Culturstudien. Wilhelm Heinrich Riehl

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Culturstudien - Wilhelm Heinrich Riehl


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geben nicht nur reichliche Anleitung zu derlei Briefen, sondern sie zweigen auch hier wieder Unterarten ab, und lehren z. B. wie Einer, der auf einen Grußbrief, welcher nichts enthielt, keine Antwort bekommen hat, einen zweiten Grußbrief abfassen solle, der nun einen Inhalt gewinnt, indem er das Bedauern ausspricht, daß auf den ersten inhaltlosen Brief eine Antwort nicht erfolgt sei. Es wird dann wieder unterschieden zwischen Grußbriefen im bürgerlichen Ton und im Hofton, von denen namentlich letztere eine wahre Fundgrube sind für das Studium der grammatischen und logischen Sinnlosigkeit und des rhetorischen Ungeschmacks jener traurigen Zeit. Ich will zur Probe einen solchen Grußbrief mittheilen, und zwar den kleinsten, den ich finde und der »zufolge jetzt üblichem Hof- stylo eingerichtet« und ganz besonders kurz und dumm ist: »Groß geneigt-sehr-werther Herr! Alldieweilen eine herztreugemeinte Freundschaft erfordert, einen liebwerthen Herrn dann und wann schriftlich heimzusuchen, so habe zu Bezeugung dienstschuldigster Aufwärtigkeit mich kraft dieses verschreiben wollen, daß meines Herrn Gebieten mein Erbieten sein und verbleiben solle, inmaßen ich lebenslangwierig verbleibe – meines Herrn treu- und dienstwilliger Knecht N. N.«

      Solche Grußbriefe schreiben wir nun zwar nicht mehr, aber wir machen noch eben so inhaltlose Grußbesuche »zufolge jetzt üblichem Hof- stylo,« und haben darum kein sonderliches Recht, uns über die Briefschreiberei der Vorfahren lustig zu machen.

      Einen Hauptbestandtheil der alten Briefsteller bildet das sogenannte »Titularbuch.« Im späteren Mittelalter noch hatten die Titel und Höflichkeitsprädikate auf einer natürlichen und principiellen Grundlage geruht, als Zeichen des Berufes und Standes; im siebzehnten Jahrhundert dagegen waren sie bloß Zeichen eines bald wirklichen, bald nur angeschmeichelten Ranges geworden, und eben dadurch ein willkürliches Formelwesen, Dennoch sprach man gerade in dieser Zeit, wo der Titel seine sociale Währung und eben damit seinen vernünftigen Sinn verloren hatte, von einer »Titelwissenschaft,« und ein damaliger Autor classificirte dieselbe sofort als die »vornehmste unter den Wissenschaften zweiten Ranges.« Wo man aber einer eigenen »Titelwissenschaft« bedarf, da müssen die natürlichen Gliederungen der Gesellschaft bereits zerstört sein: denn in einer gefunden und lebenskräftig gegliederten bürgerlichen Gesellschaft muß alles, was über den Titel wissenschaftliches zu sagen wäre, in der Lehre von Stand und Beruf zu suchen sein. Je mehr sich daher in der neueren Zeit eine neue und bessere sociale Gliederung zu entwickeln beginnt, um so lächerlicher ist auch der bloße Gedanke an eine »Titelwissenschaft« geworden. Was Jeder ist, das soll er auch heißen: dies muß die Summe aller Titelwissenschaft werden.

      »Wohlgeboren« war im Mittelalter ein Prädicat des Adels gewesen; gleichbedeutend mit freigeboren war es mehr als eine Höflichkeitsphrase, es hatte einen socialen und staatsrechtlichen Sinn. Als man später »Hochwohlgeboren« daraus machte, weil der inzwischen social emancipirte Bürgerstand sich mit gutem Grund nun gleichfalls wohlgeboren nannte, war ein in seiner sprachlichen Zusammensetzung sinnloser Rangtitel aus dem alten Standesprädicat geworden. Im achtzehnten Jahrhundert trieb man nun gar mit Hülfe der »Titelwissenschaft« die logische Confusion so weit, daß man das ursprünglich dem »Wohlgeboren« gleichbedeutende »Edelgeboren« den ganz geringen Bürgern und Proletariern zuwies, die nicht vornehm genug erschienen, daß man sie noch wohlgeboren hätte nennen mögen!

      Noch im vierzehnten Jahrhundert hatten Grafen und Fürsten die Worte »Ehrsam« oder »Ehrbar« als vornehmen Standestitel geführt. Schon nach zweihundert Jahren war derselbe zum untersten Rangtitel, zum Titel der Bauern herabgesunken, der sich z. B. in Altbayern bis auf diesen Tag erhalten hat, indem die Bauern ihren Verstorbenen auf den Grabkreuzen das Prädicat »Ehrsam« oder »Ehrengeachtet« beizulegen pflegen. Unter diesem »Ehrsam« war aber ursprünglich keineswegs die sittliche Achtbarkeit gemeint, sondern es galt dem adeligen, zu ritterlichen Ehren geborenen Mann. In diesem Sinne finde ich in einem Briefsteller des siebzehnten Jahrhunderts die ganz treffende Bemerkung: daß der Bauer, indem man ihn »ehrbar« nenne, nunmehr »zu einem unschuldigen Edelmann gemacht worden sei.«

      Wie die gesellschaftlichen Neubildungen, welche aus der zertrümmerten Welt des Mittelalters aufwuchsen, durch viele Menschenalter noch schwankend und wandelnd waren, so ging es auch mit der an dieselben sich anrankenden Schmarotzerpflanze des Titelwesens. Selbst nach dem dreißigjährigen Krieg noch klagte man, daß in den letztverflossenen Zeiten fast je alle zwanzig Jahre neue Titel aufgekommen seien. Erst gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts festigten sich die neuen Rangtitel und blieben im wesentlichen bis zur französischen Revolution. Die meisten altadeligen Häuser waren binnen kurzer Frist zum Reichsfreiherrn- und Reichsgrafentitel gekommen, Grafen waren Fürsten geworden; der »Jungherr« war zum Prinzen avancirt und alle Söhne des Adels zu Junkern; jeder Edelmann hieß nun »gestreng,« während vordem nur gestreng geheißen, wer auch wirklich gestreng sein, d. h. in eigener Gerichtsherrlichkeit seinen eigenen Galgen aufpflanzen konnte.

      Dieses große Avancement im Titel ging hinauf bis zum Kaiser: denn erst durch den Vorgang Karls V. ward es allgemein, Kaiser und Könige, die sich bis dahin meist mit »Hoheit« und »Gnaden« begnügt hatten, »Majestäten« zu nennen. Natürlich. Die großen Münzen waren im Curs gefallen; nun mußte man neue prägen, um hohe Werthe auszudrücken. Es ist aber äußerst komisch, daß nun Alle wähnten, vornehmer geworden zu sein, in der That aber waren sie Alle im alten Range verblieben; denn der Rang des Einzelnen ist ja immer nur etwas Relatives, er mißt sich an dem Range der Anderen, und wenn Alle gleichmäßig vorrücken, so bleibt Jeder in der Kette des Ganzen doch eigentlich wieder auf demselben Fleck. Keine Periode ist so reich an komischen Selbsttäuschungen wie die Uebergangsjahrhunderte vom Mittelalter zur modernen Zeit. Es beruht darin eine der reichsten Quellen jener Selbstironie von Rococo und Zopf, wie sie so viele humoristische Dichter und Maler geahnt haben, indem sie ihren Stoff mit Vorliebe aus den Tagen der Puderköpfe nehmen. Ein alter Briefsteller kann uns die Ahnung dieser Selbstironie zum klaren Bewußtsein erheben.

      Zu früh hatte man schon im siebzehnten Jahrhundert das baldige Ende des Titelwesens prophezeit, und vergeblich die Geißel der Satire über demselben geschwungen. Zu früh hatte man selbst in den radicalen Tagen der französischen Revolution gejubelt. Jeglicher spottet über die Titelnarren und doch trägt Jeder auch heute noch immer ein ganz gehöriges Stück von dieser Narrheit in sich.

      Im siebzehnten Jahrhundert war man systemastischer, haarspaltender mit den Titeln verfahren, die Subtilität, mit welcher man sie nach Arten und Unterarten abstufte, erreichte ihren Gipfel. Dagegen nahm man in der folgenden Zeit den Mund noch weit voller mit großtönenden Prädicaten; was quantitativ vereinfacht worden war, wurde qualitativ mit Zinsen wieder eingebracht. Rococozeit und Zopfzeit verwechselten hier ihre Rollen. Denn die erstere hatte ihre Freude am Classificiren der Titel, die letztere an deren willkürlich phantastischer Verschnörkelung. Im siebzehnten Jahrhundert z.B. hütete man sich sehr, einem Doctor der Philosophie oder Medicin denselben Titel zu geben, wie einem Doctor der Rechte. Dieser war Wohledelgeboren, die andern dagegen nur Edelgeboren. Es deutet das zurück auf den alten höhern Rang der Juristen, die schon im fünfzehnten Jahrhundert das Vorrecht erhielten, Wappen und Siegel zu führen, welches sonst nur dem erblichen Adel zugestanden hatte. Selbst bei den Studenten war ein Unterschied zwischen angehenden und älteren im Titel gesetzt. Ein Fuchs wurde blos »Ehrenvester und Gelehrter« angeredet, ein altes Haus dagegen »Ehrenvester, Vorachtbarer und Wohlgelehrter.« Ganz titellos waren nur die Juden. »Als Christi Erz- und Herzfeinde« sollte man sie – wunderlich genug – höchstens »mein Freund« anreden. Das Prädikat des höchsten Vertrauens galt für ein halbes Schimpfwort, lediglich weil es kein Titel war. Den Bauersmann redete man mit hoffärtiger Herablassung schon etwas klangreicher als »ehrbarer, lieber und guter Freund« an.

      Solche subtile Unterschiede schwanden allmählich im folgenden Jahrhundert, die Titel wurden aber im allgemeinen noch weit vollwichtiger. Im siebzehnten Jahrhundert war der Dorfpfarrer noch »Ehrwürden,« im achtzehnten ward er »Hochehrwürden;« der hochwohlgeborene Graf ward hochgeboren, der hochgeborene Erlaucht. Ja unsere Zeit, die sich so bequem lustig macht über das Titel- und Ceremonienwesen der alten Zeit, hat hier in vielen Stücken erst recht den Gipfel der Devotion und Schmeichelei erstiegen. Der Briefsteller des siebzehnten Jahrhunderts schreibt noch vor, daß man in Sendschreiben


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