Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad

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Zenjanisches Feuer - Raik Thorstad


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      »Du hast die Versammlung vergessen«, stellte Sothorn fest.

      »Eher verdrängt«, murmelte Geryim, bevor er den Lederharnisch beiseitelegte und ungewohnt ungelenk auf die Beine kam. »Aber von mir aus: Bringen wir es hinter uns.«

      Sothorn ließ Geryim den Vortritt, sich durch die Luke in den Gang zu quetschen. Kaum, dass er ihm gefolgt war, wurde er erst am Handgelenk, dann an der Schulter gepackt und hart gegen die nächste Wand geschubst. Einen Augenblick später stand Geryim dicht vor ihm und drückte ihm den Mund gegen die Schläfe. Mit den Lippen an Sothorns Haut raunte er: »Das wird der letzte Aufschub. Wir lassen sie reden und dann verschwinden wir. Und wenn das Schiff in Flammen steht: Wir werden feiern.«

      Sothorn legte erleichtert die Hände um Geryims Gesicht und zerrte ihn in einen kurzen, aber umso hitzigeren Kuss. Nachdem sich ihre Lippen wieder getrennt hatten, zischte er halblaut: »Ich nehme dich beim Wort. Du bist mir etwas schuldig, nachdem ich dir gestern das Blut dieses Wildschweins abwaschen musste.«

      Er hatte es halb im Scherz gesagt. Umso überraschter war er, als Geryim ihn eindringlich musterte und dann langsam nickte. »Das bin ich. Und zwar viel mehr, als dir je bewusst sein wird.«

      Seine Worte sowie sein aufrichtiger Tonfall brachen mit einer solchen Wucht über Sothorn zusammen, dass er überzeugt war, etwas in sich bersten zu spüren. Geryim machte nur selten Zugeständnisse, aber wenn er es tat, konnte man sich auf sie verlassen. Wenn er nun wirklich wiedergutmachen wollte, dass er Sothorn monatelang nach geteilter Leidenschaft allein gelassen hatte – allein lassen musste, um die Gesetze seines Volkes nicht zu brechen –, standen ihnen gute Zeiten bevor. Ihnen beiden.

      Zumindest, sobald sie das Problem gelöst hatten, das sie alle ins Unglück stürzen konnte.

      * * *

      In der Schiffsmesse herrschte Unruhe. Alle redeten aufeinander ein. Viele hielt es nicht länger auf ihren Plätzen. Cregh, der sich gegen Ende seines Zyklus befinden musste, hielt sich den Kopf und sah aus, als würde er jeden Augenblick jemandem die Kehle aufschlitzen.

      »Könnt ihr vielleicht noch mal kurz die Schnauze halten?«, bellte Theasa in die Menge. Sie saß mit angezogenen Beinen auf einem Tisch am Durchgang zur Kombüse. Weder in ihrer Miene noch in ihrem Tonfall war die unsichere Frau zu erkennen, mit der Sothorn sich am Morgen unterhalten hatte.

      Die Gespräche ebbten ab. Alle Blicke richteten sich nach vorn.

      »Geht doch«, murrte Theasa halblaut. Sie sah von einem zu anderen. »Glaubt nicht, dass ich nicht weiß, was ich von euch verlange. Oder dass ich mir der Gefahr nicht bewusst bin. Allerdings hat mich heute Morgen jemand zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass wir gar keine andere Wahl haben. Ich weiß, jeder halbwegs vernünftige Mensch und anständige Bürger wird behaupten, dass das, was wir vorhaben, unmöglich ist. Aber ich sage, dass wir es schaffen können. Weil wir weder anständige Bürger noch vernünftige Menschen sind!«

      Zum ersten Mal waren Laute der Zustimmung und sogar Gelächter zu vernehmen. Geryim, der Seite an Seite mit Sothorn an der Schiffswand lehnte, schnaubte und raunte, dass Theasa von den Kampfrednern in der Arena von Auralis viel gelernt hätte.

      »Es wird nur darauf ankommen, dass wir zusammenarbeiten, wie wir es nie zuvor getan haben. Mit Gewalt allein werden wir nicht ans Ziel kommen. Mein Schlachtplan baut auf jeden Einzelnen von euch und…«

      Ein höhnisches Auflachen unterbrach sie. »Auf jeden Einzelnen?« Shahims Stimme schnitt durch den Raum. »Auch auf mich? Was sieht dein Plan für mich vor? Soll ich die Gallionsfigur geben?«

      »Bei Insa…«, ächzte Kara und auch Sothorn musste ein Seufzen unterdrücken. Er sah sich zu Shahim um, der in der hintersten Ecke auf einer Bank saß und das verletzte Bein auf einen Schemel gebettet hatte. Verschwunden war der lebenslustige Oramba, der trinken, tanzen, lachen und Geschichten erzählen konnte wie kein Zweiter. Zurückgeblieben war ein Mann, der an seinem Wert zweifelte und sich jeden Tag im Stillen oder auch laut hörbar fragte, warum die Bruderschaft ihn weiterhin durchfüttern sollte.

      »Nein, Shahim«, antwortete Theasa überraschend sanft, was in ihrem Fall immer noch klang, als würden Steine einen Abhang herunterpoltern. »Du, Nouna und Lilianne… Ihr werdet die vielleicht größte Verantwortung übernehmen.« Sie zögerte und sah sich zu den beiden Frauen um. »Selbst der narrensicherste Plan kann fehlschlagen. Und wenn er das tut, werden wir nicht nur unser Leben, sondern auch die Henkersbraut verlieren.«

      »Eigenartige Reihenfolge«, knurrte Szaprey aus den Schatten der Tür. Wie so oft hielt er sich möglichst weit von ihnen fern, als wollte er betonen, dass er niemals ganz zu ihnen gehören würde.

      Theasa ignorierte den Einwurf. »Ich weiß um eine kleine Insel. Sie liegt dicht genug am Festland, um es im Ernstfall immer noch mit einem Beiboot erreichen zu können. Wir werden euch eines vor Ort lassen. Ich möchte, dass ihr drei dort auf uns wartet. Zusammen mit den Kindern, den Pferden und dem restlichen Lotus.«

      Dass niemand protestierte, bewies, wie sehr sie sich der Gefahr bewusst waren, in die sie sich begeben würden. Auch Shahim schwieg und Sothorn konnte nur hoffen, dass er erkannte, wie viel Vertrauen man ihm entgegenbrachte. Sollten sie scheitern und in alle Winde verstreut werden, wäre es in Zukunft an ihm, Nouna und Lilianne, sich Tills, Gillas und all der anderen Kinder anzunehmen. Das war keine Aufgabe für Feiglinge.

      Sothorn lag die Frage auf der Zunge, ob sie nicht auch Janis auf der Insel lassen sollten. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass Theasa sich diese Frage sicher bereits gestellt und anders entschieden hatte. Trotzdem ahnte er, dass in Wahrheit Janis der Einzige unter ihnen sein würde, der keine tragende Rolle bei dem nahenden Angriff spielen würde.

      »Geryim und Sothorn, die Hauptlast des Geschehens wird auf euch ruhen.«

      Geryim zog einen Mundwinkel in die Höhe. »Soll mir recht sein. Auch wenn ich ahne, dass es eher Syv ist, auf den du baust.«

      »Ohne ihn würden wir es wahrscheinlich nicht schaffen«, gab Theasa zu. Sie lächelte spröde. »Aber das gilt wie gesagt für jeden von uns.«

      »Wann brechen wir auf?«, wagte Sothorn zu fragen. Zu seiner Erleichterung waren die Zweifel in den Augen ihrer Mitstreiter gewichen und hatten grimmiger Entschlossenheit den Platz überlassen; die Angst hielt sich in Grenzen oder wurde gut verborgen.

      Theasa drückte den Rücken durch. »Sofort. Wir werden rund eine Woche brauchen, bis wir die Insel erreicht haben, auf der wir die Kleinen in Sicherheit bringen. Wenn der Wind richtig steht, werden wir einen Tag später an der Stelle sein, an der wir euch zwei absetzen müssen.« Sie hielt inne und Sothorn hatte den Eindruck, dass alle gemeinsam mit ihr den Atem anhielten. »Sobald ihr euren Auftrag erfüllt habt, greifen wir Zenja an.«

      Kapitel 3

      Staub und Schriftrollen

      Der Sturz überraschte Thalid auf der letzten Schrittlänge. Im einen Moment fühlte sie sich sicher, im nächsten war es um sie geschehen. Sie ruderte mit dem Armen, riss im Fallen ein halbes Dutzend Schriftrollen aus dem Regal und schlug einen Augenblick später auf dem Steinboden auf. Ihr Aufprall hallte wie Donner in der hohen Bibliothek wider und schien sich böswillig in den Galerien zu verfangen, damit auch jeder noch so konzentrierte und angestrengt arbeitende Novize den Kopf hob.

      Da es Thalid leider nicht gelungen war, sich wieder auf den Füßen zu fangen und sie auf allen vieren gelandet war, brannten ihre Handflächen und Knie. Das war jedoch nichts gegen die verlegene Hitze, die sich in ihrem Körper ausbreitete, und drohte, an die Oberfläche zu schlagen.

      »Unser Wüstentrampel wieder«, zischelte ein Vorübergehender. Hinter einem gewaltigen Stapel schwankender Bücher war der Spötter nicht zu erkennen. »Du solltest es endlich einsehen, Thalid. Unter den Schaustellern am Ganija-Tempel wärst du besser aufgehoben als hier. Es heißt, sie suchen einen neuen Narrenkönig.«

      Thalid hätte gern etwas erwidert, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, hastig die verstreuten Schriftrollen einzusammeln und durch die Hitze in ihrem Bauch hindurchzuatmen. Sie


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