Sechs oder sieben Jahre zu hungern, Mr. Warden, wäre freilich etwas Außerordentliches«, sagte Snitchey. »Sie könnten mit der Zeit allein dadurch, daß Sie sich ausstellen ließen, ein neues Grundstück verdienen. Aber wir glauben nicht, daß Sie dies vermöchten, und raten es Ihnen daher auch nicht.«

      »Was raten Sie mir dann also?«

      »Einschränkung«, wiederholte Snitchey. »Ein paar Jahre Einschränkung unter unserer Geschäftsaufsicht würde Sie wieder auf die Beine bringen. Aber dann müßten Sie ins Ausland gehen. Was das Darben angeht, so könnten wir Ihnen selbst jetzt schon ein paar hundert Pfund abgeben, Mr. Warden.«

      »Ein paar hundert Pfund?« sagte der Klient. »Und ich habe Tausende benötigt!«

      »Daran«, entgegnete Mr. Snitchey und legte die Papiere sorgfältig in den eisernen Kasten, »daran ist gar kein Zweifel. Gar kein Zweifel«, wiederholte er langsam, indessen er seine Tätigkeit nachdenklich fortsetzte.

      Der Anwalt kannte sicherlich seinen Mann; jedenfalls hatte seine trockene und humorvolle Manier einen günstigen Eindruck auf die Niedergeschlagenheit des Klienten hervorgerufen und veranlaßte ihn, offen und mitteilsamer zu sein. Oder vielleicht wußte der Klient Bescheid über seinen Mann und hatte die ermutigenden Angebote nur herausgelockt, um einen Schachzug, den er enthüllen wollte, besser verteidigen zu können. Er erhob jetzt langsam den Kopf und schaute seine erhabenen Ratgeber mit einem Lächeln an, aus dem bald ein Lachen wurde.

      »Im Grunde, mein verehrter Freund –« Mr. Snitchey wies auf seinen Kompagnon: »Snitchey und – entschuldigen Sie – Craggs.«

      »Ich bitte Mr. Craggs um Verzeihung«, sagte der Klient. »Im Grunde aber, meine verehrten Freunde«, er beugte sich dabei vor und ließ die Stimme fallen, »wissen Sie noch gar nicht, wie schlimm es mit mir steht.«

      Mr. Snitchey blickte ihn ganz erstaunt und erschreckt an. Mr. Craggs musterte ihn mit denselben Blicken.

      »Ich bin nicht nur schrecklich verschuldet«, sagte der Klient, »sondern auch schrecklich –«

      »Doch nicht verliebt?« schrie Snitchey.

      »Ja!« sagte der Klient, indem er auf den Stuhl zurücksank und die beiden Anwälte ansah. Die Hände hatte er dabei in die Taschen gesteckt. »Schrecklich verliebt.«

      »Und nicht in eine Erbin?« fragte Snitchey.

      »Nicht in eine Erbin.«

      »Auch nicht in eine reiche Dame?« forschte der Anwalt weiter.

      »Nicht reich, soweit ich weiß – außer an Schönheit und Vorzügen des Charakters.«

      »Hoffentlich eine unverheiratete Dame?« sagte Mr. Snitchey mit großem Nachdruck.

      »Selbstverständlich!«

      »Nicht in eine von Doktor Jeddlers Töchtern?« sagte Snitchey, und stützte die Ellbogen auf die Knie, wobei er sein Gesicht mindestens einen halben Meter vorschob.

      »Doch!« entgegnete der Klient.

      »Nicht in seine jüngere Tochter?« fragte Snitchey.

      »Doch!« war die Antwort Mr. Wardens.

      »Mr. Craggs«, sagte Snitchey erleichtert, »wollen Sie mir eine Prise gestatten? Danke bestens! Es freut mich, Ihnen sagen zu können, Mr. Warden, daß das nichts schadet; sie ist schon verlobt, Sir, sie ist Braut. Mein Kompagnon kann das bezeugen. Wir sind über die Angelegenheit informiert.«

      »Wir sind über die Angelegenheit informiert«, wiederholte Craggs.

      »Was macht das? Sie wollen Männer von Lebenserfahrung sein und hätten nie gehört, daß


Скачать книгу