Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.von Ober- und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des Großkönigs von Persien.
»Wenn Du, meine geliebte Tochter, so lange Zeit ohne Nachrichten aus der Heimath geblieben bist, so war dieß nicht unsere Schuld. Die Triere, welche die für Dich bestimmten Briefe nach Aegae befördern sollte, ist von samischen Kriegsschiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge nennen sollte, aufgehalten und in den Hafen der Astypalaia337 geschleppt worden.
»Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein Fahrzeug ist vor seinen Raubschiffen sicher, seitdem er die Lesbier und Milesier338, welche dem Unwesen entgegenzutreten suchten, auf’s Haupt geschlagen.
»Die Söhne des verstorbenen Pisistratus339 sind seine Freunde. Lygdamis ist ihm verpflichtet und bedarf der samischen Hülfe, um seine Gewaltherrschaft über Naxos aufrecht zu erhalten. Die griechischen Amphiktyonen hat er gewonnen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte Insel Rhenia340 schenkte. Alle seefahrenden Völker leiden von seinen Fünfzigruderern, welche zwanzigtausend Matrosen zur Bemannung bedürfen, den größten Schaden; dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen, denn er ist von trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat seine Burg und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos fast uneinnehmbar befestigt.
»Die Kaufleute, welche dem glücklichen Koläus341 nach Westen folgten, und jene Raubschiffe, die keine Schonung kennen, werden Samos zur reichsten Insel und Polykrates zum mächtigsten Menschen machen, wenn nicht, wie Dein Vater sagt, die Götter das so vollkommene Glück eines Menschen beneiden und ihm einen jähen Untergang bereiten werden.
»Solches befürchtend, rieth Amasis seinem alten Freunde Polykrates, er möge, um die Mißgunst der Götter zu versöhnen, sein Liebstes, dessen Verlust ihn am meisten schmerzen möchte, in solcher Art von sich entfernen, daß er es nie wieder zurück erhalten könne. Polykrates hörte auf diesen Rath Deines Vaters und warf den kostbarsten Siegelring, welchen er besaß, das Werk des Theodorus, einen von zwei Delphinen gehaltenen Sardonix von ungeheurer Größe, in den eine Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunstreich gestochen war, von der Höhe des runden Thurmes seiner Burg in die See342.
»Sechs Tage später fanden seine Köche in dem Leibe eines Fisches jenen Siegelring wieder. Polykrates übersandte uns sogleich die Botschaft von diesem wunderbaren Ereignisse; Dein Vater aber schüttelte, statt sich zu freuen, gramvoll sein greises Haupt und sagte, er sehe wohl, daß man Niemand seinem Geschick entreißen könne. Am nämlichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freundschaft auf und ließ ihm sagen, er wolle sich bemühen, seiner zu vergessen, damit er vor dem Schmerze bewahrt bleibe, einen Menschen, den er liebe, in Unglück gerathen zu sehen.
»Polykrates empfing lachend diese Botschaft und sandte uns die Briefe, welche seine Seeräuber unserer Triere abgenommen hatten, mit einem spöttischen Gruße zurück. Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien befördert werden.
»Fragst Du mich, warum ich Dir diese lange Geschichte, welche Dich weniger als andere Nachrichten aus dem elterlichen Hause angeht, erzählt habe, so antworte ich Dir: ›Um Dich auf den Zustand Deines Vaters vorzubereiten.‹ Erkennst Du den heitern, lebensfrohen, sorglosen Amasis aus jenen düsteren Worten wieder, die er dem samischen Freunde zurief?
»Ach, mein Gatte hat wohl Ursache betrübt zu sein, und die Augen Deiner Mutter wurden seit Deiner Abreise nach Persien niemals trocken. Von dem Krankenlager Deiner Schwester eile ich zu Deinem Vater, um ihn zu trösten und seine Schritte zu leiten.
»Ich benütze die Nacht, um diese Zeilen zu schreiben, obgleich ich wohl des Schlummers bedürfte.
»Hier bin ich von den Wärterinnen, die mich zu Tachot, Deiner Schwester, Deiner wahren Freundin, riefen, unterbrochen worden.
»Wie oft hat die Theure in Fieberphantasieen Deinen Namen ausgerufen, wie sorglich bewahrt sie jenes Wachsbild343 von Dir, dessen wunderbare Aehnlichkeit von der Höhe griechischer Kunst und der Meisterschaft des großen Theodorus zeugt. Morgen wollen wir dasselbe nach Aegina344 schicken, um es in einer dortigen Werkstatt in Gold nachbilden zu lassen. Das zarte Wachs leidet von den heißen Händen und Lippen Deiner Schwester, die das Bildniß so oft berühren.
»Jetzt, meine Tochter, nimm all’ Deinen Muth zusammen, wie auch ich all’ meine Kraft aufbieten will, um Dir in geordneter Reihenfolge zu erzählen, was die Götter über unser Haus verhängt haben.
»Nach Deiner Abreise hörte Tachot drei Tage lang nicht auf zu weinen. All’ unsere tröstenden Worte, alle Ermahnungen Deines Vaters, alle Opfer und Gebete vermochten nicht den Gram des armen Kindes zu lindern oder zu zerstreuen. Am vierten Tage versiegten endlich ihre Thränen. Mit leiser Stimme, scheinbar ergeben, antwortete sie, wenn wir sie fragten; den größten Theil des Tages aber saß sie schweigend bei ihrer Spindel. Die sonst so geschickten Finger zerrissen, wenn sie nicht stundenlang in dem Schooße der Träumerin ruhten, alle Fäden. Sie, die sonst so herzlich über die Scherze Deines Vaters lachen konnte, hörte ihnen nur noch mit gleichgültiger Stumpfheit zu; meinen mütterlichen Ermahnungen lauschte sie in ängstlicher Spannung.
»Wenn ich ihre Stirne küßte und sie bat, sich selbst zu beherrschen, so sprang sie hoch erröthend auf, warf sich an meine Brust, setzte sich wieder an die Spindel und zog die Fäden mit beinahe wilder Hast; nach einer halben Stunde aber lagen die Hände wiederum unthätig in ihrem Schooße, waren ihre Augen von neuem träumerisch auf einen Punkt in der Luft oder an der Erde gerichtet. Wenn wir sie zwangen, an einem Feste theilzunehmen, so wandelte sie unter den Gästen theilnahmlos umher.
»Als wir sie zu der großen Wallfahrt nach Bubastis mitnahmen, bei welcher das ägyptische Volk seines Ernstes und seiner Würde vergißt, und der Nil mit seinen Ufern einer großen Bühne gleicht, auf welcher trunkene Chöre zur höchsten Ausgelassenheit fortreißende Satyrspiele aufführen, als sie zu Bubastis345 zum Erstenmale in ihrem Leben ein ganzes Volk, das sich in taumelnder Lust und ausgelassenen Scherzen tummelt, erblickte, erwachte sie aus ihrem stummen Brüten und fing, wie in den ersten Tagen nach Deiner Abreise, von neuem an Thränen zu vergießen.
»Traurig, beinahe rathlos brachten wir die Arme nach Sais zurück.
»Ihr Aussehen glich dem einer Gottheit. Sie war schmächtiger geworden, aber wie wir Alle bemerkt zu haben glaubten, gewachsen; die Farbe ihrer Haut schimmerte in einer fast durchsichtigen Weiße, und ihre Wangen zierte ein leiser Anhauch, den ich nur mit der Farbe eines jungen Rosenblattes oder den ersten Grüßen der Morgenröthe vergleichen kann. Ihr Auge glänzt heute noch wunderbar schön und hell. Es scheint mir immer, als wenn diese Blicke mehr erschauten, als das, was sich auf der Erde und am Himmel bewegt. Ich meine, diese Blicke müssen über das Geschaffene hinaus in ferne Welten schauen.
»Weil ihre Hände und ihre Stirn immer heißer wurden und manchmal ein leises Frösteln ihre zarten Glieder durchschauerte, ließen wir Imhotep, den berühmtesten Arzt für innere Krankheiten, aus Theben nach Sais kommen.
»Der erfahrene Priester schüttelte den Kopf, als er Deine Schwester erblickte, und prophezeite, daß sie einer schweren Krankheit entgegeneile. Von nun an durfte sie nicht mehr spinnen und nur wenig sprechen. Sie mußte allerlei Tränke einnehmen, man besprach und beschwor ihr Leiden346, die Sterne und Orakel wurden befragt, den Göttern reiche Opfer und Geschenke dargebracht. Die Hathorpriester von der Insel Philae übersandten