David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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am Spiegel in Ehrfurcht gebietenden Reihen eine Menge kleiner Stahlkettchen und Pflöckchen hingen, mit denen sich Miß Murdstone zu schmücken pflegte. Soviel ich herausbringen konnte, war sie in der löblichen Absicht gekommen, uns niemals wieder zu verlassen! Schon am nächsten Morgen fing sie an, meiner Mutter zu »helfen«, und ging den ganzen Tag über in der Vorratskammer aus und ein, um alles zurechtzusetzen und die alte liebe Ordnung umzustürzen. Die erste bemerkenswerte Eigenschaft, die mir an Miß Murdstone auffiel, war die, daß sie beständig von dem Verdacht beherrscht war, die Dienstmädchen hätten irgendwo im Hause einen Mann versteckt. Von diesem Wahne besessen, stürzte sie zu den allerungewöhnlichsten Zeiten in den Kohlenkeller und öffnete kaum ein einziges Mal die Tür eines dunkeln Schrankes, ohne daß sie ihn wieder zuschlug in der Meinung, sie habe den Mann nun glücklich dann gefangen.

      Obgleich Miß Murdstone nichts sehr Lustiges hatte, war sie doch in betreff ihres Aufstehens eine wahre Lerche. Sie war auf den Beinen (und ich glaube es heute noch, nur um den versteckten Kerl einmal zu finden), ehe sich, jemand im Hause regte. Peggotty war der Meinung, daß sie stets mit einem offenen Auge schliefe; aber ich konnte mich dieser Meinung nicht anschließen, denn ich hatte es selbst versucht, als sie diese Vermutung ausgesprochen hatte, und fand, daß es auf keine Weise möglich war.

      Am allerersten Morgen nach ihrer Ankunft hörte man ihre Klingel schon mit dem ersten Hahnenschrei. Als meine Mutter zum Frühstück herunterkam und den Tee bereiten wollte, fuhr Miß Murdstone mit dem Mund nach ihrer Wange, was bei ihr einen Kuß bedeuten sollte, und sagte:

      »Liebe Klara, Sie wissen ja, ich bin hergekommen, um Ihnen alle beschwerlichen Arbeiten abzunehmen, die ich nur abnehmen kann. Sie sind viel zu hübsch und flattersinnig« – meine Mutter errötete, lachte und schien sich diese Charakterisierung nicht ungern gefallen zu lassen – »als daß Ihnen Pflichten auferlegt werden dürften, die ich erfüllen könnte. Wenn Sie so gut sein wollen, mir Ihre Schlüssel zu geben, meine Liebe, so will ich alles das in Zukunft selber besorgen.« Von dieser Zeit an hielt Miß Murdstone die Schlüssel den Tag über in ihrem Beutelverlies und die Nacht über unter ihrem Kopfkissen und meine Mutter hatte also fortan nicht mehr damit zu tun als ich selbst.

      Meine Mutter ließ sich jedoch ihre Herrschaft nicht ohne den Versuch eines leisen Widerstandes rauben. Eines Abends, als Miß Murdstone ihrem Bruder gewisse Haushaltungspläne entwickelt hatte, denen er seine Zustimmung gab, fing meine Mutter an zu weinen und sagte, man hatte sie doch wohl auch zu Rate ziehen können.

      »Klara!« versetzte Mr. Murdstone streng. »Klara, ich muß mich ungemein über dich wundern.«

      »Ach, du hast gut von Wundern sprechen, Eduard!« rief meine Mutter »und du hast sehr gut von Festigkeit sprechen, aber du würdest dir dies selbst nicht gefallen lassen.«

      Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Festigkeit die große Eigenschaft war, auf die Mr. und Miß Murdstone mit bedeutendem Nachdruck fußten. Wie ich damals den Begriff dieses Wortes erläutert hätte, wenn jemand auf den Gedanken gekommen wäre, mich danach zu fragen, weiß ich nicht; aber jedenfalls sah ich in meiner Weise vollkommen ein, daß es nur ein anderer Name für Tyrannei war und für einen gewissen finstern, anmaßenden knechtungsfrohen Zug, die in beiden lag. – Die Sache verhielt sich, wie ich sie mir heutzutage zurechtlege, so: Mr. Murdstone war »fest«; niemand auf der Welt war so fest wie er. Niemand in seiner speziellen Welt war überhaupt fest, denn seiner Festigkeit mußte sich alles unterjochen. Nur Miß Murdstone durfte davon eine Ausnahme bilden. Sie durfte zwar auch fest sein, aber nur in geringerem, mehr abhängigem Grade, gleichsam nur infolge ihrer Verwandtschaft mit ihm. Meine Mutter sodann war die zweite Ausnähme. Sie durfte und sollte auch »fest« sein, aber nur in der Art, daß sie die Festigkeit dieser beiden Tyrannen ertrug, und fest glauben sollte, es gebe sonst keine andere Festigkeit auf Erden. »Es ist sehr hart,« sagte meine Mutter, »daß ich in meinem eigenen Hause –«

      »In meinem eigenen Hause?« wiederholte Mr. Murdstone vorwurfsvoll. »Klara!«

      »In unserm eignen Hause meine ich«, stotterte meine Mutter ganz eingeschüchtert – »du weißt ja, was ich meine, Eduard – es ist sehr hart, daß ich in deinem eignen Hause nicht ein Wort über häusliche Angelegenheiten haben soll. Ich habe recht gut gewirtschaftet, bevor wir uns heirateten, das glaube mir! Ich habe Zeugen,« sagte meine Mutter schluchzend; »frage Peggotty, ob es nicht recht gut ging, wenn man mich allein machen ließ.«

      »Eduard, wir wollen der Sache ein Ende machen«, sagte Miß Murdstone. »Ich reise morgen ab.«

      »Jane Murdstone,« sagte ihr Bruder, »schweig! Wie kannst du dir erlauben, meinen Charakter nicht besser zu kennen, als deine Worte andeuten?«

      »Ich will gewiß niemand verdrängen«, sagte meine arme Mutter unter vielen Tränen. »Es würde mich sehr unglücklich machen, wenn jemand fortgehen sollte. Ich verlange nicht viel. Ich mache keine unvernünftigen Forderungen, man soll mich nur manchmal zu Rate ziehen. Ich bin jedem dankbar, der mir beisteht, und ich verlange nur, daß man mich manchmal der Form wegen zu Rate zieht. Ich dachte, es hätte dir früher gefallen, daß ich ein wenig unerfahren, und fast wie ein halbes Kind war, Eduard – gesagt hast du das – aber du scheinst mich deshalb jetzt nicht leiden zu können, denn du bist so streng gegen mich.«

      »Eduard«, sagte Miß Murdstone wieder. »Wir wollen der Sache ein Ende machen. Ich reise morgen.«

      »Jane Murdstone«, donnerte Mr. Murdstone. »Willst du schweigen? Wie kannst du so etwas sagen?«

      Miß Murdstone riß ihr Taschentuch aus dem kerkerartigen Beutel, in dem es in Verwahrsam lag, und hielt es sich vor die Augen. »Klara«, fuhr er fort und sah meine Mutter an, »du setzt mich wirklich in Verwunderung! Ja, ich fand Freude an dem Gedanken, ein unerfahrenes argloses Mädchen zu heiraten und seinen Charakter zu bilden und ihm etwas von der Festigkeit und Entschiedenheit zu geben, die ihm fehlten, und die er haben muß. Aber wenn Jane Murdstone so gütig ist, mir in diesem Unternehmen beizustehen, und sich meinetwegen zu einer Stellung gleich der einer Haushälterin herabläßt und dafür schlechten Dank erntet –«

      »O bitte, bitte, Eduard,« rief meine Mutter, »beschuldige mich nicht des Undanks. Ich bin gewiß nicht undankbar. Das hat mir noch niemand gesagt. Ich habe viele Fehler, aber nicht diesen. O bitte, lieber Mann!«

      »Wenn Jane Murdstone, sage ich,« fuhr er fort, nachdem er gewartet hatte, bis meine Mutter schwieg, »schlechten Dank dafür erntet, so erkältet und verändert sich dieses Gefühl in meinem Herzen.«

      »O bitte, lieber Mann, sage das nicht!« flehte meine Mutter ganz erweicht. »O bitte, Eduard! Ich kann es nicht hören. Wie ich auch immer sein mag, ich habe ein liebevolles Herz. Ich weiß, ich habe ein liebevolles Herz. Ich würde es nicht sagen, wenn ich es nicht genau wüßte. Frage Peggotty. Sie wird es gewiß bestätigen, daß ich liebevoll bin!«

      »Bloße Schwäche, wie groß sie auch sein mag, hat bei mir nicht das mindeste Gewicht, Klara«, erwiderte Mr. Murdstone. »Du verschwendest nur Worte.«

      »Komm, wir wollen uns wieder versöhnen«, sagte meine Mutter. »In Unfreundlichkeit oder Kälte kann ich nicht leben. Es tut mir so herzlich leid. Ich habe sehr viele Fehler, das weiß ich, und es ist sehr freundlich von dir, Eduard, daß du dir mit deinem starken Charakter die Mühe gibst, mich zu bessern. Jane, ich mache gar keine Einwendungen mehr. Es würde mich ganz unglücklich machen, wenn Sie noch ein einziges Mal ans Abreisen dächten«, – meine Mutter konnte nicht weiter sprechen; sie war zu sehr gerührt. »Jane Murdstone,« sagte Mr. Murdstone zu seiner Schwester, »harte Worte sind zwischen uns selten. Es ist nicht meine Schuld, daß sich heute ein so ungewöhnlicher Vorfall ereignet hat. Jemand anders hat mich dazu fortgerissen. Aber es ist auch nicht deine Schuld. Auch dich hat jemand anders dazu hingerissen. Wir wollen beide suchen, es zu vergessen. Und du, David, geh zu Bett«, setzte er nach diesen großmütigen Worten hinzu, »denn das ist kein geeignetes Schauspiel für den Knaben da!«

      Ich konnte kaum die Tür finden, so voll standen meine Augen von


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