Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad

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Zenjanisches Feuer - Raik Thorstad


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sprang und die altehrwürdige Bibliothek der Ikir-Akademie in Flammen aufgehen ließ.

      Unverhohlenes Gelächter und zotige Bemerkungen verfolgten sie, als sie mit gesenktem Kopf an ihren Platz zurückkehrte. Sie hasste die langen Arbeitsstunden zwischen den turmhohen Bücherregalen, während denen sie ihren Mitschülern nicht ausweichen konnte. Im Unterricht sorgte der jeweilige Magister für Ruhe, sodass sie in den Lehrsälen vor Anfeindungen sicher war. Dasselbe galt für ihre kleine Schlafkammer oder ihre Ausflüge in die Stadt. Doch die Bibliothek…

      Thalid erreichte ihren Platz in einer der Nischen unterhalb der halbrunden Fenster. Obwohl das Sonnenlicht durch die Buntglasscheiben fiel und herrliche Bilder auf die Tische zeichnete, hielten sich die meisten Novizen von diesen Plätzen fern. Die Akademie und insbesondere die Bibliothek waren alt und die Fenster schlossen längst nicht mehr so zuverlässig, wie es kurz nach ihrem Einbau der Fall gewesen sein musste.

      Nachdem Thalid auf ihren gepolsterten Stuhl gesunken war, betrachtete sie die Lederrolle in ihren Händen. Sie nahm die feinen Schriftzüge auf der Hülle jedoch kaum wahr. Dafür war ihr Blick zu verschwommen; etwas, das sie weit mehr ärgerte als ihr Sturz. Sie hatte vor langer Zeit ihren Frieden damit gemacht, dass ihr die Geheimnisse mancher Zauber nie aufgehen würden. Genauso hatten ihre Lehrmeister es aufgegeben, sie in bestimmten Formen der Magie unterweisen zu wollen.

      Das letzte Mal, als man sie auf einen Krankenbesuch mitgenommen hatte, hatte sie den kleinen Jungen beinahe umgebracht. Dabei hatte sie sich genauestens an die Anweisungen des alten Weihenstetten gehalten. Sie hatte die Essenz des Milchmoos mit altem Brot und versteinerten Muschelresten vermengt und jede Zutat dreimal abgewogen. Sie hatte die entzündete Wunde sorgfältig gereinigt und mit dem angerührten Brei bedeckt. Und bevor sie den Zauber gewirkt hatte, war sie in sich gegangen und hatte sich auf den Jungen eingestimmt. Aber die Wunde war nicht abgeheilt und die Fäulnis nicht verschwunden. Stattdessen war das Fieber des Kleinen innerhalb weniger Minuten so sprunghaft gestiegen, dass beinahe sein Herz ausgesetzt hätte. Nur das rasche Eingreifen Magister Weihenstettens hatte Schlimmeres verhindert. Seitdem durfte sie sich Kranken und Verletzten nicht mehr nähern, geschweige denn versuchen, ihnen Linderung zu verschaffen.

      Nach einem kurzen Blick in die Runde stützte Thalid einen Ellbogen auf den Tisch und tupfte sich im Schutz ihres Unterarms die Augen.

      Nein, es brach ihr nicht länger Herz und Stolz, dass sie nie eine Heilerin sein würde. Dass sie nie so viel Macht über den Wind gewinnen würde, dass die Akademie sie an die Handelsherren verlieh, um deren Schiffe durch die Flauten vor Inahain zu bringen. Sie musste dankbar sein, dass man sie überhaupt an der Akademie aufgenommen hatte.

      Was ihr zusetzte, war die Geringschätzung, die ihr innerhalb dieser Mauern entgegenschlug. Ihre Mitschüler gaben ihr bei jeder Gelegenheit zu verstehen, wie unzulänglich sie war. Einige der Magister brachten ihr kaum mehr guten Willen entgegen; unabhängig davon, ob sie die höchsten Ränge der Großmeister bekleideten oder dank erfolgreicher Abschlussprüfungen gerade erst zum vollwertigen Magier aufgestiegen waren. Hätte sich nicht Venika ihrer angenommen und sie zu ihrer Gehilfin erklärt, wären ihre Tage gänzlich unerträglich geworden.

      Und selbst dieser Wahl haftet ein Makel an, dachte Thalid bitter.

      Sie biss die Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzte. Manchmal war es der einzige Weg, ihren Kummer im Zaum zu halten. Zu schade, dass sie erst recht dem Hohn der anderen ausgesetzt war, wenn sie ein dermaßen saures Gesicht zog. Für den Moment half der kleine Trick jedoch und sie konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren, um den Schein einer ehrbaren Novizin in den Hallen der einzigen Magierakademie der bekannten Welt zu wahren. Um der Gabe, die man als Kind in ihr aufgespürt und die ihr die Tore zu diesen Hallen geöffnet hatte, gerecht zu werden.

      Nicht lange, nachdem sich Thalid in ihrer Schriftrolle vertieft hatte, ertönte der Gong auf der Galerie. Sofort wurde es um sie herum unruhig. Stuhlbeine kratzten über Stein, Bücher und Schriftrollen wurden mit erschreckender Gewissenlosigkeit in die Regale zurückgeschoben. Sie war froh, dass es diesen Monat nicht an ihr war, die über den Tag entstandene Unordnung am Abend zu beseitigen.

      Obwohl sie es kaum erwarten konnte, die Akademie zu verlassen, ließ Thalid sich Zeit. Erst, als die letzten Schritte verklungen waren, räumte sie ihren Platz. Sie wollte nicht, dass die anderen sahen, wie sie ihre Schriftrolle in einen der Körbe für die jüngeren Schüler am Treppenaufgang legte.

      Von Novizen ihres Alters wurde erwartet, dass sie sich hoch gelagerte Bücher und Schriftrollen mittels eines Schwebezaubers holten und sie auf demselben Weg zurückbrachten. Aber Thalids Hände brannten immer noch und sie hatte sich für einen Tag genug gehässige Bemerkungen verdient.

      Draußen angekommen atmete sie die frische Winterluft ein. Von den Stallungen her roch es nach den Pferden der berittenen Feuerschutztruppe. Vom Stadtkern aus drängte der verführerische Duft nach heißem Würzwein und Stockbrot über die Mauern.

      Prompt fiel ein großer Teil der Last von ihr ab. Heute Abend würde sie nicht gemeinsam mit den anderen im großen Weihsaal essen und sich giftige Bemerkungen über ihren Hunger oder auch den Mangel desselben anhören müssen. Aß sie, wie ihr Magen es ihr befahl, schimpften sie sie eine fette tashanso-Kuh. Stocherte sie stattdessen lustlos im Essen, fragte man sie, ob sie endlich Vernunft angenommen hatte und etwas von ihrem Schlachtgewicht verlieren wollte, bevor ihr Bett unter ihr zusammenbrach. Das Eigenartige war, dass mancher, der sie mit solchen Bemerkungen piesackte, weit massiger war als sie.

      Sobald Thalid das Torhaus hinter sich gelassen hatte, war ihr, als hätte sie eine neue Welt betreten. War sie zuvor von der Ruhe zu weniger Menschen auf zu viel Raum umfangen gewesen, fand sie sich nun mitten in einem Strom aus laut schwatzenden, fluchenden und lachenden Passanten wieder. Manche hielten Humpen in der Hand und schienen geradewegs aus einer Schenke gestolpert zu sein. Andere schleppten Jutesäcke voller Einkäufe oder Waren für ihren Dienstherrn umher und schimpften lautstark, wenn sich ein Fuhrwerk zu ihnen in die enge Gasse drängeln wollte.

      Doch nicht nur die Welt wandelte sich, als Thalid die Straßen von Auralis betrat. Auch sie selbst wurde eine andere. Sie merkte es daran, dass die Menschen ihr höflich Platz ließen, sobald ihnen der indigofarbene Kapuzenumhang der Magierzunft auffiel. Man nickte ihr respektvoll zu und einige lächelten sie sogar an. Und mit jeder Geste, die etwas anderes als Ablehnung und Herablassung ausdrückte, richtete sich Thalid innerlich wie äußerlich auf.

      Es waren Abende wie diese, die sie durchhalten ließen. Ohne sie hätte sie längst ihr Bündel geschnürt und wäre in die Steppensee zurückgekehrt; ob sie sie nun in Brand steckte oder nicht.

      Je näher sie dem Marktplatz im Rund der gewaltigen Lagerhäuser kam, desto lebendiger ging es in den Gassen zu. In den Fenstern der Häuser schimmerten bunte Laternen. Auf manchen Dächern zogen sich Reihen beleuchteter Girlanden entlang, deren eingelassene Halbedelsteine ein sanftes Glimmen abstrahlten. Thalid wusste, wie lange ein Magier an einer solchen Kette arbeitete, und auch, für welche schwindelerregenden Summen sie gehandelt wurden. Dennoch erfreute sie sich an jedem Funkeln und Schimmern und erst recht an den weit aufgerissenen Augen der Fremden, die zum Lichterfest nach Auralis strömten.

      Auf dem Marktplatz angekommen, ignorierte Thalid die zahlreichen Stände, an denen am Spieß gebratenes Fleisch, Räucherfisch und berauschende Getränke angeboten wurden. Auch den Feuerspuckern vor dem Tempel der Ganija schenkte sie keinen Blick. Sie schaute ihnen ohnehin nicht gern zu. Es war ungerecht, dass man die jungen Männer und Frauen bejubelte, die inmitten von Flammen Purzelbäume schlugen und sich zu menschlichen Standbildern aufgetürmt Fackeln in den Rachen schoben. Thalid konnte nicht nur mit Feuer spielen, sie konnte es rufen. Wo blieb ihr Beifall?

      Der Anflug schlechter Stimmung hielt sich nicht lange. Sobald sie die Schenke hinter der Tempelanlage betrat, sog sie genüsslich die Luft ein. Hier roch es nicht nur nach deftigem Eintopf und Bier, sondern auch nach Tannennadeln, Honig, warmem Holz und allem, was sie mit guter Gesellschaft in Verbindung brachte.

      Dass Barim bereits an ihrem Stammtisch saß und mit der Nasenspitze beinahe die Seiten seines Buchs berührte, vertrieb auch die letzte Schwermut aus ihrem Herzen. Thalid wusste nicht, warum die Götter ihr Barim als Freund zur Seite gestellt hatten. Aber sie war dankbar


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