Zenjanisches Feuer. Raik Thorstad

Читать онлайн книгу.

Zenjanisches Feuer - Raik Thorstad


Скачать книгу

      Durch die weit offenen Tore seines Geistes spürte er ihren Widerwillen. Sie hatte längst begriffen, dass sie aufs Meer zurückkehren und sich wieder dem beständigen Schaukeln und Kreischen der Seevögel aussetzen würden. Dichte Wälder wie dieser waren ihr fremd genug. Das Meer dagegen versetzte sie geradezu in Empörung. Wasser, das man weder überspringen noch trinken konnte, war nicht richtig.

      Als sie zur Landestelle zurückkehrten, ertappte sich Sothorn dabei, dass er die verbliebenen Menschen am Strand enttäuscht musterte. Er war davon ausgegangen, dass Geryim ihn erwarten würde. Oder zumindest hatte er es sich so fest gewünscht, dass aus der Hoffnung eine Gewissheit erwachsen war.

      Sie hatten seit dem Abend kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wäre nicht der Kuss gewesen, mit dem ihn Geryim beim Verladen des Frischwassers unversehens überfallen hatte, hätte sich Sothorn gefragt, ob die vergangene Nacht und der Morgen danach ein Traum gewesen waren.

      Es brauchte etwas Überredung, um Gwanja an Bord zu schaffen. Geduckt wie ein widerwilliges Kind trabte sie die Planke hinauf. Kaum an Deck angekommen, schlich sie auf eine der Treppen zum oberen Laderaum zu und verschwand im Bauch des Schiffs. Das letzte Gefühl, das Sothorn von ihr empfing, bevor sich ihre Verbindung schloss, war Missmut.

      »Schlechte Laune, was?«, fragte jemand hinter ihm.

      »Kann man sagen.« Er drehte sich um und entdeckte Kara, die halb gebeugt unter dem Gewicht einer gewaltigen Taurolle auf ihn zuwankte. Rasch trat er zu ihr, um ihr die Last abzunehmen und neben dem Hauptmast auf das Deck sinken zu lassen.

      »Ich kann es ihr nicht verübeln.« Keuchend strich sich Kara den Schweiß von der Stirn. »Ich habe es auch satt. Wenn wir nicht bald länger als drei Tage festen Boden unter den Füßen haben, werfe ich mich den Fischen zum Fraß vor.«

      »Dich oder Shahim?«, rutschte es Sothorn heraus. Manchmal vergaß er nach längerer Verbindung zu Gwanja, zu menschlichen Verhaltensweisen wie Takt und Höflichkeit zurückzukehren.

      Zum Glück nahm Kara selten etwas übel; nicht einmal dann, wenn man einer offenen Wunde zu nah gekommen war. »Das ist mir egal, aber einen von uns wird es bestimmt treffen. Ich kann ja verstehen, dass er nicht eben guter Laune ist. Er wird mindestens genauso schnell seekrank wie Gwanja und kotzt auch genauso viel, sobald die Küste außer Sichtweite ist. Ich wünschte nur, er würde ab und zu einmal lächeln oder zumindest ein bisschen weniger jammern.« Sie verdrehte die Augen, lachte jedoch dabei.

      Sothorn bewunderte sie. Zwar schimpfte sie ab und zu über Shahims Sturheit und Wehleidigkeit, aber letztendlich war ihr in jeder Geste und jedem Wort, ja, selbst in ihren Beschimpfungen anzumerken, wie froh sie war, ihn noch an ihrer Seite zu haben.

      Es ist nicht nur Bewunderung, ging ihm auf. Es ist auch ein bisschen Neid dabei.

      Als wüsste Kara, in welche Richtung seine Gedanken sich davongemacht hatten, meinte sie: »Übrigens, Theasa will anfangen. Und ich fürchte, unser ehrenwerter Wargssolja hat sich in irgendeine Ecke verkrochen und vergessen, dass wir zusammenkommen wollten. Gehst du ihn suchen oder soll ich Syv ein paar Federn rauszupfen, um Geryims Aufmerksamkeit zu erregen?« Sie deutete auf den Blauschwanzadler, der sich auf halber Höhe zum Krähennest niedergelassen hatte und sie kühl zu mustern schien.

      Sofort stieg Widerwillen in Sothorn auf. Dabei war es nicht einmal sein Gefährtentier, um dessen Unversehrtheit es ging. Er konnte sich nur allzu gut den Schrei vorstellen, den Syv in Geryims Kopf ausstoßen würde, sollte ihm Kara zu Leibe rücken. »Lass nur. Ich suche ihn und stoße dann mit ihm zu euch.«

      »In Ordnung.« Sie zwinkerte ihm zu. »Und guck nicht so. Ich behalte meine Hände bei mir. Selbst wenn ich Geryim ans Leder wollte, würde ich unseren Syv nicht anrühren. Das überlasse ich lieber dir. Du bist der Einzige, der so etwas überleben dürfte.«

      Bevor Sothorn ihr einen spielerischen Hieb versetzen konnte, sprang sie aus seiner Reichweite. Seine Wangen fühlten sich warm an. Das war inzwischen immer der Fall, wenn er daran erinnert wurde, dass er Syv einst durch einen wütend davon geschleuderten Dolch verletzt hatte. Er hatte bald begriffen, dass dies in Geryims Augen ein Akt unnötiger Grausamkeit gewesen war. Doch erst, seitdem er mit Gwanja verbunden war, wusste er, wie es sich anfühlte, wenn das eigene Gefährtentier in Gefahr war, und welche Hilflosigkeit damit einherging.

      Auf dem Weg in den Bauch der Henkersbraut begegneten ihm viele seiner Brüder und Schwestern. Die meisten wanderten bereits der Schiffsmesse entgegen. Nur die Kinder stoben wie gefangene Glühwürmchen durch die engen Gänge und erkundeten von Neuem ein Schiff, das sie erst vor wenigen Tagen mit derselben Begeisterung geräumt hatten.

      Es dauerte nicht lange, bis Sothorn fündig wurde. Wie vermutet hatte Geryim sich in den winzigen Raum unterhalb der Kombüse zurückgezogen, in dem die überzähligen Segel gelagert wurden. Man konnte ihn nur durch eine lächerlich enge Luke erreichen, die den meisten Vorbeigehenden nicht einmal auffiel. Es war ein guter Ort, wenn man seine Ruhe brauchte und sie nirgendwo anders finden konnte.

      Eine Öllampe warf unruhiges Licht in die Kammer und beleuchtete Geryim, der mit überkreuzten Beinen und verbissener Miene auf den Segeln saß. Sein Blick war auf einen Lederharnisch in seinem Schoß gerichtet. Er kämpfte darum, eine Ahle durch das feste Material zu treiben, und noch bevor Sothorn ein Wort sagen konnte, rutschte Geryim ab und jagte sich die Spitze in den Daumen.

      »Lach bloß nicht«, knurrte er, während er sich das Blut ableckte. »Irgendwann werfe ich dieses Miststück über Bord und dann hat es sich mit abbrechenden Nadeln und viel zu dicken Fäden.«

      Sothorn wunderte sich nicht, dass Geryim ihn bemerkt hatte. Man schlich sich nicht an einen Assassinen heran und schon gar nicht auf einem Schiff, das jeden Schritt mit einem Knarren beantwortete.

      »Lass das lieber. Es ist ein guter Harnisch. Wenn du nicht damit zurechtkommst, gib ihn mir. Ich bringe die Nähte wieder in Ordnung.«

      Geryim brummte etwas Unverständliches, bevor er endlich aufsah. Seine gelben Raubvogelaugen schimmerten im Licht der Öllampe und die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen. »Sind wir schon so weit gekommen, dass du mir die Näharbeiten abnimmst?«

      Sothorn zog eine Augenbraue hoch und bemühte sich um Gelassenheit, auch wenn sein Herzschlag angesichts von Geryims leichtherzigem Tonfall freudig zugelegt hatte. »Ein Wort darüber, dass ich ein wunderbares Eheweib abgeben würde, und ich trete dir noch mal in den Hintern.«

      Geryim hatte ihm bei einer früheren Gelegenheit erklärt, dass bei den Wargssolja bestimmte Arbeiten rund um die Jagd nach Geschlechtern verteilt wurden. Während die Männer sich des Fleisches und der Innereien der Beutetiere annahmen, verarbeiteten die Frauen Häute und Knochen. Und da er es natürlich nicht hatte lassen können, Sothorn für sein Geschick bei der Lederverarbeitung aufzuziehen, hatten sie sich so lange geprügelt, bis sich Geryim lachend ergeben hatte. Erst hinterher war ihm eingefallen, Sothorn mitzuteilen, dass es bei den Wargssolja keine niederen Arbeiten gab und die Frauen ebenso fähige und starke Jägerinnen waren wie die Männer. Die anschließende Versöhnung war schweißtreibend ausgefallen und zählte zu einer der besten Nächte in Sothorns Leben, wenn man von dem unvermeidlichen Abschiedsschmerz absah, der ihr gefolgt war.

      Prompt grinste Geryim. »Ich erinnere mich an das letzte Mal. Und ich kann nicht behaupten, dass es mir nicht gefallen hat.« Er sah sich in der Kammer um. »Was meinst du? Könnte schlechtere Orte geben…«

      Nun war Sothorn tatsächlich versucht, ihn zu treten. Erst zog Geryim für ein lebensgefährliches Ritual allein und ohne Ausrüstung in den Wald, dann kehrte er halb erfroren und verletzt zurück, sodass sie seinen neuen Status als Mann nicht angemessen feiern konnten, nur um anschließend bis in den späten Vormittag hinein zu schlafen und ausgerechnet jetzt wollte er Sothorn auf die Segel ziehen? Obwohl sie in der Messe erwartet wurden?

      Es war zum Aus-der-Haut-fahren.

      »Aber deutlich bessere Zeitpunkte«, widersprach Sothorn fest. In ihm sah es anders aus: Wie lange würden sie schon brauchen? Bei ihm würde es sicher nicht lange dauern. Dafür hatte es ihn gestern zu viel Beherrschung gekostet, lediglich Geryims Wunde zu versorgen, statt


Скачать книгу