Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes


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bald hatte sich Knoll an die Koständerung gewöhnt. In Magdeburg hatten sie sich, selbst in Kriegszeiten, am liebsten von Bürgerspeise ernährt: Die Früchte der Bäume, wie Kastanien und Pfirsiche, waren neben Fleisch, Käse und Speck stets auf ihren Tischen zu finden gewesen. Nun, unterwegs, aßen sie meist ›niedere‹ Speisen: Knollen, Wurzeln, Zwiebeln, Salat. All das, was unten am Boden wuchs und daher, nach altem Brauch, seit jeher für die ›da unten‹ bestimmt gewesen war. Aber solange Knolls Geld ausreichte, litten sie zumindest keinen Hunger. Wenn die Bauern, auf deren Höfen sie anklopften, sie meist unfreundlich empfingen oder gleich davonjagen wollten, so war beim Anblick einer klingenden Münze meist ein Stück Käse oder Wurst zu haben. Manchmal sogar ein Platz im Heu.

      Wohin sollten sie sich wenden? In eine Stadt, damit Knoll dort Arbeit als Braumeister finden könnte? Alle protestantischen Städte lebten derzeit mit dem Damoklesschwert der katholischen Truppen über sich und konnten jederzeit überfallen werden. Das wollte Knoll nicht noch einmal durchmachen. Am besten wäre sicher, erst einmal dem Krieg aus dem Weg zu gehen. Denn auch der längste Krieg würde irgendwann einmal vorbei sein. Und mit einfachem Handwerk konnte man sich auch auf dem Land über Wasser halten. Vorausgesetzt, man lief den Plünderern nicht in die Arme.

      Aus Wochen wurden Monate. Immer wieder trafen sie auf ihrem Zug durch Niedersachsen auf vereinsamte Gehöfte, wo vorbeiziehende Soldaten verbrannte Erde hinterlassen hatten. Sie wanderten vorbei an Ruinen einst stolzer Häuser und über kahle Hügel, auf denen häufig verwitterte Galgen standen – bisweilen hingen noch Teile der Gehenkten daran, die wie bedrohliche Wegweiser in eine düstere, fürchterliche Welt wirkten. So sehr sie von den Grausamkeiten bereits abgestumpft waren, reagierten sie doch ein ums andere Mal erneut schockiert über den Einfallsreichtum der Folterknechte. Das geflügelte Wort von den ›Soldaten, die der Bauern Teufel sind‹, war hier grausame Wirklichkeit geworden. Sie durchquerten die protestantische Grafschaft Mark, die besonders übel heimgesucht worden war. Sie mussten fort aus dieser Gegend, so schnell wie möglich.

      Einige Wochen später hatten sie den Rhein erreicht und standen vor einer plumpen, steinernen Brücke, die jedoch zerstört war. So setzten sie zwischen Köln und Bonn mit einem Boot über, dessen Fährmann sich letzte Reste von Mitleid und Menschlichkeit bewahrt hatte. Nach allem, was sie unterwegs gehört hatten, war es am Niederrhein, trotz der Nähe zu den spanischen Niederlanden, bislang weitgehend friedlich geblieben. Keine Schlachten, nur gelegentlich vorbeiziehende Truppen auf einem Gewaltmarsch, denen Kost und Logis gewährt werden mussten. Größere Plünderungen waren jedoch ausgeblieben. Lediglich Häuser ohne Dächer erblickten sie ab und zu. Da erinnerte sich Knoll daran, dass in den Zeiten der schlimmsten Inflation einige Jahre zuvor die Falschmünzer sogar Dächer abgedeckt hatten, um genügend Kupfer für ihre Betrügereien zu haben.

      Mittlerweile befanden sie sich in der Eifel. Wie der Rest des Reiches, war auch diese Gegend zumeist Bauernland. Die Bauern waren der Boden der gesellschaftlichen Pyramide. Sie ernährten ihre Herren, sie zahlten, leisteten Frondienst, bei Protest wurden sie massakriert. Aber dennoch waren dies hier andere Bauern als die in der Magdeburger Börde, die sich bei Verhandlungen über das Getreide meist als vorlaut und schlagfertig erwiesen hatten. Die Eifeler Bauern waren schweigsam, gläubig und fleißig, noch erdverbundener als andere und, bei aller Langsamkeit – die Knoll zuerst für Dummheit hielt –, doch klug und lebenserfahren. Sie ehrten ihre Traditionen, sprachen aber wenig darüber, sondern befolgten sie ganz einfach. Die Schweigsamkeit hatte ihre Vorteile: Niemand fragte Knoll nach dem Woher und Wohin. In diesen Zeiten war das halbe Reich unterwegs, Flüchtlinge der Religion, Katholiken wie Protestanten, Flüchtlinge aus eroberten Städten, zerstörten Dörfern und niedergebrannten Bauernhöfen, arme Flüchtlinge und auch wohlhabende, jung wie alt, Männer wie Frauen, Bürger, Bauern und sogar bisweilen der Klerus. Wer keine Fragen stellte und keine Antworten erwartete, der wurde auch in Frieden gelassen. Zumindest von der Landbevölkerung.

      Bei Dreimühlen, etwas südlich von Eiserfey, durchquerten sie eine Landschaft voller bizarrer Felsen und wunderlicher Steinformationen. Hier nahm die Idee in ihren Köpfen zum ersten Mal Gestalt an.

      Magdalena sprach es als Erste aus: »Hier gibt es sicherlich Höhlen. Wenn wir eine solche nur finden könnten. Das wäre doch etwas zum Verstecken und zum Überleben.«

      Also begannen sie mit der Suche. Und wurden bald fündig. Mehr als das. Sie fanden ein ganzes Höhlensystem, das von den Einheimischen nach einem Riesen aus einer alten Sage ›Kakushöhle‹ genannt wurde. Dieser riesige, alte Kalkfelsen würde ein prächtiges Versteck abgeben! Sie waren aber weder die Ersten noch die Einzigen, die diese Idee gehabt hatten. Etwa vier Dutzend Menschen hatten sich bereits in dieses unterirdische Labyrinth zurückgezogen.

      Cord, Magdalena und die beiden Söhne fanden dennoch Platz dort und wurden von den anderen Bewohnern angenommen. Sie gliederten sich in die kleine Gemeinschaft ein, die gerade dabei war, eine soziale Ordnung zu entwickeln.

      Knoll, als einer der ganz Wenigen, die lesen und schreiben konnten, wurde zum offiziellen Schreiber der Höhlengemeinde gewählt. Außerdem zum Lehrer der etwa zwanzig Kinder und, da er im braufreien Sommer stets Küferarbeit verrichtet hatte, war er von nun an auch dafür verantwortlich, die Fässer, die einige mitgebracht hatten, zu reparieren.

      Magdalena sammelte mit den anderen Frauen Holz und grub auf den Feldern nach Gemüse und Wurzeln. Die meisten Männer gingen jagen und stellten Fallen auf. Die Kinder mussten zu ihrer eigenen Sicherheit immer in der Nähe der Höhle bleiben. Dort sammelten sie Beeren, Schwämme und Reisig, manchmal fand ein Glückspilz einen Igel. Beinahe so etwas wie Zufriedenheit war es, was sie empfanden, wenn die kleinen Stacheltiere am Spieß steckten, himmlischen Duft verbreiteten und den Hunger der Kinder stillten. Allen gemeinsam war der Wunsch nach Frieden im Land und in ihrer Gemeinschaft, der nur selten durch kleinere Streitereien unterbrochen wurde. Diese wurden denn auch gemeinsam geschlichtet, denn es gab keine Hierarchie, keinen Anführer unter ihnen. Alle arbeiteten Hand in Hand. Das von allen hergestellte Werkzeug wurde von jedermann genutzt, die Früchte der Jagd und des Sammelns vernünftig geteilt. Es gab eine kleine Nebenhöhle, in der wurden Holzvorräte angelegt. Damit das Holz immer schön trocken war und nicht so viel Rauch entwickelte wie nasses Holz. Sie lebten wie eine Herde Tiere, alle zusammen und in der Gruppe; eine Privatsphäre existierte so gut wie nicht. Die meisten Familien hatten sich behelfsmäßige Gestelle aus Ästen gebaut, an denen Sackleinen aufgespannt waren. Diese dienten als Zwischenwände, um ihren Wohnraum von anderen abzugrenzen.

      In jeder Nacht verwandelte die kalte, nackte Dunkelheit die Höhle in eine Welt voller wispernder, flüsternder Schatten. Grunzendes Schnarchen, Kinderweinen und leises Gestöhne erfüllten die Höhle. Knoll und Magdalena waren sich bewusst, dass sie ihre Intimität mit seinen Kindern, aber auch mit anderen Familien teilen mussten. Magdalena war dies nicht fremd, denn beim jahrelangen Umherziehen mit den Truppen war ihre Privatsphäre ebenfalls sehr eingeschränkt gewesen. Sie hatte damit keine Probleme. Knoll, der mit seiner Frau in Magdeburg ein eigenes, gutbürgerliches Schlafgemach geteilt hatte, brauchte eine Weile, bis er sich damit arrangiert hatte. Wenn Magdalena sich jedoch in der Nacht an ihn klammerte und ihre nackten, abgemagerten Körper sich vereinten, dann vergaß er für eine kurze Weile das Elend um ihn herum. Die gegenseitige Hingabe in der Nacht ließ beide die schweren Tage besser überstehen. Die Höhlenmenschen gewöhnten sich an ihr sonnenarmes Dasein. Es gab Todesfälle, es gab Geburten, es gab Kindstaufen und andere Gelegenheiten, bei denen dann bescheidene Feste ausgerichtet wurden. Ab und zu fand ein Geistlicher den Weg in die Höhle. Mitsamt Kruzifix, Messgewand und Abendmahlskelch. Sogar diese, Männer beider Konfessionen, waren auf der Flucht.

      Sie verbrachten eine lange, lange Zeit in der Kakushöhle. Immer wieder kamen neue Mitbewohner, andere verließen sie. Es gab Menschen, die wanderten regelrecht von Höhle zu Höhle. Quer durch das Reich. Immer auf der Flucht. Die erzählten bisweilen die erstaunlichsten Geschichten. So wie die Familie aus dem Hunsrück, die vor Tillys Truppen Zuflucht auf ihrer heimatlichen Burg Koppenstein gesucht hatten. Tilly belagerte die Burg, die Lage wurde immer verzweifelter, das Wasser wurde knapp. In der großen Not grub man die Brunnen tiefer und tiefer, bis ein Brunnen plötzlich nachgab und eine Wand durchbrach. Dahinter fand man eine riesige Höhle, in welche die Bevölkerung der gesamten Burg mit Sack und Pack einzog und die Wand hinter sich verschloss. Die Eroberer erstürmten eine leere


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