Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

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Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin


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      »Sicherlich«, sagte Mr. Britain, jetzt beim Vollgenuß seiner Pfeife, da der Raucher den Mund nur ein ganz klein bißchen zum Reden zu öffnen vermag und in genußreichster Ruhe in seinem Stuhl sitzt und nur imstande, seinem Gefährten die Augen zuzuwenden, und das sehr langsam und ernst. »O! ich bin dir sehr dankbar dafür, Clemency, das weißt du ja!«

      »Ach, wie nett der Gedanke daran ist!« versetzte Clemency. In diesem Augenblick wurden ihre Gedanken und ihr Blick auf das Kerzenunschlitt gelenkt, und weil sie sich plötzlich an dessen Heilkraft als Wundbalsam erinnerte, salbte sie sich den linken Ellbogen ergiebig mit dem neuen Mittel.

      »Du weißt, ich habe manche Untersuchung über dieses und jenes unternommen«, fuhr Mr. Britain mit der würdigen Miene eines Denkers fort, »weil ich immer wißbegierig war, und ich habe viele Bücher über die Vorzüge und Mängel der irdischen Güter gelesen; denn ich habe mich selbst in meiner Jugend mit der Literatur befaßt.«

      »Wirklich!« rief die bewundernde Clemency.

      »Ja«, erzählte Mr. Britain; »ich stand zwei der besten Jahre meines Lebens hinter einer Antiquarsbude und war bereit herauszustürzen, wenn jemand ein Buch in die Tasche steckte; und dann war ich Bote bei einer Putzmacherin; in diesem Amt brachte ich in Wachstuchpaketen nichts als Lug und Trug zu den Leuten. – Dadurch wurde mein Gemüt verbittert und mein Vertrauen auf die menschliche Natur zerstört; und darauf hörte ich hier in diesem Hause vielerlei Reden, die mein Gemüt noch mehr verbitterten, und nach alledem ist es meine Ansicht, daß als sicherer und freundlicher Beruhiger des Gemüts und als guter Führer durch das Leben nichts über das Muskatsieb geht.«

      Clemency wollte etwas hinzufügen, aber er kam ihr zuvor. »Im Verein«, setzte er ernst hinzu, »mit einem Fingerhut.«

      »Tue was du willst, und so fort, nicht wahr?« fiel Clemency ein und schlug ihre Arme voll Freude über das Geständnis übereinander und rieb sich den Ellbogen. »Ein so trefflicher Spruch, nicht wahr?«

      »Ich weiß allerdings nicht«, sagte Mr. Britain, »ob man es richtige Philosophie nennen könnte. Ich habe meine Zweifel deswegen; indessen es muntert auf und erspart viel Zwistigkeiten, was bei den fachmännischen Produkten nicht immer der Fall ist.«

      »Bedenke aber, wie du selbst manchmal knurrtest«, sagte Clemency.

      »Ach!« sagte Mr. Britain. »Aber das Seltsamste ist, Clemency, daß du mich bekehren mußtest. Das ist das Komischste bei der ganzen Sache. Ausgerechnet du! Ich glaube, du hast keinen halben Gedanken im Kopf.«

      Ohne dadurch im mindesten gekränkt zu sein, schüttelte Clemency den Kopf, lachte, umarmte sich und sagte: »Nein, ich glaube es auch nicht.«

      »Ich bin dessen ziemlich sicher«, sagte Nr. Britain.

      »O! ich glaube wohl, du hast recht«, meinte Clemency. »Ich mag gar keinen. Ich brauche auch keinen.«

      Benjamin nahm die Pfeife aus dem Mund und lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen kollerten. »Wie einfältig du bist, Clemency«, fügte er, über den Scherz immer noch lachend und sich die Augen wischend, hinzu.

      Clemency wandte nicht das geringste ein, sondern lachte ebenso herzlich wie er.

      »Aber ich habe dich trotzdem gern«, sagte Mr. Britain; »du bist ein recht gutes Mädchen auf deine Weise; so gib mir die Hand, Clemency. Was auch komme, ich will immer zu dir halten und immer dein Freund sein.«

      »Wahrhaftig?«, fragte Clemency. »Nun, das ist gewiß recht schön von dir.«

      »Ja, ja«, sagte Mr. Britain und hielt ihr die Pfeife zum Ausklopfen hin; »ich will dich nicht verlassen. Horch! das ist ein seltsames Geräusch!«

      »Geräusch!« wiederholte Clemency.

      »Fußtritte draußen. Es hörte sich an, als ob jemand über die Mauer springe.«

      »Sind sie oben alle zu Bett?«

      »O, jetzt sind sie alle schlafen gegangen.«

      »Hörtest du nichts?«

      »Nein!«

      Sie horchten beide, hörten aber nichts mehr.

      »Ich will dir was sagen«, meinte Benjamin und nahm eine Laterne herab; »ich will der Vorsicht halber einmal draußen die Runde gehen, bevor ich mich schlafen lege. Öffne die Tür, während ich die Laterne anzünde, Clemency.«

      Clemency gehorchte schnell, merkte aber dabei, daß er sich umsonst bemühte, sich einzureden, es sei Einbildung. Mr. Britain sagte nämlich »sehr möglich«, und ging hinaus. Bewaffnet mit dem Schüreisen leuchtete er nach allen Seiten.

      »Es ist so still wie auf dem Kirchhof«, sagte Clemency, als sie ihm nachblickte: »und auch fast so gräulich!« Als sie wieder in die Küche zurückschaute, schrie sie angstvoll auf, als sich ihr eine leichte Gestalt näherte. »Wer ist da?«

      »Still!« flüsterte ihr Marion aufgeregt zu. »Du hast mich immer geliebt, nicht wahr?«

      »Geliebt, Kind! Gewiß.«

      »Ich weiß es. Und ich kann mich dir anvertrauen, nicht? Ich habe jetzt hier fast niemanden, dem ich mich anvertrauen kann.«

      »Ja«, sagte Clemency herzlich.

      »Es harrt jemand draußen«, sagte Marion und deutete nach der Tür, »den ich heute abend noch sehen und sprechen muß. Michael Warden, um Himmels willen, gehen Sie fort von hier! Jetzt nicht!«

      Clemency schrak überrascht und beunruhigt auf, als sie dem Blick der Sprechenden folgte und eine dunkle Gestalt im Torweg stehen sah.

      »Im nächsten Augenblick können Sie entdeckt sein«, sagte Marion. »Jetzt nicht! Warten Sie möglichst in einem Versteck. Ich werde gleich kommen.« Er grüßte sie mit der Hand und war verschwunden.

      »Geh nicht zu Bett. Warte hier auf mich!« sagte Marion voll eiliger Hast. »Ich habe schon vor einer Stunde mit dir sprechen wollen. O, verrate mich nicht!« Marion ergriff heftig ihre Hand und drückte sie an die Brust – eine Bewegung, die in ihrer Leidenschaft mehr sprach, als das heißeste Flehen in Worten. Sodann eilte sie davon, als das Licht der zurückkehrenden Laterne die Stube zu erhellen begann.

      »Alles ruhig und still. Niemand hier. Wohl Einbildung«, sagte Mr. Britain, als er die Tür zuschloß und abriegelte. »Eine von den Folgen einer lebhaften Phantasie. Heda! Nun, was ist los?«

      Clemency, die ihre Aufregung nicht zu verbergen vermochte, saß blaß und am ganzen Leib zitternd auf einem Stuhl. »Was los ist?« wiederholte sie und rieb sich, nach Fassung suchend, Hände und Ellbogen, wobei sie überall hinschaute, nur nicht ihm ins Gesicht. »Das ist ja nett von dir, Britain! Erst jagst du einem einen Totenschreck ein mit Lärmen und Laternen und der Himmel weiß was sonst noch. Was los ist! Auch noch!«

      »Wenn du einen Totenschreck von einer Laterne bekommst, Clemency«, sagte Mr. Britain und blies die Laterne ganz kaltblütig aus, »so läßt sich das Gespenst bald vertreiben. Aber du hast doch sonst Courage genug«, sagte er und blieb stehen, um sie zu mustern: »und warst auch erst ganz ruhig nach dem Lärm und als ich die Laterne anzündete. Was ist dir in den Kopf gefahren? Doch nicht ein Gedanke?«

      Aber da ihm Clemency leidlich wie sonst gute Nacht wünschte und sich zum Schlafengehen anzuschicken schien, sagte ihr auch Klein-Britannien gute Nacht, nachdem er noch die originelle Bemerkung geäußert hatte, es könne niemand wissen, wie er mit den Weibern daran sei. Darauf nahm er sein Licht und ging schläfrigen Schritts zu Bett. Als alles still war, kam Marion zurück.

      »Schließ die Tür auf«, sagte sie; »und warte dicht bei mir, während ich draußen mit ihm rede.«

      So schüchtern ihre Haltung auch war, so zeigte sich an ihr doch eine Sicherheit und Unbeirrtheit des Wollens, der Clemency nicht zu widerstehen vermochte. Sie entriegelte leise die Tür, aber bevor sie den Schlüssel im Schloß umdrehte, schaute sie sich um nach der jugendlichen Gestalt, die bloß das Öffnen abwartete, um hinauszueilen. Das Gesicht war nicht abgewandt oder zu Boden gesenkt, sondern blickte sie


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