David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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war ein glücklicher Umstand für mich, daß Traddles zuerst zurückkehrte. Ihm machte die Warnungstafel so viel Spaß, daß er mich aus einer großen Verlegenheit rettete, indem er mich jedem einzelnen Knaben bei seiner Rückkehr mit den Worten vorstellte: »Sieh mal, welch guter Witz!« Ein anderes Glück war, daß die meisten Schüler ziemlich niedergedrückt zurückkehrten und auf meine Kosten nicht so viel Lärm machten, als ich gefürchtet hatte. Einige tanzten allerdings um mich her wie wilde Indianer, und die meisten konnten der Versuchung nicht widerstehen, zu tun, als ob ich ein Hund wäre und mich zu streicheln und zu besänftigen, damit ich nicht beiße, und zu sagen: »Kusch dich, Sir«, und mich Bullenbeißer zu nennen. Das war natürlich unter so vielen Fremden nicht gerade angenehm und kostete einige Tränen, aber im ganzen ging alles viel besser vorüber, als ich mir vorgestellt hatte.

      Als förmlich aufgenommen in die Schulgemeinschaft galt ich jedoch nicht eher, als bis J. Steerforth da war. Vor diesen Schüler, der für sehr gelehrt galt und sehr hübsch aussah, und mindestens ein halbes Dutzend Jahre älter war als ich, führte man mich wie vor einen Vorgesetzten oder Richter. Unter einem Schutzdach auf dem Spielplatz befragte er mich über die Einzelheiten meiner Strafe, und geruhte seine Meinung dahin auszusprechen, daß es ein » schändlicher Witz« sei, wofür ich ihm ewig dankbar wurde.

      »Wieviel Geld hast du bei dir, Copperfield?« fragte er, als er meine Angelegenheit mit diesen Worten abgetan hatte und dann mit mir beiseite ging.

      Ich sagte ihm, ich hätte 7 Schillinge.

      »Es ist besser, du gibst sie mir zum Aufheben«, sagte er. »Wenigstens kannst du das tun, wenn du willst. Du brauchst's auch nicht zu tun, wenn du nicht willst.«

      Ich beeilte mich, diesem freundlichen Rate nachzukommen, öffnete Peggottys Börse und schüttete sie in seine Hand aus.

      »Willst du jetzt etwas davon verwenden?« fragte er.

      »Nein, ich danke«, entgegnete ich.

      »Du kannst aber, wenn du Lust hast,« sagte Steerforth, »du brauchst es nur zu sagen.«

      »Nein, ich danke Sir«, wiederholte ich. ,

      »Vielleicht möchtest du ein paar Schillinge anwenden für eine Flasche Johannisbeerwein, oben für unser Schlafzimmer?« sagte Steerforth. »Du bist nämlich mit in meinem Schlafzimmer.«

      Gewiß war mir dies vorher nicht eingefallen, aber ich sagte, ja, das würde mir schon recht sein.

      »Sehr gut«, sagte Steerforth. »Und vielleicht einen Schilling für Mandelkuchen?«

      Ich bestätigte, daß mir auch dies recht wäre.

      »Und einen Schilling für Biskuit und einen für Obst, nicht wahr?« sagte Steerforth. »Wahrhaftig, kleiner Copperfield! du bringst dein Geld großartig durch!«

      Ich lachte, weil er lächelte, aber ich war doch innerlich ein wenig beunruhigt. »Na!« sagte Steerforth, »wir müssen sehen, wie weit es reicht! das ist alles. Ich will mein Möglichstes für dich tun. Ich kann ausgehen, wenn ich will, ich werde die ganze Geschichte hereinschmuggeln.« Mit diesen Worten steckte er das Geld in seine Tasche und sagte mir, ich sollte mir keine Sorge machen, er wollte schon zusehen, das alles in Ordnung sei.

      Er hielt Wort (wenn man das für »in Ordnung« nennen konnte, was eine innere Stimme in mir ein Unrecht nannte), denn mir schien es, daß ich meiner Mutter beide halbe Kronen unnützerweise verschwendete – obgleich ich das Stück Papier, in das sie gewickelt gewesen waren, sorgfältig und wie einen kostbaren Schatz aufbewahrte. Als wir zu Bett gingen, breitete er seine Einkäufe im Mondscheine auf dem Bette aus und sagte:

      »So, junger Copperfield, das nenn' ich mir eine famose Bescherung, ein königliches Mahl!«

      Solange er anwesend war, konnte ich in meinem Alter nicht daran denken, die Honneurs des Festes zu machen; meine Hand zitterte bei dem bloßen Gedanken daran. Ich bat ihn daher um die Gefälligkeit, den Vorsitz zu führen; und da mein Wunsch von den übrigen Schülern, die in diesem Schlafzimmer waren, unterstützt wurde, so gab er nach und nahm auf meinem Kopfkissen Platz. Hier teilte er die Lebensmittel aus – ich muß gestehen mit vollkommener Unparteilichkeit – und schenkte den Johannisbeerwein in einem kleinen Stehauf-Glase ohne Fuß, das ihm gehörte, Reihe um, aus. Ich saß an seiner linken Seite, und die übrigen hatten sich auf die nächsten Betten und auf den Fußboden um uns gruppiert.

      Wie deutlich erinnere ich mich noch, wie wir zusammen dasaßen und flüsternd miteinander sprachen; oder ich sollte vielmehr sagen, wie sie miteinander sprachen und wie ich ehrerbietig zuhörte! Das Mondlicht schien ein Stück ins Zimmer hinein und malte ein blasses Fenster auf den Fußboden, während der übrige Teil mit der Mehrzahl der Knaben im Dunkeln blieb, außer wenn Steerforth, um etwas auf dem Tisch zu suchen, einen Zünder in die Phosphorbüchse tauchte und einen blauen Schein über uns verbreitete, der sogleich wieder verschwunden war. Ein Gefühl des Geheimnisvollen infolge der Dunkelheit, der Heimlichkeit des Zusammenseins und des flüsternden Tones, in dem sich alle bei dieser Mahlzeit unterhielten, beschleicht mich wieder, und ich höre allen zu mit einem dunkeln Gefühl der Ehrfurcht und Beklemmung, so daß ich froh bin, daß mir alle so nahe sind, und mich fürchte (obgleich ich tue, als ob ich lachte), als Traddles ein Gespenst in der Ecke zu sehen behauptete.

      Bei dieser Gelegenheit hörte ich allerlei Geschichten von der Schule und was damit zusammenhängt. Ich hörte, daß Mr. Creakle nicht ohne Grund ein Barbar zu sein behauptete, daß er der unbarmherzigste Schulhalter und der strengste aller Lehrer war, daß er jeden Tag wie ein richtiger Holzhacker schonungslos und unbarmherzig über die Knaben herfiel und um sich schlug, daß er weiter nichts wisse, als die Kunst Schläge auszuteilen, und unwissender sei (J. Steerforth sagte das) als der dümmste Knabe in der Schule. Denn er war früher ein kleiner Hopfenhändler in der Vorstadt gewesen und hatte sich dem Schulgeschäft erst zugewandt, als er Bankrott gemacht und das Geld seiner Frau verludert hatte. Und ich hörte noch ein gut Teil mehr von diesen Dingen, und ich wunderte mich nur, woher sie das alles wußten.

      Ich hörte ferner, daß der Mann mit dem hölzernen Beine, der Tungay hieß, ein hartherziger Barbar war, der in Mr. Creakles Diensten im Hopfengeschäfte gestanden hatte und von diesem auch in die Schulbranche übernommen war, da er, wie die Schüler munkelten, in Mr. Creakles Diensten das Bein gebrochen, so manche Betrügerei für seinen Chef ausgeführt hätte und dessen Geheimnisse kannte. Ich erfuhr, daß Tungay mit Ausnahme Mr. Creakles die ganze Anstalt, Schullehrer und Knaben, als seine natürlichen Feinde betrachtete, und daß das einzige Vergnügen seines Lebens war, mürrisch und boshaft zu sein: Ich erfuhr ferner, daß Mr. Creakle einen Sohn hatte, der Unterlehrer in Salemhaus, aber nicht Tungays Freund war, und seinem Vater einmal eine besondere Grausamkeit gegen einen Schüler mißbilligend vorgehalten, auch gegen die Behandlung der Mrs. Creakle, seiner Mutter, protestiert hatte, und dann deswegen von Mr. Creakle des Elternhauses verwiesen worden war. Und seitdem trauerten Frau und Tochter.

      Aber das allerwunderbarste, was ich von Mr. Creakle hörte, war, daß sich in der Schule ein Junge befand, an den er nie Hand zu legen wagte, und daß dieser Junge Steerforth war. Steerforth bestätigte das selbst, als es erzählt wurde, und sagte, er möchte doch sehen, wenn er es einmal versuchen wollte. Als ihn ein schüchterner Knabe (nicht ich) fragte, was er in diesem Falle tun werde, tauchte er einen Zünder in die Phosphorbüchse, wohl um einen geheimnisvollen Schein über seine Antwort zu verbreiten, und sagte, er wollte ihn zu allererst mit der großen Tintenkruke, die immer auf dem Kamine stand, durch einen Schlag vor die Stirn zu Boden schmettern. Wir blieben eine Zeitlang atemlos im Dunkeln sitzen.

      Ich hörte, daß Mr. Sharp und Mr. Mell beide sehr schlecht bezahlt wurden, und daß man, wenn warmes und kaltes Fleisch auf Mr. Creakles Tafel stand, Mr. Sharp stets zu der Aussage verpflichtet sei, daß er kaltes vorziehe; und das bestätigte Steerforth, der als einziger Pensionär erster Klasse allein an der Tafel des Direktors speiste. Ich hörte, daß Mr. Sharps Perücke nicht fest säße, und daß er nicht so »eitel« darauf zu sein brauche, da man ganz


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