David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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zwischen Emiliens Verwaisung und der meinigen stellten sich doch noch einige kleine Unterschiede heraus, Sie hatte ihre Mutter schon vor dem Vater verloren, und wo ihres Vaters Grab war, wußte niemand, außer, daß er irgendwo im tiefsten Meere ruhte.

      »Und außerdem«, sagte Emilie, während sie nach Muscheln und bunten Steinchen suchte, »war dein Vater ein vornehmer Herr, und deine Mutter ist eine feine Dame; und mein Vater war ein Fischer und meine Mutter eines Fischers Tochter, und mein Onkel Dan ist ein Fischer.«

      »Dan ist Mr. Peggotty, nicht wahr?« sagte ich,

      »Onkel Dan – dort«, gab Emilie zur Antwort und nickte nach dem Schiffhause hin.

      »Ja, den meinte ich. – Er muß ein sehr guter Mann sein, nicht?«

      »Gut?« sagte Emilie, »Wenn ich einmal eine reiche Lady bin, schenke ich ihm einen himmelblauen Rock mit Diamantknöpfen und Nankinghosen und eine rote Samtweste und einen dreieckigen Hut und eine große goldene Uhr und eine silberne Pfeife und eine Kiste voll Gold.«

      Ich sagte, daß ich gar nicht zweifle, daß Mr. Peggotty alle diese prächtigen Sachen vollkommen verdiene. Aber ich gestehe, daß ich mir nicht recht vorstellen konnte, daß es ihm in solchen Kleidungsstücken wohl sein würde, die ihm seine dankbare kleine Nichte zudachte. Besonders zweifelte ich an der Zweckmäßigkeit des Dreispitz, behielt aber diese Bedenken wohlweislich für mich.

      Die kleine Emilie war stehen geblieben und hatte zum Himmel emporgeschaut, während sie alle diese Dinge aufzählte, als sähe sie dort eine herrliche Vision. Wir gingen nun weiter und suchten wieder Muscheln und bunte Steine.

      »Du wärest gern eine seine Dame?« fragte ich dann.

      Emilie sah mich an, lachte und nickte »Ja«. »Ich wäre es zu gern. Wir wären dann alle feine Leute. Ich und Onkel und Ham und Mrs. Gummidge. Wir würden uns dann nicht darum kümmern, wenn es stürmt – unsertwegen, meine ich. Um die armen Fischer wohl, und wir würden ihnen Geld geben, wenn sie zu Schaden kämen.«

      Das erschien mir als ein sehr lobenswertes und daher als ein durchaus nicht unwahrscheinliches Bild. Ich verhehlte mein Gefallen daran denn auch nicht im geringsten, und Emilie fühlte sich dadurch zu der schüchternen Frage ermutigt: »Sage, fürchtest du dich jetzt nicht vor dem Meere?«

      Es war in diesem Augenblick allerdings ruhig genug da, um mir keinerlei Besorgnis einzuflößen, aber ich bin überzeugt, wenn nur eine mäßig große Welle herangerollt wäre, so wäre ich mit einer erschrockenen Erinnerung an ihre ertrunkenen Verwandten davon gelaufen. Aber dennoch sagte ich »nein« und fügte hinzu: »Du scheinst dich auch nicht so sehr davor zu fürchten, obgleich du es sagtest«; – denn sie ging so nahe am Rande eines alten Bollwerkes oder hölzernen Hafensteges, daß ich immer fürchtete, sie würde ins Meer fallen. »So fürchte ich mich nicht«, sagte die kleine Emilie. »Aber ich wache auf, wenn es stürmt, und denke mit Zittern und Angst an Onkel Dan und Ham, und immer kommt es mir vor, als ob sie um Hilfe riefen. Das ist eben der Grund, weshalb ich gern eine große Dame sein möchte. Aber so fürchte ich mich nicht. Nicht ein bißchen. Sieh nur!«

      Sie rannte von mir weg und lief einen alten morschen Balken entlang, der ohne Geländer und ziemlich hoch über das tiefe Meer aus der Verschalung hinausragte. So deutlich steht der Vorfall noch vor meinem Gedächtnis, daß ich, wenn ich ein Zeichner wäre, die Szene mit dem Stift festhalten könnte, wie die kleine Emilie ihrem Verderben entgegeneilte (denn so schien es mir) mit einem weit hinaus auf das Meer gerichteten Blick, den ich nie vergessen habe.

      Die leichte, kecke Gestalt in dem flatternden Kleide kehrte um, und die kleine Tollkühne gelangte wieder glücklich bis zu mir, und bald darauf lachte ich über meine Angst und den Schrei, den ich ausgestoßen hatte –- in jedem Falle ganz nutzlos, denn niemand war in der Nähe, um darauf achten zu können. Aber es kam später einmal eine Zeit, wo ich mich als Mann fragte, ob es möglich wäre im Bereich der uns unbekannten Möglichkeiten, daß in diesem wilden Impulse des Kindes und ihrem irre hinausschweifenden Blick irgend eine geheimnisvolle Anziehung in das Verderben lag, daß ihr toter Vater sie an sich locken durfte, damit ihr Leben an jenem Tage hätte endigen können? Ich habe mich später gefragt, ob, wenn mir das ihr bevorstehende Leben mit einem Blick hätte enthüllt werden können, so enthüllt, daß es ein Kind völlig begriff, und ob, wenn ihre Rettung von einer Bewegung meiner Hände abgehangen hätte, ich sie hätte regen dürfen, um sie aufzuhalten? Es hat eine Zeit gegeben – sie hat freilich nicht lange gedauert –in der ich mich fragte: Wäre es besser für die kleine Emilie gewesen, wenn an jenem Morgen vor meinen Augen die Wasser über ihrem Haupte zusammengeschlagen wären? Und in dieser Zeit habe ich geantwortet: »Ja, es wäre besser gewesen.«

      Doch, ich greife damit vor und erwähne das vielleicht zu früh; aber es mag nun stehen bleiben.

      Wir gingen noch lange Zeit hin und her spazieren und beluden uns mit Dingen, die uns merkwürdig vorkamen, und setzten ganz sorgfältig ein paar aufs Trockene geratene Seesterne wieder ins Wasser – ich weiß auch in diesem Augenblick noch nicht so viel von den Lebensgewohnheiten dieser Tiere, um zu wissen, ob wir ihnen damit einen Gefallen taten oder nicht – und kehrten dann nach Mr. Peggottys Wohnung zurück.

      Unter dem Schatten des Schuppens, wo die Krebse lagen, blieben wir stehen, gaben uns einen unschuldigen Kuß, und gingen, von Gesundheit und Freude glühend, hinein zum Frühstück.

      »Wie zwei junge Biepers«, sagte Mr. Peggotty. Ich nahm dies als ein Kompliment an, weil ich wußte, daß es »wie zwei junge Amseln« bedeuten sollte.

      Natürlich war ich in die kleine Emilie verliebt. Ich bin überzeugt, ich liebte das Kind so wahrhaft, so zärtlich und reiner und uneigennütziger, als man selbst im besten Falle in späteren Zeiten lieben kann, sei die Liebe dann auch noch so veredelnd und erhebend. Ich weiß, meine Phantasie umwob das blauäugige Kind mit einer Glorie, die es über die Erde erhob und einen wahren Engel aus ihm machte. Wenn Emilie an einem sonnenhellen Morgen ein paar kleine lichte Schwingen entfaltet hätte und vor meinen Augen weggeflogen wäre, so glaube ich kaum, daß ich das als etwas Außerordentliches bestaunt hätte.

      Lange Stunden gingen wir beide so auf dem öden alten Strande um Yarmouth in liebender Eintracht spazieren. Die Tage eilten an uns vorüber, als ob die Zeit selbst noch nicht alt geworden wäre, sondern noch ein Kind und nur für Spiel und Getändel da sei. Ich sagte Emilien, daß ich sie anbete und wenn sie mir nicht gestände, daß sie mich gleichfalls anbetete, so bliebe mir keine Wahl, als mich mit einem Schwerte totzustechen. Aber sie begütigte mich und sagte, daß sie mich anbete, und ich zweifle auch nicht im mindesten, daß es der Fall war.

      Über Ungleichheit des Standes, zu große Jugend oder eine andere uns im Wege stehende Schwierigkeit machten wir uns weder Gedanken noch Sorgen, da wir keinen Begriff von der Zukunft hatten. Wir kümmerten uns um das Älterwerden so wenig, wie etwa – ums Jüngerwerden.

      Wir waren ein Gegenstand beständiger Bewunderung für Mrs. Gummidge und Peggotty, die des Abends, wenn wir zärtlich Arm in Arm auf der Schiffskiste saßen, einander zuflüsterten: »Gott! Ist das ein hübsches Paar!« Hinter seiner Pfeife hervor lächelte uns Mr. Peggotty an, und Ham grinste den ganzen Abend und tat weiter nichts. Sie sahen uns etwa mit dem Vergnügen an, mit dem man ein hübsches Spielzeug betrachtet oder etwa die Taschenausgabe des Kolosseums. Ich entdeckte bald, daß sich Mrs. Gummidge nicht immer so liebenswürdig machte, als man es nach den Verhältnissen hätte erwarten sollen, unter denen sie bei Mr. Peggotty wohnte.

      Mrs. Gummidge war nämlich etwas wehleidiger Natur und quengelte manchmal mehr, als den andern Personen in einer so engen Wohnung angenehm war. Sie tat mir zwar sehr leid, aber es gab doch Augenblicke, wo es angenehmer gewesen wäre (so dachte ich), wenn Mrs. Gummidge ein eigenes Zimmer hätte, in das sie sich zurückziehen konnte, bis sie sich von ihrem Schmerz erholt hatte.

      Mr. Peggotty ging manchmal in ein Wirtshaus, das »Zur fröhlichen Laune« hieß. Ich merkte es durch seine Abwesenheit am zweiten oder dritten Abend meines


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