David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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der dort« – er nickte seiner Schwester zu – »und Ham und der kleinen Emilie vorliebnehmen, wollen, so wird uns Ihr Besuch eine große Ehre sein.«

      Nachdem Mr. Peggotty die Honneurs seines Hauses auf so gastfreundliche Weise gemacht hatte, ging er hinaus, um sich in einem Kessel warmen Wassers abzubrühen, denn »kaltes Wasser kriegte den Jux nicht herunter« meinte er. Er kehrte bald zurück, in seinem Aussehen bedeutend verschönert, aber so gelötet, daß ich mich des Gedankens nicht entschlagen konnte, daß sein Gesicht mit den Hummern und Krebsen das gemein habe, daß sie sehr schwarz in das warme Wasser hinein und sehr rot wieder heraus kämen.

      Als nach dem Tee die Tür »dicht gemacht« und die Fensterladen vorgesetzt waren – denn die Nächte waren kalt und nebelig – erschien mir das Haus als die allerprächtigste Wohnung, die sich die Phantasie eines Menschen nur ausmalen konnte. Den Wind draußen auf dem Meere brausen zu hören, zu wissen, daß sich der Nebel über die öden Dünenflächen ausbreite, und in das Feuer zu sehen und zu denken, daß auf der ganzen weiten Ebene nur dies eine Wohnung war, und diese Wohnung ein Boot: es war wirklich rein märchenhaft! Die kleine Emilie hatte ihre Blödigkeit überwunden und saß neben mir auf der niedrigsten und kleinsten der Schiffskisten, die gerade groß genug für uns beide war und sich genau in die Kaminecke einpaßte. Mrs. Peggotty mit der weißen Schürze strickte auf der andern Seite des Feuers; Peggotty war bei ihrer Arbeit ebenso zu Hause mit der St. Paulskirche und dem Stückchen Wachslicht, als ob sie nie unter einem andern Dache gehaust hätte. Ham, der mir die erste Lektion im »schwarzen Peterspiel« erteilt hatte, suchte herauszubringen, wie man aus den Karten wahrsagen könnte, und drückte mit seinen Fingern tranige Spuren auf jede Karte, die er anfaßte. Mr. Peggotty rauchte seine Pfeife, und ich fühlte, es war nun die Zeit zu Unterhaltung und traulichem Gespräch gekommen.

      »Mr. Peggotty!« fing ich an.

      »Sir!« antwortete er.

      »Haben Sie Ihren Sohn Ham genannt, weil Sie in einer Art von Arche Noa wohnen?«

      Mr. Peggotty schien das für einen tiefen Gedanken zu, halten, aber er antwortete:

      »Nein, Sir. Ich habe ihm überhaupt nie keinen Namen gegeben.«

      »Wer aber hat ihm denn diesen Namen gegeben?« fragte ich neugierig weiter.

      »Sein Vater hat ihm diesen Namen gegeben«, sagte Mr. Peggotty.

      »Ich dachte, Sie waren sein Vater?«

      »Mein Bruder Joe war sein Vater«, sagte Mr. Peggotty.

      »Tot, Mr. Peggotty?« fragte ich nach einem schonenden Zögern.

      »Tot und ertrunken«, sagte Mr. Peggotty.

      Ich war sehr erstaunt, daß Mr. Peggotty nicht Hams Vater war und fing mich an zu fragen, ob ich mich etwa auch über sein Verwandtschaftsverhältnis zu den andern Anwesenden irre. Ich war so begierig, darin Klarheit zu haben, daß ich mich entschloß, es um jeden Preis aus Mr. Peggotty herauszukriegen.

      »Die kleine Emilie«, sagte ich mit einem Blick auf das Mädchen, »ist Ihre Tochter, nicht wahr, Mr. Peggotty?«

      »Nein, Sir. Mein Schwager Tom war ihr Vater.« Ich konnte mich nicht halten und: »Tot, Mr. Peggotty?« fragte ich zögernd nach einer Anstandspause.

      »Tot und ertrunken«, sagte Mr. Peggotty.

      Ich fühlte die Schwierigkeit, die Sache von neuem aufzunehmen, aber sie war noch nicht ganz ergründet, und das mußte sie jedenfalls sein. So fragte ich denn abermals:

      »Haben Sie keine Kinder, Mister Peggotty?«

      »Nein, Master«, gab er mit einem kurzen Lachen zur Antwort. »Ich bin unverheiratet.«

      »Unverheiratet?« rief ich ganz verwundert. »Aber wer ist denn das da, Mr. Peggotty?« fragte ich und wies auf die Frau mit der weißen Schürze und dem Strickzeug.

      »Das ist Mrs. Gummidge«, erklärte Mr. Peggotty.

      »Gummidge, Mr. Peggotty?«

      Aber hier machte Peggotty – ich meine unsere Peggotty – so nachdrückliche Gebärden, nicht länger zu fragen, daß ich nichts weiter tun konnte, als die schweigende Gesellschaft stumm anzusehen, bis wir zu Bett gingen. Dann in meinem eigenen Zimmerchen belehrte sie mich, daß Ham und Emilie beides Waisen seien, ein Neffe und eine Nichte, die ihr Bruder zu verschiedenen Zeiten in ihrer frühesten Kindheit zu sich genommen hatte, als sie vereinsamt zurückgeblieben waren, und daß Mrs. Gummidge die Witwe eines Mannes sei, der früher mit ihm gemeinschaftlich ein Boot besessen hätte und sehr arm gestorben war. Ihr Bruder sei auch nur ein armer Mann, sagte Peggotty, aber so echt wie Gold und so treu wie Stahl –: das waren ihre Gleichnisse!

      Er würde nur heftig und fluchte nur, fuhr sie in ihrer Erläuterung fort, wenn man auf sein gutes Herz anspielte; wenn jemand nur darauf andeutete, so schlug er heftig auf den Tisch (und er habe ihn dabei einmal in Stücke gehauen) und schwur einen fürchterlichen Eid, daß er verdöbelholmert sein wollte, wenn er nicht auf und in die weite Welt ginge, sobald man noch einmal davon anfange. Auf meine Nachfrage stellte sich heraus, daß niemand die Etymologie dieses schrecklichen Wortes »verdöbelholmert sein« kannte, aber alle stimmten darin überein, daß es ein höchst feierlicher und entsetzlicher Schwur sei.

      Ich bekam natürlich einen gewaltigen Eindruck durch die Herzensgüte meines Wirtes und hörte mit einem Gefühl sehr wohltuender Gemütlichkeit, die durch meine Schläfrigkeit noch vermehrt wurde, wie die weibliche Hälfte der Bewohnerschaft in einer zweiten kleinen Kajüte am andern Ende des Bootes zu Bett ging und wie er und Ham für sich zwei Hängematten an den früher erwähnten Haken an den Deckbalken befestigte. Wie mich der Schlaf allmählich überwältigte, hörte ich draußen auf dem Meere den Wind so heulen und so gewaltig über die öde Strandfläche blasen, daß mich im halben Traume die Furcht überkam, das Meer könnte während der Nacht austreten und das Land überfluten. Aber ich tröstete mich damit, daß wir ja in einem Boote wohnten und daß es kein übel Ding wäre, einen Mann wie Mr. Peggotty an Bord zu haben, wenn wirklich irgend etwas vorfallen sollte.

      Es kam jedoch nichts Schlimmeres, als daß es Morgen wurde. Sobald er seine Strahlen auf den Spiegel mit dem Austernschalenrahmen warf, war ich aus dem Bett heraus und mit der kleinen Emilie draußen am Strande und suchte Steine.

      »Du bist wohl ein ganzer kleiner Matrose«, sagte ich zu Emilien. Ich glaube nicht, daß ich selber etwas derartiges glaubte, aber ich suhlte, es sei galant, ihr etwas derartiges zu sagen, und ein glänzendweißes Segel dicht neben uns spiegelte sich gerade als ein so hübsches kleines Bild in ihrem hellen Auge, daß mir diese Worte fast ungewollt in den Kopf kamen.

      »Nein,« erwiderte Emilie kopfschüttelnd, »ich fürchte mich vor dem Meere.«

      »Fürchten!« sagte ich mit zeitgemäßer Kühnheit und sah den mächtigen Ozean mit einer kecken Miene an. »Ich nicht!«

      »Ach! es ist so böse«, sagte Emilie. »Ich habe es sehr böse gesehen gegen unsere Leute. Ich habe gesehen, wie es ein Boot, so groß wie unser Haus, in lauter Stücke zerriß.«

      »Das war doch nicht das Boot, mit dem –«

      »Der Vater ertrank?« sagte Emilie. »Nein, das war es nicht; das habe ich nie gesehen.«

      »Auch ihn nicht?« fragte ich weiter.

      Die kleine Emilie schüttelte den Kopf. »Kann mich nicht an ihn erinnern.«

      Hier war eine merkwürdige Ähnlichkeit in unserem Leben! Ich erzählte ihr sogleich haarklein, wie auch ich niemals meinen Vater gesehen hatte, und wie meine Mutter und ich stets allein in der größten Zufriedenheit gelebt hätten und noch so lebten und immer so leben wollten, und wie meines Vaters Grab auf dem Gottesacker nicht weit von unserem


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