David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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die Umgebung wurde, desto lebhafter sehnte, nach Hause zu kommen und in ihre Arme zu eilen. Aber anstatt diesen Drang zu teilen, suchte ihn Peggotty, obgleich liebreich und sanft, zu unterdrücken, und sah verlegen und verstimmt aus.

      Aber trotz ihrer Bemühung und der Langsamkeit des Pferdes kamen wir doch nach Blunderstone Krähenhorst. Wie deutlich es noch vor mir steht an dem kalten, grauen Nachmittag – mit dem dunkeln, regendrohenden Himmel!

      Die Gartentür öffnete sich und ich erwartete in meiner freudigen Erregtheit halb lachend und halb weinend meine Mutter zu sehen. Aber nicht sie, sondern eine fremde Magd trat heraus.

      »Ach, Peggotty!« sagte ich mißmutig. »Ist Mama denn noch nicht wieder zu Hause?«

      »Ei ja, Master Davy!« sagte Peggotty. »Nur ein bißchen Geduld, Davy, und ich will dir etwas sagen.«

      Teils infolge ihrer Aufregung, teils infolge ihres natürlichen Ungeschicks machte Peggotty gar seltsame Manöver, um aus dem Wagen zu kommen, aber ich war viel zu verlegen und sozusagen verblüfft, um eine Bemerkung darüber zu machen. Als sie endlich unten stand, faßte sie mich bei der Hand, und führte mich, der ich immer noch ganz verwundert war, in die Küche und machte die Tür zu.

      »Peggotty!« sagte ich ganz erschrocken. »Was ist denn?«

      »Nichts ist – du meine Güte, du lieber, guter Davy,« antwortete sie und heuchelte eine recht muntere Miene.

      »Doch, es muß was vorgefallen sein! Wo ist Mama?«

      »Wo Mama ist, Master Davy?« wiederholte Peggotty.

      »Ja! Warum ist sie nicht an die Gartentür gekommen, und weshalb sind wir hier hineingegangen? Ach, Peggotty!«

      Meine Augen waren voll Tränen, und mir war, als ob ich umsinken müßte.

      »Mein Gott, das Kind!« rief Peggotty und nahm mich in ihre Arme. »Was gibt's denn? Sprich, mein Goldsohn!«

      »Sie ist doch nicht tot? – Nein! Ach, sie ist nicht tot, Peggotty?«

      Peggotty rief mir ein außerordentlich lautes und nachdrucksvolles »Nein!« entgegen und setzte sich dann hin und fing an zu ächzen und sagte, ich hätte sie fürchterlich erschreckt.

      Um das wieder gut zu machen, fiel ich ihr um den Hals und stellte mich vor sie hin und sah sie in banger Erwartung an.

      »Ja, ja, Liebling, ich hätte dir's eher sagen sollen,« fing Peggotty an, »aber ich fand keine Gelegenheit dazu. Ich hatte es eigentlich eher tun sollen, aber ich konnte nur partout nicht das Herz dazu fassen.« .

      »Nur weiter, Peggotty!« sagte ich, noch mehr in Angst als vorher.

      »Master Davy!« sagte Peggotty, während sie ihren Hut mit zitternden Händen aufknüpfte. »Denke nur mal: du hast einen Papa bekommen!«

      Ich? fuhr zusammen und wurde blaß. Ein Etwas –- ich weiß nicht was oder wie – aber eine Vorstellung, die mit dem Grabe auf dem Kirchhof und dem Auferstehen der Toten zusammenhing, schien mich wie ein unheimlicher Frosthauch zu treffen.

      »Einen neuen«, sagte Peggotty.

      »Einen neuen?« wiederholte ich.

      Peggotty schluckte, als ob ihr etwas Bitteres im Halse stecken geblieben sei, reichte mir die Hand und sagte:

      »Komm jetzt, du mußt ihn sehen –«

      »Ich mag ihn nicht sehen.«

      »Aber deine Mama«, sagte Peggotty.

      Ich weigerte mich nicht mehr, und wir gingen sogleich in das gute Zimmer, wo sie mich verließ. An der einen Seite des Kamins saß meine Mutter, an der andern Mr. Murdstone. Meine Mutter ließ ihre Arbeit aus der Hand sinken und stand rasch, aber wie es mir schien, etwas verlegen auf.

      »Meine liebe Klara«, sagte Mr. Murdstone, »vergiß nicht! Immer zusammengenommen! Nun, Davy, wie geht's, Junge?«

      Ich gab ihm die Hand. Nach einem augenblicklichen Zögern ging ich zu meiner Mutter und küßte sie; sie erwiderte meinen Kuß, streichelte mich, klopfte mich sanft auf den Rücken und nahm wieder ihre Arbeit zur Hand. Ich konnte sie nicht ansehen, ich konnte ihn nicht ansehen, ich wußte bestimmt, daß er uns beide beobachtete, und ich ging ans Fenster und sah hinaus auf ein paar Sträucher, die ihre Köpfe in der Kälte hängen ließen.

      Sobald ich mich fortschleichen konnte, ging ich die Treppe hinauf. Mein altes liebes Schlafzimmer hatte eine andere Bestimmung erhalten, und ich war weit hinten umquartiert. Ich ging wieder hinab, um überhaupt etwas zu entdecken, was sich gleich geblieben wäre, denn so anders erschien mir alles, und ich ging auf den Hof hinaus. Aber hier war meines Bleibens nicht, denn in der sonst leeren Hundehütte war jetzt ein großer Hund untergebracht mit einer so tiefen Stimme und so schwarzem Haar wie er – und der Racker wurde sehr grimmig bei meinem Anblick und zerrte an der Kette, um über mich herzufallen.

      Wenn die Stube, in der jetzt mein Bett stand, ein Wesen mit Bewußtsein wäre, und Zeugnis ablegen könnte, so möchte ich sie heute – wer mag wohl jetzt dort schlafen? – auffordern, zu sagen, mit wie schwerem Herzen ich zu ihr hineintrat. Wie ich die Treppe hinaufging, hörte ich den Hund hinter mir her bellen, und drinnen sah ich die Stube eben so verständnislos und befremdlich an, wie sie mich, und ich setzte mich, die kleinen Hände gefaltet, nieder und sann.

      Ich dachte an die seltsamsten Sachen: an die Form des Zimmers, an die Sprünge an der Decke, an die Tapeten an den Wänden, an die Blasen und Höcker im Fensterglas, die alle Gegenstände draußen wunderlich verzerrten und verschoben, an den Waschtisch, der auf seinen drei Beinen wackelte und etwas Unzufriedenes hatte, was mich an Mrs. Gummidge erinnerte, wenn sie wieder an den Alten dachte. Dabei weinte ich die ganze Zeit über, aber ich weiß gewiß, daß ich außer die Empfindung von Kälte und Verlassenheit zu haben, keinen Augenblick daran dachte, warum ich weinte. Ich fing endlich in meiner Einsamkeit an zu denken, daß ich schrecklich verliebt in die kleine Emilie sei, und daß man mich gewaltsam von ihr getrennt habe, um mich hierher zu bringen, wo sich niemand halb so sehr wie sie um mich zu kümmern schien. Das machte mich vollends so unglücklich, daß ich mich in einen Teil der Bettdecke einwickelte und mich in Schlaf weinte.

      Ich wachte auf, als jemand sagte: »Da ist er ja!« und meinen brennenden Kopf aufdeckte. Meine Mutter und Peggotty hatten mich gesucht, und eine von beiden war es gewesen.

      »Davy«, sagte meine Mutter. »Was fehlt dir.«

      Es kam mir seltsam vor, daß sie mich fragte, und ich antwortete: »Nichts.« Ich besinne mich auch noch, ich legte mich wieder aufs Gesicht, damit sie meine zitternden Lippen nicht sähe, die ihr wahrere Auskunft gegeben hätten. »Davy«, sagte meine Mutter. »Davy, mein Kind!«

      Ich kann wohl sagen, kein Wort konnte mich damals mehr rühren, als daß sie mich, Kind nannte. Ich verbarg meine Tränen im Bettzeug und drängte mein Mutter mit der Hand von mir weg, als sie mich emporheben wollte.

      »Daran bist du schuld, Peggotty, du grausames Mädchen!« sagte meine Mutter. »Ich zweifle nicht im geringsten daran. Wie kannst du das mit deinem Gewissen abmachen, mein eigenes Kind gegen mich aufzuhetzen, oder gegen jemand, den ich lieb habe? Was soll das heißen,, Peggotty?«

      Die arme Peggotty. erhob beteuernd Hände und Augen und antwortete nur mit einer Art Umschreibung des Gebets, das ich nach dem Essen hersagte: »Gott verzeihe Ihnen, Mrs. Copperfield, was Sie diesen Augenblick gesagt haben, und mögen Sie es niemals ernstlich bereuen!«

      »Es ist rein zum Wahnsinnigwerden«, rief meine Mutter.


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