IMMODESTIA. Philipp Spiering
Читать онлайн книгу.für dich finden.“
Das war eine peinliche Situation gewesen. Daniel hasste es, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Aber was hätte er sagen sollen? Dass er kein Interesse an einem Ausweg hatte?
„Ist das dein Ernst?“, hatte er sicherheitshalber gefragt.
„Ich würde es nicht anbieten, wenn ich es nicht ernst meinen würde.“
Daniel bedankte sich und nahm das Angebot an.
Jetzt schaute er auf sein Handydisplay. Unbekannter Anrufer.
„Hallo?“, meldete er sich und bemerkte die Müdigkeit in seiner Stimme.
„Ich hab da was für dich geklärt.“
Das war Luca.
Daniel war perplex. Es waren nur ein paar Stunden vergangen, seit sie die Kneipe verlassen hatten. So schnell hatte er nicht mit einer Rückmeldung gerechnet.
„Ehrlich?“ gefolgt von „Was denn?“, waren die einzigen Fragen, die er hervorbringen konnte.
„Kann ich am Telefon nicht sagen. Ich muss jetzt erstmal schlafen, aber komm doch um 15 Uhr bei mir vorbei, dann erzähl ich dir was darüber.“
„Um 15 Uhr arbeite ich noch.“
„Dann lass dich krankschreiben. Glaub mir, es lohnt sich.“
Eine Überlegung war nicht notwendig.
„Okay“, sagte Daniel.
„Ich schick dir die Adresse per SMS. Bis später.“
Verzasca
Der Privatjet flog scheinbar lautlos über das offene Meer. Antonio Fiore hatte sich, wie alle Männer in seiner Position, mit der Zeit genügend legale Einnahmequellen zugelegt, um einen solchen Luxus vor dem Finanzamt rechtfertigen zu können. Während der Don seinen Rausch von letzter Nacht ausschlief, schaute Paulo Verzasca über die dichte Wolkendecke, unter der sich der Ozean verbarg. Er war etwas wehmütig in Anbetracht der Tatsache, dass er in wenigen Stunden wieder im verschneiten Deutschland sein würde.
Aber es gab viel zu tun.
Ein Treffen mit Heinrich Kettler würde arrangiert werden und Paulo war genauso zuversichtlich wie sein Mentor, dass er an dem umsatzstarken Geschäft mit dem Kokain interessiert sein würde. Die einzige Frage, die er sich immer wieder stellte, war, wieso mächtige Männer nach immer mehr Macht strebten. Fiore beispielsweise hatte, unter der Bedingung, dass keiner seiner Nachfahren ein vollkommener Trottel war, für die nächsten Generationen ausgesorgt.
Und Paulo konnte mit Sicherheit sagen, dass Fiores Kinder alles andere als dumm waren.
Samuele, der älteste Sohn, würde in einigen Jahren das Geschäft übernehmen und war jetzt schon in vielen Angelegenheiten bevollmächtigt. Er hatte sich noch keinen Fehler erlaubt, was überaus selten der Fall war in einer Welt, in der es äußerst schwierig, aber unumgänglich war, persönliche Gefühle hinter geschäftliche Angelegenheiten zu stellen.
Tomasso, "der Sprössling", mit zweiunddreißig Jahren vier Jahre jünger als sein Bruder, war intelligent, aber zu bescheiden, um ein solches Imperium wie das seines Vaters jemals befehligen zu können. Er war zweifelsohne loyal, strebte jedoch nach einer eigenständigen Karriere in legalen Bereichen, auch wenn er den Luxus genoss, den sein Vater der Familie bot.
Die Jüngste in der Riege der Fiore-Nachkommen war Aurora. Paulo hatte die Fähigkeit, Menschen gut durchschauen zu können, aber Auroras Fassade war für ihn nicht zu durchdringen. Ihre Schönheit war bemerkenswert, beinahe unreal, doch hatte sie eine Ausstrahlung, die er als einschüchternd beschrieben hätte. Während Paulo zu den Söhnen, besonders zu Samuele, ein gutes Verhältnis pflegte, hatte er zu Aurora gar keines.
Paulo lehnte sich in seinem Sitz zurück. Er sollte versuchen, wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.
Niro
Daniel ging die Nebenstraße entlang. Sie war gesäumt von hohen Reihenhäusern, viele davon mit Graffitis beschmutzt. Er fühlte sich plötzlich unwohl in seiner Haut und zweifelte am Wahrheitsgehalt von Lucas Aussagen. Aber als er den Porsche Panamera am Straßenrand stehen sah, waren seine Bedenken wie weggewischt. Der Luxuswagen war direkt vor der Hausnummer geparkt, die Luca ihm per SMS hatte zukommen lassen. Daniel klingelte an der Haustür.
„Okay, hör zu“, sagte Luca, nachdem sie sich begrüßt und am Küchentisch Platz genommen hatten.
Die Wohnung war größer als von draußen angenommen. Spärlich eingerichtet, aber nicht ungemütlich. Dennoch fragte sich Daniel, ob es sich um Lucas private Wohnung handelte. Zu seinem Auto passte sie nicht und persönliche Gegenstände konnte er auch nirgends sehen.
„Bevor ich dir sage, was ich zu sagen habe, möchte ich kurz klarstellen, dass ich dich zu nichts verleiten will, was du später bereust“, fuhr Luca fort.
Daniel runzelte die Stirn.
„Wie meinst du das?“
„Nun ja, es ist keine normale Branche, in der ich arbeite.“
Daniel verstand. Kurz wurde er wütend, weil sein Gewissen ihm sagte, dass er jetzt aufstehen und gehen musste. Dann aber realisierte er, dass er die ganze Zeit schon gewusst hatte, dass das alles nicht mit rechten Dingen zuging. Und dass er genau deshalb hier saß.
„Komm zur Sache, Luca“, antwortete er und war selbst überrascht über die plötzliche Sicherheit in seiner Stimme.
Luca konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„In meiner Branche wird man nach Leistung bezahlt. Keine Leistung, kein Geld. Wenn du bereit bist, etwas zu leisten, dann hab ich grünes Licht, diese Leistung heute mit zweitausend Euro zu bezahlen.“
Daniel dachte, er hätte sich verhört. Zweitausend Euro waren deutlich mehr als sein gesamter Monatslohn. Erzielbar an einem Tag. Er versuchte, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen.
„Von was für einer Leistung ist die Rede?“, fragte er.
„Du musst mich begleiten zu einer Übergabe.“
„Übergabe von was?“
„Einem Rucksack.“
„Mit welchem Inhalt?“
Luca schwieg eine Weile. Jetzt kam es Daniel vor, als ob sein Gegenüber unsicherer war, als er selbst.
„Wenn ich dir das sage, gibt es für dich keinen Weg zurück“, sagte er schließlich.
Ob es gefährlich werden würde, beantwortete diese Aussage.
„Was ist in dem Rucksack?“
„Weißes Pulver“, antwortete Luca.
Das war der Moment, in dem Daniel Niro dem Reiz der Gefahr erlag. Er empfand es als ein unbeschreiblich gutes Gefühl.
Luca sah Daniel an und wusste, dass er den Köder geschluckt hatte. Er wusste aus Erfahrung, dass ein armer Kerl, der einmal Geld gerochen hatte, diesen Duft nie mehr missen wollte.
Verzasca
Paulo verließ den Jet und kniff die Augen zusammen, weil kalter Wind ihm ins Gesicht blies. Der Himmel war grau, der Boden weiß. Am Rand der Landebahn stand ein schwarzer BMW 7er. Daran lehnte lässig Tomasso, eingepackt in einen warmen Wintermantel. Auf der Beifahrerseite stand ein vollbärtiger Anzugträger mit öligen, nach hinten gekämmten Haaren, die Hände vor dem Schritt verschränkt.
Ein Bild wie aus einem Mafiafilm, dachte Paulo.
Als Antonio Fiore aus dem Flugzeug trat, wechselte auch Tomasso von seiner lässigen Haltung zu einer respektvoll aufrechten. Fiore stieg die ausgefahrenen Stufen herunter