Evolution Bundle. Thomas Thiemeyer

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Evolution Bundle - Thomas Thiemeyer


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      Eine weitere starke Böe erschütterte das Flugzeug.

      Kattas Augen leuchteten glasig. »Sind wir schon da?«

      Marek wischte sich den Speichel aus dem Mundwinkel. Mit tranigem Blick schaute er auf seine Uhr. »Nee. Noch vier Stunden bis zur Ankunft.«

      »Ach so«, murmelte Katta, während Zoe sich nach unten beugte, um ihr heruntergefallenes Buch aufzuheben.

      Ein weiteres Beben, das Flugzeug erzitterte vom Bug bis zum Leitwerk. Lucies Magen begann schon wieder zu rebellieren. Hörte das denn nie auf?

      Sie war schon ein paarmal geflogen, aber noch nie allein. Geschweige denn bis ans andere Ende der Welt. Hoffentlich ging alles glatt.

      Als sie nach hinten blickte, schaute sie in die aufgerissenen Augen von Olivia, Arthur und Paul. Auch Jem sah irgendwie beunruhigt aus. Ausgerechnet er, der so wirkte, als könne ihn so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Das machte die Situation noch beklemmender.

      »Hat jemand eine Ahnung, wo wir gerade sind?«, fragte sie.

      »Ich glaube, in der Nähe des Nordpols«, antwortete Arthur. »Allerdings lässt sich das nicht mit Bestimmtheit sagen, die Monitore sind eingefahren.« Er deutete nach oben. Er war so klein, dass er selbst in aufrechter Haltung kaum über die Rückenlehne ragte.

      In diesem Moment hörte Lucie einen Gong, eine blecherne Stimme meldete sich aus den Lautsprechern: »Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier spricht Kapitän Bennett. Wir durchqueren gerade eine turbulente Luftströmung. Es besteht kein Grund zur Sorge. Trotzdem möchten wir Sie bitten, sich auf Ihre Plätze zu begeben, sich anzuschnallen und die Notfallzeichen zu beachten. Sollten Sie Unwohlsein verspüren, wenden Sie sich bitte an unser Bordpersonal. Sobald die Warnzeichen über Ihren Köpfen erloschen sind, können Sie die Gurte wieder lösen. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.«

      Eine erneute Turbulenz ließ das Flugzeug erzittern. Lucie krallte ihre Hände in die Armlehnen. Die Flugkabine verfärbte sich blau. Blau? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ihr Blick fiel auf die Armbanduhr. Was war das denn? Die Zeiger spielten völlig verrückt. Rasten sie mit irrer Geschwindigkeit im Kreis? Lucie klopfte auf das Gehäuse, aber die Zeiger drehten sich immer weiter.

      Sie überlegte, ob sie es den anderen zeigen sollte, als ein Schlag – heftiger als alle anderen – das Flugzeug erschütterte. Zum Glück war sie nicht auf die Idee gekommen, den Sicherheitsgurt zu lösen. Hätte sie es getan, sie wäre vermutlich in hohem Bogen durch die Luft geflogen.

      Die Turbinen heulten und jaulten, als würden sie mit doppelter Leistung arbeiten. Ein scharfer Geruch durchströmte die Kabine. Was war das?

      Der Geruch raubte ihr den Atem. Sie musste husten.

      »Ruhig bleiben, bleibt ruhig!«, wiederholte Connie gebetsmühlenartig, als müsse sie es sich selbst immer wieder einreden.

      Aus den Lautsprechern drang ein ohrenbetäubendes Knacken und Rauschen. »Sehr … Pass…te … auf Ihren Plätz…«

      Offenbar versuchte der Pilot, mit ihnen zu sprechen, doch irgendwas störte die Übertragung. »…queren … schweres Sturm…«, hörte sie. Und dann: »… keine Sorge. Atmen Sie ruhig und gleichmäß… werden bald wieder …«

      Die Verbindung brach erneut ab. Diesmal dauerhaft.

      Vom Flugpersonal war keiner zu sehen. Vermutlich waren sie ebenfalls alle angeschnallt und warteten die heftigen Turbulenzen ab.

      Die Turbinen der Maschine arbeiteten immer noch auf Hochtouren. Lucie zählte die Abstände zwischen den Erschütterungen.

      »Eins … zwei … drei … vier …«

       Bumm!

      »Eins … zwei … drei … vier … fünf …«

       Krawumm!

      »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben …«

      Sie hielt inne.

      Nichts passierte.

      Es hatte aufgehört. Kein Rumpeln, kein Poltern, ja nicht einmal die Triebwerksgeräusche waren mehr zu hören. Von einer auf die andere Sekunde herrschte absolute Ruhe. Es war still.

       Zu still.

      Der Geruch war zwar immer noch da, aber er war erträglicher geworden.

      Die Maschine glitt dahin wie ein fliegender Teppich. Lucie kam es vor, als befände sie sich in absoluter Schwerelosigkeit. Warum konnte sie nichts hören? Sie tippte an ihre Ohren und räusperte sich. Nein, mit denen war alles in Ordnung.

      Vorsichtig hob sie den Kopf.

      Das Rauschen in den Lautsprechern war verklungen. Stattdessen vernahm sie ein feines Wispern. Wie Hunderte von Stimmen, die durcheinanderflüsterten.

      Und dann – mit einem Mal – wurde es hell. Als würde von einem Moment auf den anderen die Sonne aufgehen. Nicht außerhalb des Flugzeugs, sondern im Inneren. Eine gleißende, alles durchdringende Form von Helligkeit, die unmöglich von den Lampen stammen konnte.

      Lucie schloss die Augen. Mitternacht. Geisterstunde, schoss es ihr völlig unsinnig durch den Kopf.

      Sie fühlte, wie die Helligkeit ihre Augenlider durchdrang. Sie atmete ein, sie atmete aus, doch das Leuchten nahm unaufhörlich zu. Gleichzeitig wurde das Flüstern lauter. Sterne zuckten über die Innenseiten ihrer Augenlider. Lucie war, als würde jede Zelle ihres Körpers von Helligkeit durchdrungen. Sie holte noch einmal tief Atem, dann wurde sie ohnmächtig.

      Jem schlug die Augen auf.

      Die Sonne schien durch die Fenster und streifte einzelne Gesichter. Einige der Passagiere schliefen noch, viele andere aber waren wach und unterhielten sich leise. Ihr Flüstern erinnerte ihn an das Rauschen einer Fernstraße.

      Die Turbinen arbeiteten leise und gleichmäßig. Auch der seltsame Geruch nach verschmorter Elektrik war verschwunden. Stattdessen wehte Kaffeeduft durch die Kabine.

      Verwundert richtete er sich auf. Was um alles in der Welt war geschehen? Er hatte Lichter gesehen, seltsame Geräusche gehört und diesen stechenden Geruch wahrgenommen. Doch von alldem war lediglich ein hämmernder Kopfschmerz geblieben. Hatte er sich das nur eingebildet? Er schaute zur Seite.

      Von seinen drei Sitznachbarn war nur Olivia wach. Sie bemerkte ihn, tippte kurz mit dem Finger an den Rand ihrer Kappe und widmete sich dann wieder ihrem Buch. In der Reihe vor ihm schliefen noch alle, auch Lucie.

      Jem musste mal und richtete sich stöhnend auf. Verdammte Kopfschmerzen. Er wühlte in seiner Tasche, holte ein Ibuprofen raus und machte sich auf den Weg.

      Vor der Toilette hatte sich eine kleine Schlange gebildet.

      Er blickte auf die Uhr. Nach deutscher Zeit war es jetzt kurz vor zwei Uhr morgens. Was bedeutete, dass es nur noch zweieinhalb Stunden bis zu ihrer Ankunft waren! Er freute sich auf die zehn Monate fernab der Heimat, vielleicht konnte er den Scheiß der letzten Monate einfach hinter sich lassen. Angst, dass er sich nicht zurechtfinden könnte, hatte er keine, er hoffte nur, dass er Glück mit seiner Gastfamilie hatte. Und er würde seinen Vater wiedersehen. Und seine kleine Schwester! Der Gedanke ließ ihn schlagartig munter werden.

      Um sich die Wartezeit zu verkürzen, blickte er aus dem Fenster. Zwischen den Wolkenlücken konnte er einzelne grüne Flecken erkennen. Offenbar hatten sie den Atlantik bereits hinter sich gelassen und flogen jetzt über Festland. Aber über welches? Dummerweise waren die Monitore immer noch eingeklappt.

      Als er zurück an seinen Platz kam, sah er, dass auch Lucie wach war. Sie wirkte allerdings ziemlich verpennt.

      »Na, du Frühaufsteherin«, begrüßte er sie. »Hast du auch ein bisschen Schlaf abbekommen?«

      »Ein


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