Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот

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Gesammelte Werke von Joseph Roth - Йозеф Рот


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er sich in ein Mädchen verliebt hatte, dessen Eltern, wohlhabende Delikatessenhändler, ihre Tochter nur einem wohlhabenden Manne zu geben gewillt waren. Er spielte in der Lotterie und gewann. Hierauf besuchte er die Eltern seiner Geliebten und sprach davon, eine Musikalienhandlung zu eröffnen. Er verlobte sich. Eine kleine Musikalienhandlung paßte ihm nicht, er wollte mit einer großen anfangen. Dazu mußte man mehr Geld haben, als er gewonnen hatte. Weil er an sein Glück glaubte, auch einige Abenteuer zu bestehen gedachte, ging er zur Bahn und fuhr nach Monte Carlo. Und dort ereigneten sich jene außergewöhnlichen Umstände, unter denen er seinen Chronometer erstanden hatte.

      Er verlor den größten Teil seines Geldes, kam zurück, heiratete. Es reichte nicht einmal mehr für eine kleine Musikalienhandlung. Er bekam durch die Vermittlung seines Schwiegervaters ein Papiergeschäft in Kommission. Wie weit war er da vom Eichenholz entfernt! Er mußte den ganzen Tag zu den großen Firmen der inneren Stadt gehen, um Bestellungen auf Drucksorten aufzunehmen. Indessen saß seine junge Frau in einem kleinen Delikatessenladen und verkaufte Heringe auf Kredit. Nachdem Zipper sich, wie es heißt, »eingearbeitet« hatte, gab seine Frau die Heringe auf. Man konnte bei dem Papiergeschäft nie reich werden, aber lange am Leben bleiben. Allmählich war Zipper seine Beschäftigung lieb geworden. Sie war keine Arbeit. Sie gestattete ihm, langsam durch die lebendigsten Straßen der Stadt zu gehen, mit den Direktoren der größten Geschäfte zu sprechen, bei der und jener Gelegenheit manches zu erfahren, wonach ihn zu wissen dürstete. Er schaffte sich Verbindungen, an denen ihm viel gelegen war. Theaterkassierern, Varieté-Agenten, Zirkusdirektoren kam er immer näher. Kleinen Menschen machte er gelegentlich kleine Geschenke, zum Beispiel Visitkarten. Wo andere zahlen mußten, stand ihm der Zutritt frei. Wo andere warteten, drang er als erster vor. Und selbst wo man, ohne zu warten, vordringen konnte, war es ihm lieb, so zu tun, als könnte nur er zuerst darankommen.

      Seinem Beruf entsprechend wechselte seine Kleidung. Eine bestimmte Delikatesse in der Wahl seiner Stoffe und seiner Hemden und seiner Krawatten schien ihm angeboren. Daß er von Zeit zu Zeit in Modeschriften einen Blick warf, glaubte er seiner Karriere schuldig zu sein. Sie zu machen, war er fest entschlossen. Doch war auf dem Weg eines alltäglichen Papierhandels freilich kein großer Reichtum zu erwarten. Infolgedessen unterbreitete Zipper, in seinem »Auftreten« unterstützt durch die elegante Note seiner Kleidung, verschiedenen einflußreichen Persönlichkeiten »Projekte«. Seine Vorschläge bezogen sich auf die Verbesserung der Straßenbahnbremsen, auf die Hebung des Fremdenverkehrs, auf eine neue Organisation des Reklamewesens. Manche Einfälle gebar sein Kopf. Ständig ging er mit Plänen schwanger. Allmählich, da kein einziger gedieh, wurde er traurig, wie ein Gärtner, der kraftlosen Samen gesät und dem der Sommer und der Herbst ohne Gabe vorbeiziehn. Er gab immer weniger auf seine Haltung acht. Verschiedene Methoden, eleganter zu erscheinen, als er in Wirklichkeit sein konnte, behielt er noch bei. Er trug weiße Krawatten zu einem schwarzen Anzug. Er sah einem Herrenreiter ähnlich, einem Lakaien, einem Fischer am Sonntag, einem Kapitän, der nach langen Jahren zum erstenmal wieder festen Boden betritt, einem Manager in einem Zirkus, weiß Gott noch wem. Als ihm die Haare auszugehen begannen, erfand und mischte er allerhand Salben, sie zu bewahren. Durch eine Verbindung von Terpentin, Chinin, Schwefel und Salz gelang es ihm, ein Haarmittel herzustellen, das er selbst mit Erfolg verwendete und dessen Geheimnis er einem Friseur verkaufte – um den Preis eines Gratisabonnements für zwei Jahre, Haarschneiden einmal im Monat inbegriffen. Denn es ging dem alten Zipper keineswegs um einen Verdienst, sondern um die Möglichkeit, sich sogar in puncto Rasieren und Haarschneiden von andern Männern zu unterscheiden, die ihren Barbier mit barer Münze bezahlten.

      Es war sein Ehrgeiz, »Protektionen« zu haben. Meist gelang es ihm, die Gunst derjenigen Persönlichkeiten zu gewinnen, die man überhaupt im Leben nicht braucht. Da er sich aber einbildete, man müsse Freundlichkeit erhalten, verlor er viel Zeit – die ihm allerdings immer zur Verfügung stand. Er kannte die Rayoninspektoren der Polizei, einige Männer von der Feuerwehr, er hatte seine Beziehungen auf den verschiedensten Bahnhöfen, er grüßte Zollbeamte, Magistratssekretäre, Gerichtsadjunkten, Männer, die Steuern einkassierten, Sollizitatoren, Notare. Ja, auch den Henker kannte er. Er rühmte sich seiner Fähigkeit, Hinrichtungen beiwohnen zu können, ließ es aber niemals darauf ankommen – ich vermute, daß ihn sein weiches Herz nicht gehen ließ. Doch gelang es ihm immer, bei Unglücksfällen, Bränden, Volksversammlungen, Verhaftungen, Demonstrationen, Umzügen, offiziellen Feiern und andern Gelegenheiten dort durchzukommen, wo es verboten war. Er, der sich aus dem Kaiser nichts machte und abfällige Witze über ihn sogar im Kaffeehaus vorbrachte, marschierte am Vorabend des kaiserlichen Geburtstages an der Seite der Fackelträger und der Veteranenmusik.

      Wenn eine hohe Persönlichkeit begraben wurde, hinderte ihn seine Ungläubigkeit nicht, in einer Reihe mit den nächsten Leidtragenden in der Kirche zu sitzen. Jeden Sommer, wenn der Kaiser nach Ischl fuhr, befand sich der alte Zipper unter Generälen, Bürgermeistern und fast neben dem Stationschef – den er kannte – auf dem Bahnsteig. Längst nachdem er wegen starker Krampfadern von der Teilnahme an Manövern befreit war, ging er in die Dörfer, in denen sie stattfanden. Alle Bewegungen der Truppen kannte er. Dank einer Beziehung zu einem Portier des Parlaments, saß er, wenn es tagte, neben der Journalistenloge. Bedeutenden Prozessen wohnte er bei, Eintrittskarten hatte er für alle Angehörigen zur Verfügung.

      Indessen gingen leider seine Geschäfte immer schlechter. Denn er bemühte sich weniger um die Kunden, die ihm Aufträge erteilten und bei denen er verdienen konnte, als um jene, die ihm für gleichgültige Gelegenheiten kleine Vorteile verschafften. Andern wieder machte er Geschenke, er lieferte ihnen Drucksorten umsonst. »Man muß sich revanchieren!« sagte der alte Zipper. Es ging abwärts mit seinen Geschäften. Seine Frau blieb dem Greißler schuldig, das Klavier war erst zur Hälfte bezahlt, die Monatsrechnung für das Lexikon, Darwin, Haeckel und Schillers gesammelte Werke blieb liegen, der Ratenagent kam und drohte mit der Pfändung. Aber Zipper lächelte: ihn pfänden? Gab es im ganzen Bezirk einen Steuereinnehmer, der Zipper pfänden würde?

      V

       Inhaltsverzeichnis

      Eines Abends, es war Sommer, neun Uhr, knapp nach dem Abendessen, just um die Stunde, in der die Bewohner des Viertels ihre Wohnungen verlassen (die Frauen ohne Hüte, die Kinder an der Hand, die Hunde ohne Leine und die Männer ohne Weste), um in den nächsten kleinen Park zu gehen oder auf den Kai, da sagte Zipper plötzlich zu seiner Frau:

      »Ich habe heute den Salon vermietet.«

      An diesem Abend ging die Familie Zipper nicht mehr an die Luft. Alle, die im Zimmer waren – auch ich, der ich gekommen war, meinen Freund abzuholen –, dachten, der alte Zipper sei verrückt geworden. Die Frau Zipper stand auf, trat hinter die Lehne ihres Sessels, wie hinter eine Schanze, um sich zu verteidigen. Als sie sah, daß ihr Mann ruhig saß, blieb auch sie bewegungslos stehen. Sie sah ihn gerade an, sie schien am schnellsten von uns zu begreifen. Auf einmal begann sie den Kopf zu schütteln, es war, als bekräftige sie etwas, was sie nur für sich gedacht hatte, als bejahte sie irgendeinem Unsichtbaren eine Frage, die er, nur ihr hörbar, gestellt hatte. Ja, ja, ja, ja, sagte fortwährend ihr armer Kopf, und ihre knochigen harten Hände lagen regungslos auf der Stuhllehne. Ja, ja, ja, ja, nickte ihr Kopf, und nichts sonst bewegte sich im Zimmer. Arnold saß ruhig da, Cäsar war schon fortgegangen, ich kauerte auf der Ecke eines Sofas, am Kopfende des Tisches saß der alte Zipper, und ihm gegenüber stand seine Frau und nickte mit dem Kopf.

      »Was nickst du so?« sagte Zipper. – Sie antwortete nicht – das heißt: ihr Mund antwortete nicht, aber ihr blasses feuchtes Auge antwortete, es ließ eine Träne fallen. Ich erinnere mich, wie sie glänzte, diese Träne auf dem gelben Gesicht.

      »Da läßt sich mein Freund, der Sekretär Wandl«, begann Zipper, »von seiner Frau scheiden. Das heißt, ich meine: nur von Tisch und Bett. Er sucht eine Wohnung. Wo soll er hin? ›Kommen Sie zu mir!‹ sag ich ihm. ›Ich hab einen Salon frei, ein Bett kann ich Ihnen nicht geben, aber jetzt werden Sie doch froh sein, eine Zeitlang kein Bett zu sehen, glaub ich, was?‹ Darauf lacht er natürlich. Von dem Preis –«

      »Ja, was zahlt er?« unterbrach ihn die Frau Zipper. Es war zum erstenmal,


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