Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes


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der Hof eines Gutsherren ist?«, fragte Magdalena.

      Knoll war skeptisch. Und das zu Recht. Schon das fehlende Anschlagen eines Hofhundes hätte sie warnen müssen. Ebenso vermissten sie die normalerweise um einen Hofteich flatternden Enten oder Gänse. Auch sonst waren keine Vögel in der Luft. Kein lautes Geschnatter, kein wütendes Bellen, kein Gezwitscher, kein Geräusch. Nichts. Gespenstische Stille. Totenstille. Als sie näher kamen, sahen sie die halbverbrannten Dächer der Gebäude. Ein Regenguss hatte anscheinend dafür gesorgt, dass nicht alles abgefackelt worden war. Sogar das Toilettenhäuslein etwas abseits war teilweise verbrannt. Das herzförmige Schild an der Tür, auf dem mit ungelenker Schrift ›Unsere Heymlichkeit‹ geschrieben stand, war mit Ruß verschmiert. War der Hof verlassen? Vielleicht gab es doch noch etwas zu holen. Die Hoffnung starb zuletzt. Trotz des bestialischen Gestanks, einer Mischung aus feuchtem Moder, dem Odeur von geronnenem Blut und dem alles überlagernden, allen Menschen dieser Zeit sattsam bekannten, süßlichen Geruch verwesenden Fleisches, für den es jedoch keine augenscheinliche Quelle gab, der einfach überall präsent war.

      In der Stube war niemand. Die Speisekammer wie leergefegt. Die wenigen Möbel lagen wüst im Zimmer durcheinander, teilweise zertrümmert. In einer Ecke stand ein kleines Krautfass, gerade so groß wie ein Eimer. Dem Gewicht nach zu urteilen, war es voll. Sollten die Marodeure tatsächlich etwas übersehen haben? Knoll glaubte, dass es wohl eher verloren gegangen war, im Wirbel der Ereignisse während einer Plünderung. Er nahm das Fass und gab es Magdalena, die er dann mit den Kindern wegschickte. Hier wollte er allein weiter nach dem Rechten sehen. Zu oft hatten die Kinder bereits unfreiwillig Gräulichkeiten mit ansehen müssen. Wenn es nicht sein musste, dann wollte er ihnen das ersparen. Was er in der Scheune dann sah, ließ sogar dem inzwischen hart gesottenen Brauer die Galle hochkommen. Die Frau, zwei Großeltern und drei Kinder hingen nackt und tot an den hölzernen Wänden, die die Ställe voneinander trennten. Die räuberischen Söldner hatten die ganze Familie gekreuzigt, wohl bei lebendigem Leib und sicher nicht, ohne die weiblichen Mitglieder vorher zu schänden. Am Schlimmsten, sofern es noch schlimmer ging, hatte es jedoch den Bauern selbst getroffen. Tot und zuvor grün und blau geschlagen hing er, festgebunden, auf einem hölzernen Bock, der in einer eingetrockneten Blutlache stand. Ein Ladestock einer Muskete, schwarz vom geronnenen Blut, steckte tief in seinem After. Zudem hatte man ihm die Hoden mit einer Zange abgekniffen, die nun blutverschmiert am Boden vor sich hin rostete. Welche Schmerzen musste der arme Mann erduldet haben, bevor man ihn, auf dem Bock liegend, in dieser Position einfach hatte verbluten lassen?

      Mäuse und Ratten tummelten sich furchtlos und benagten die bereits verwesenden, stinkenden Körper. Schnell verließ Knoll den Ort des Grauens, nicht ohne die zu verfluchen, die dies angerichtet hatten. Dazu sprach er ein Gebet für die arme Familie. Wie ekelte es ihn vor diesem Krieg! Dann kehrte er mit aschfahlem Gesicht zu seiner Familie zurück und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Gott in diesem Krieg wohl gestorben war.

      Sie wurden mit jedem Tag schwächer. Das schon leicht verdorbene Sauerkraut hatte sie ein paar Tage über Wasser gehalten und zumindest verhindert, dass ihnen die Zähne noch weiter ausfielen. Das Wenige, das sie noch hatten, gaben sie den Kindern, besonders den beiden Kleinen. Dem ungeachtet waren alle fünf bald dermaßen schwach, dass sie nichts als Haut und Knochen waren. Mit gelblich schwarz gefärbter Haut, tief in den Höhlen liegenden Augen, fleckigen Zähnen und geschwollenen Bäuchen zogen sie durchs Land, wie so unglaublich viele andere, ziellos wie ein Stück Treibholz in einem stürmischen Meer. Sie waren ihr eigenes, kleines Bettlerheer geworden. Den schon gründlich zu Schaden gekommenen Leiterwagen ließen sie irgendwann einfach stehen. Zu anstrengend war es geworden, ihn zu ziehen. Außerdem hatten sie auch nichts mehr, was sie in den Karren hätten legen können. Die Kleider zerlumpt und rissig, schleppten sie ihre ausgemergelten Körper durch die Lande. An den Füßen trugen sie Stroh, das anfangs noch mit Schnüren festgebunden worden war, mittlerweile jedoch nur noch durch den Matsch der Straße zusammenhielt. Sie aßen Gras und Wurzeln und schabten Rinde von den Bäumen. Wenn sie ein Tier hätten fangen können, sie hätten es auch roh gefressen. Sie kauten auf alten Tierfellen herum, um ihren Mägen vorzugaukeln, sie erhielten Nahrung. Das Elend war unbeschreiblich.

      Es war September, als Gisbert an Hunger starb. Sie hatten ihn für so stark gehalten, den beinahe dreizehnjährigen Jungen. Aber anscheinend hatten sie sich zu sehr um die beiden Jüngeren gekümmert, die dennoch ebenfalls kurz vor dem Tod standen. Gisbert war eines Tages einfach umgefallen und nicht mehr aufgestanden. Knoll und Magdalena hatte die Kraft gefehlt, ihn zu tragen, so hatten sie Rast gemacht und versucht, ihm ihren allerletzten Kanten schimmeliges Brot zwischen die Zähne zu zwängen, es war aber bereits zu spät. Ohne zu jammern, ohne Wehklagen hatte Gisbert mit ihnen gelitten. Cord Heinrich Knoll machte sich schreckliche Vorwürfe. Sie waren sogar zu schwach, um ihn zu begraben, sie ließen ihn einfach am Wegesrand liegen, als einen der zahlreichen Körper, die dort vor sich hin verwesten.

      Die Wolken hoben sich düster vom schweflig gelben Sonnenuntergangshimmel ab. Kein Luftzug, kein Zweig rührte sich. Alles war still, als habe ein plötzliches Grauen das Leben ringsherum gelähmt, als sie Anfang Oktober 1635 an die südliche Pforte der Stadtmauer einer kleinen Stadt anklopften. Sie wussten alle, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten.

      »Wer begehrt Einlass? Kommt Ihr aus der Richtung von Wolsfeld?«, fragte eine laute Stimme durch das Gitter der dicken, eisenbeschlagenen Tür. In Wolsfeld, einem kleinen Ort etwa acht Kilometer entfernt, grassierte nämlich gerade die Pest.

      »Lasst uns ein, wir sind am Verhungern. Unsere Kinder liegen im Sterben.« Knolls Stimme war bereits merklich schwächer geworden.

      »Wir lassen kein Landvolk mehr in die Stadt, wir haben selbst kaum genug zu beißen«, kam als höhnische Erwiderung genau die Antwort zurück, die Knoll befürchtet hatte.

      »Wir sind kein Landvolk«, erwiderte er, bevor er mit der letzten, ihm verbliebenen, würdigen Demut betonte: »Ich bin der bürgerliche Brauherr Cord Heinrich Knoll.«

      Dann fiel er vor Hunger und Entkräftung einfach um.

      7.

      Zwei Tage und Nächte lang schlief Knoll durch.

      Er merkte nicht, dass ihm zwischendurch heiße Suppe eingeflößt wurde.

      Er merkte nicht, wie er ausgezogen, gewaschen und gepflegt wurde.

      Er merkte nicht, wie er in seinen Alpträumen sein Leid hinausschrie.

      Er schrie von Blutgerichten, geschändeten Frauen und toten Kindern, vom Fegefeuer und Zerstörung, vom Weltende und der ewigen Verdammnis. Als er endlich erwachte, hatte sich seine Familie bereits in Sorge um ihn versammelt. Der Geruch der herzhaften Suppe und des frisch gebackenen Brotes war unbeschreiblich köstlich und erweckte ihn wieder zum Leben. Die Kinder hatten sich erstaunlicherweise am schnellsten erholt, Suppe und Brot wirkten bisweilen wahre Wunder. Auch Magdalena war körperlich ziemlich rasch genesen, obwohl sie die kleine Lisbeth die meiste Zeit mittragen musste. Sie hatte, da sie durch jahrelange Teilnahme am Kriegswesen mit einem robusten Gemüt ausgestattet war, die erlittenen und mit angesehenen Scheußlichkeiten am besten verarbeitet. Außer den ausgefallenen Zähnen war allen Dreien auf den ersten Blick kaum mehr etwas anzusehen.

      »Wo bin ich? Wo sind wir?«, waren Knolls erste Fragen.

      »Im Hospiz in Bitburg«, antwortete Magdalena. »Weil wir eine Bürgerfamilie sind, haben sie uns Einlass in die Stadt gewährt. Und uns sogleich ins Hospital überwiesen.« Wie zum Zeichen, dass nun alles besser würde, hielt sie ihm einen großen Krug Bier hin, das erste richtige Bier seit langer, langer Zeit. Knoll trank mit Genuss. »Hier ist auch alles knapp. Aber es sind gute Menschen. Und Bier gibt es nur noch für die Schöffen und das Hospiz.«

      Beinahe musste er grinsen, obwohl er gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen war. »Das wäre wahrhaftig ein Grund, noch länger hier zu bleiben.«

      Nach zehn Tagen bereits verließ die Familie das Hospital. Gestärkt und sogar gebadet, sah man ihnen die erlittenen Strapazen bei genauerem Hinsehen aber doch noch deutlich an. Der Stadtschreiber, ein umständlicher Bürokrat namens Dietrich, wies ihnen vorläufig eines der fünf kleinen Häuser zu, die neu angesiedelten Familien vorbehalten waren. Zuerst gab er beiden


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