David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Ich bin über­zeugt, ich lieb­te das Kind so wahr­haf­tig, so zärt­lich, und rei­ner und selbst­lo­ser, als man selbst im bes­ten Fal­le in spä­te­ren Zei­ten lie­ben kann. Ich weiß, dass mei­ne Fan­ta­sie die­ses blau­äu­gi­ge Kind mit ei­nem Glo­ri­en­schein um­wob, der einen wah­ren En­gel aus ihm mach­te. Wenn Emly an ei­nem son­ni­gen Mor­gen mit ei­nem Paar klei­nen Schwin­gen vor mei­nen Au­gen weg­ge­flo­gen wäre, so glau­be ich kaum, dass ich dar­in et­was Au­ßer­ge­wöhn­li­ches ge­se­hen hät­te.

      Stun­den­lang gin­gen wir auf der öden Flä­che um Yar­mouth in lie­ben­der Ein­tracht spa­zie­ren. Die Tage eil­ten an uns vor­über, als ob die Zeit selbst noch ein Kind wäre und im­mer mit uns spiel­te.

      Ich sag­te Emly, dass ich sie an­be­te­te, und wenn sie nicht ge­stün­de, dass sie mich eben­falls an­be­te­te, so müss­te ich mich mit ei­nem Schwert sel­ber tö­ten. Und sie sag­te, sie lieb­te mich, und ich zweifle nicht, dass es so war.

      An Un­gleich­heit und zu große Ju­gend oder an­de­re Schwie­rig­kei­ten dach­ten wir nicht, denn über die Zu­kunft zer­bra­chen wir uns nicht den Kopf.

      Wir wa­ren ein Ge­gen­stand der Be­wun­de­rung für Mrs. Gum­mid­ge und Peg­got­ty, die sich abends, wenn wir so zärt­lich auf der Schiffs­kis­te sa­ßen, zu­flüs­ter­ten: »O Gott, ist das ein hüb­sches Paar.« Hin­ter sei­ner Pfei­fe her­vor lä­chel­te uns Mr. Peg­got­ty an. Ham grins­te den gan­zen Abend und tat sonst nichts.

      Ich be­merk­te bald, dass sich Mrs. Gum­mid­ge nicht im­mer so an­ge­nehm mach­te, als man nach den Ver­hält­nis­sen, un­ter de­nen sie bei Mr. Peg­got­ty wohn­te, hät­te er­war­ten dür­fen.

      Sie war et­was emp­find­li­cher Na­tur und jam­mer­te oft mehr, als für die an­de­ren Mit­glie­der ei­nes so klei­nen Haus­hal­tes an­ge­nehm war. Sie tat mir wohl sehr leid, aber es gab Au­gen­bli­cke, wo ich dach­te, dass es wohl bes­ser wäre, wenn sie sich in ihr ei­ge­nes Zim­mer zu­rück­zie­hen woll­te, um sich ih­rem Schmerz zu über­las­sen.

      Mr. Peg­got­ty ging manch­mal in ein Wirts­haus, das den Na­men »Der gute Vor­satz« führ­te. Ich merk­te es an sei­ner Ab­we­sen­heit be­reits am zwei­ten oder drit­ten Tag mei­nes Be­suchs und dar­an, dass Mrs. Gum­mid­ge zwi­schen acht und neun Uhr im­mer nach der Schwarz­wäl­der­uhr hin­aufsah und sag­te, er sei dort, und sie habe es be­reits am Mor­gen vor­aus­ge­se­hen.

      Sie war schon den gan­zen Tag sehr trüb ge­stimmt ge­we­sen und in Trä­nen aus­ge­bro­chen, als der Ofen rauch­te. »Ich bin ein ar­mes, ver­las­se­nes We­sen«, hat­te sie da­bei ge­sagt, »und al­les geht mir die Que­re.«

      »Ach, es wird ja bald vor­bei sein!« hat­te Peg­got­ty – mei­ne näm­lich – ge­sagt, »und au­ßer­dem ist es dir auch nicht un­an­ge­neh­mer als uns.«

      »Ich fühl es mehr«, hat­te Mrs. Gum­mid­ge geant­wor­tet.

      Es war ein kal­ter Tag und der Wind weh­te scharf und hef­tig. Mrs. Gum­mid­ges Ecke am Ofen schi­en mir die wärms­te und ge­müt­lichs­te in der Stu­be zu sein und ihr Stuhl war si­cher­lich der be­quems­te, aber sie be­fand sich heu­te nicht wohl dar­in. Sie jam­mer­te be­stän­dig über die Käl­te, dass es ihr im­mer in den Rücken blie­se, und end­lich ver­goss sie Trä­nen und sag­te wie­der, sie sei ein ar­mes, ver­las­se­nes We­sen, und al­les gin­ge ihr der Que­re.

      »Es ist recht kalt«, be­stä­tig­te Peg­got­ty, »das fühlt ge­wiss je­der.«

      »Ich fühl es mehr als an­de­re Leu­te«, klag­te Mrs. Gum­mid­ge.

      Eben­so war es bei Tisch, wo Mrs. Gum­mid­ge im­mer un­mit­tel­bar nach mir dran kam, weil ich als vor­neh­mer Gast den Vor­zug hat­te. Die Fi­sche wa­ren klein und ma­ger und die Kar­tof­feln ein we­nig an­ge­brannt. Wir ga­ben alle zu, dass das nicht be­son­ders an­ge­nehm sei, aber Mrs. Gum­mid­ge sag­te, sie füh­le es mehr als wir, und wein­te wie­der und gab ihre frü­he­re Er­klä­rung mit großer Bit­ter­keit zum Bes­ten.

      Als Mr. Peg­got­ty ge­gen neun Uhr nach Hau­se kam, strick­te die un­glück­li­che Mrs. Gum­mid­ge in jäm­mer­li­cher Stim­mung in ih­rer Ecke. Peg­got­ty hat­te fröh­lich ihre Ar­beit ge­tan, Ham ein paar wei­ße Was­sers­tie­fel aus­ge­bes­sert, und ich hat­te ih­nen, ne­ben Emly sit­zend, vor­ge­le­sen. Mrs. Gum­mid­ge hat­te nur zu­wei­len ge­seufzt und seit dem Tee die Au­gen nicht auf­ge­schla­gen.

      »Nun, Stüer­lüt«, sag­te Mr. Peg­got­ty und setz­te sich. »Wie geit dat?«

      Wir alle ant­wor­te­ten freund­lich mit Wort und Blick, nur Mrs. Gum­mid­ge schüt­tel­te den Kopf über ih­rem Strick­strumpf.

      »Wo fehlts?« frag­te Mr. Peg­got­ty, »Kopf hoch, Mut­ting!« Mrs. Gum­mid­ge aber schi­en nicht im­stan­de zu sein, sich auf­zu­mun­tern. Sie zog ein al­tes, schwarz­sei­de­nes Ta­schen­tuch her­vor und wisch­te sich die Au­gen, an­statt es je­doch wie­der in die Ta­sche zu ste­cken, be­hielt sie es in der Hand und wisch­te sich noch­mals die Au­gen und leg­te es ne­ben sich, um es im­mer be­reit zu ha­ben.

      »Wo fehlts, Alte?« frag­te Peg­got­ty.

      »Nichts«, ent­geg­ne­te Mrs. Gum­mid­ge. »Du kommst aus dem ›gu­ten Vor­satz‹ – Danl?«

      »Nun, ja, ich mach­te einen Ab­ste­cher heu­te abends in den ›gu­ten Vor­satz‹«, sag­te Mr. Peg­got­ty.

      »Es tut mir leid, dass ich dich im­mer dort­hin trei­be«, sag­te Mrs. Gum­mid­ge.

      »Trei­ben! Bei mir brauchts kein Trei­ben«, er­wi­der­te Peg­got­ty la­chend. »Ich geh nur zu gern hin.«

      »Sehr gern«, sag­te Mrs. Gum­mid­ge, schüt­tel­te den Kopf und wisch­te sich die Au­gen. »Ja, ja, sehr gern. Es tut mir leid, dass ich dran schuld bin.«

      Mr. Peg­got­ty sag­te wei­ter nichts, son­dern bat bloß Mrs. Gum­mid­ge noch ein­mal, den Kopf hoch­zu­hal­ten.

      »Ich bin nicht, wie ich sein möch­te«, sag­te Mrs. Gum­mid­ge. »Ich füh­le mein Un­glück und das macht mich un­an­ge­nehm. Ich woll­te, es wäre an­ders, aber ich füh­le nun ein­mal so. Ich woll­te, ich könnt es ver­ges­sen, aber es geht nicht. Ich ma­che das gan­ze Haus un­ge­müt­lich. Ich habe schon den gan­zen Tag lang dei­ner Schwes­ter das Le­ben sau­er ge­macht und Mas­ter Davy dazu.«

      Ich wur­de so­fort ge­rührt und rief in großem See­len­schmerz ein lau­tes »Nein, si­cher nicht, Mrs. Gum­mid­ge.«

      »Es ist gar nicht recht von mir«, fuhr sie fort, »ich soll­te lie­ber ins Ar­men­haus ge­hen und ster­ben. Wenn mir al­les die Que­re geht und ich al­len der Que­re bin, so will ich auch der Que­re in mei­ne Hei­mat ge­hen. Danl, bes­ser ich gin­ge ins Ar­men­haus und stür­be; dann seid ihr mich los.«

      Mit die­sen Wor­ten be­gab sich Mrs. Gum­mid­ge zu Bett. Als sie fort war, sah uns Mr. Peg­got­ty, der bei je­dem Wort nur die tiefs­te Teil­nah­me ge­zeigt hat­te, der Rei­he nach an, nick­te mit dem Kopf und flüs­ter­te: »Sej hett an ehrn Olen dacht.«

      Ich ver­stand nicht recht, an was für einen Al­ten Mrs. Gum­mid­ge ge­dacht ha­ben soll­te, bis mir Peg­got­ty, als sie mich zu Bett brach­te, er­klär­te, dass es der se­li­ge Mr. Gum­mid­ge wäre, und dass ihr Bru­der es stets bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten als aus­ge­mach­te Wahr­heit an­näh­me und es stets einen rüh­ren­den Ein­druck auf ihn mach­te.

      Noch in der Hän­ge­mat­te hör­te ich ihn zu Ham


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