Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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nicht?“ entgegnete Brownlow lächelnd.

      In seinem Freunde regte sich der Widerspruchsgeist gerade mit besonderer Lebhaftigkeit, und Brownlow’s Lächeln verstärkte ihn noch. „Nein,“ erwiderte er mit grosser Bestimmtheit. „Er steckt in einem nagelneuen Anzuge, hat ein Packet werthvoller Bücher unter dem Arme und eine Fünfpfundnote in der Tasche; er wird sich sofort wieder zu seinen alten Spiessgesellen begeben und Sie auslachen. Ich will meinen Kopf essen, wenn er sich jemals wieder hier blicken lässt.“

      Er rückte näher an den Tisch, und Beide sassen in stummer Erwartung da. Es ist der Bemerkung werth, und setzt die Bedeutung in das Licht, welche wir unsern eigenen Urtheilen beilegen, und den Stolz, mit welchem wir uns auf unsere übereiltesten Schlüsse verlassen, dass Grimwig, obgleich er kein schlechtes Herz hatte, obgleich es ihn wirklich betrübt haben würde, wenn er seinen geschätzten Freund betrogen gesehen, im Augenblick eben so lebhaft wünschte als hoffte, Oliver möchte nicht wiederkommen. Aus solchen Widersprüchen ist die menschliche Natur zusammengesetzt!

      Es wurde so dunkel, dass die Zahlen auf dem Zifferblatte der Uhr nicht mehr zu erkennen waren; allein die beiden alten Herren sassen forwährend da, und hefteten schweigend die Blicke auf die Uhr.

      Fünfzehntes Kapitel.

      Was Oliver auf dem Wege zum Bücherhändler begegnete.

      Oliver’s Rückkehr wurde beiden Herren immer zweifelhafter, zu Grimwig’s Triumph und Brownlow’s tiefer Betrübniss. Ich hatte nun hier in meinem Epos in Prosa die kostbarste Veranlassung, die Leser mit vielen weisen Betrachtungen über die offenbare Unklugheit zu unterhalten, seinen Mitmenschen Gutes zu erweisen ohne Aussicht auf irdischen Lohn, oder vielmehr darüber, wie sehr es die Klugheit erfordere, in einem besonders hoffnungslosen Falle einige Liebe und Menschenfreundlichkeit an den Tag zu legen, und sodann dergleichen Schwachheiten für immer abzulegen. Die Vortheile liegen auf der Hand. Hält sich Der, dem ihr unter die Arme gegriffen, gut, und dient ihm euer geleisteter Beistand zum Wohlergehen, so erhebt er euch bis in den Himmel, ihr werdet sehr geachtete Leute, und gelangt in den Ruf, unendlich viel Gutes im Verborgenen zu thun, wovon nur der zwanzigste Theil bekannt werde; zeigt er sich als ein Undankbarer und Nichtswürdiger, so habt ihr euch in die vortreffliche Stellung gebracht, dass man euch nachsagt, ihr hättet euch höchst uneigennützig, mildthätig und dienstfertig erwiesen, wäret nur durch erfahrenen Undank und Verrath menschenfeindlich geworden, und man könne euch euer Gelübde nicht verdenken, nie wieder einem Menschenkinde beizuspringen, um nicht durch abermalige Täuschungen verletzt zu werden. Ich kenne eine Menge Personen, welche die angegebene Klugheitsregel befolgt haben, und kann versichern, dass sie in der allgemeinsten und natürlich verdientesten Achtung stehen.

      Brownlow gehörte indess zu ihrer Zahl nicht, denn er blieb hartnäckig dabei, Gutes zu thun um des Guten selbst und um der Herzensberuhigung und Freude willen, die es ihm gewährte. Täuschungen raubten ihm sein Vertrauen und seine Milde und seine Menschenfreundlichkeit nicht, und Undankbarkeit von Seiten Einzelner führte ihn nicht zu dem Entschlusse, sich dafür an der ganzen leidenden Menschheit zu rächen. Ich werde daher die fraglichen vielen weisen Betrachtungen unangestellt lassen; und sollte dieser Grund ungenügend erscheinen, so kann ich noch hinzufügen, dass es obenein gänzlich ausser meiner ursprünglichen Absicht liegt.

      Im finsteren Gastzimmer einer kläglichen Winkelschenke, gelegen in der schmutzigsten Gasse von Little Saffron Hill, sass bei einem Bierkruge und Branntweinglase ein Mann, in welchem trotz dem herrschenden Halbdunkel kein irgend erfahrener Polizeiagent Bill Sikes verkannt haben würde. Zu seinen Füssen lag sein weisser, rothäugiger Hund, und sei es, dass Bill seine Zeit nicht besser anzuwenden wusste, oder dass er seine üble Laune an irgend einem Gegenstande auszulassen wünschte, genug, er versetzte dem Thiere einen derben Fusstritt. Dem Hunde missfiel der offenbare Muthwille dieser Behandlung so sehr, dass er nach seines Herrn Beine schnappte, Bill ergriff wüthend das Schüreisen und sein Messer, als die Thür sich aufthat und der Hund hinausschoss. Zu einem Streite gehören dem Sprichworte gemäss Zwei, und Bill setzte daher den einmal begonnenen sogleich mit dem Eintretenden fort.

      „Verdammter Jude, was trittst du zwischen mich und meinen Hund?“ schrie er ihm entgegen.

      „Ich wusst’s ja nicht, mein Lieber, wusst’s ja nicht, dass Ihr wolltet dem Hunde zu Leibe,“ erwiderte Fagin demüthig.

      „Spitzbube, hast du den Lärm nicht gehört?“

      „So wahr mir Gott gnädig ist, nein, Bill, nicht ’nen einzigen Laut.“

      „Ja freilich, du hörst nichts, gar nichts,“ entgegnete Sikes höhnisch; „ebenso wie du selbst ein- und ausschleichst, ohne dass man dich hört. Ich wollte nur, dass du jetzt der Hund wärst.“

      „Warum denn?“ fragte Fagin mit einem erzwungenen Lächeln.

      „Weil die Regierung, die das Leben solcher Halunken schützt, wie du einer bist, und die nicht halb so viel Muth haben, als die schlechtesten Hunde, Jedermann erlaubt, seinen Hund abzuschlachten, wenn’s ihm beliebt — darum!“ erwiderte Sikes, sein Messer mit einem sehr bedeutungsvollen Blicke wieder einsteckend.

      Der Jude rieb sich die Hände, setzte sich an den Tisch, und zwang sich, über die Spasshaftigkeit des Freundes zu lachen, war jedoch offenbar nicht eben guten Muthes dabei.

      „Greine nur, ja greine nur,“ sagte Sikes, ihn mit verächtlichem Trotze anblickend; „über mich sollst du doch nicht lachen, es müsste denn unter der Nachtmütze sein am Galgen. Ich habe die Hand oben, Fagin, und will verdammt sein, wenn ich dir den Daum nicht auf’m Auge halte. Baumele ich, baumelst du auch; also hüte dich vor mir und trag’ hübsch Sorge für mich.“

      „Schon gut, mein Lieber,“ fiel der Jude ein; „ich weiss das Alles; Gewinn und Gefahr ist gemeinschaftlich bei uns.“

      „Hm!“ murrte Sikes, als wenn er dächte, der Gewinn möchte wol zumeist auf des Juden Seite sein. „Was hast du mir denn aber zu sagen?“

      „’S ist Alles in den Schmelztiegel gewandert und glücklich wieder heraus — da ist Euer Antheil. Ihr erhaltet eigentlich mehr, als Ihr solltet, mein Lieber; doch da ich weiss, dass Ihr mir schon ’mal wieder sein werdet gefällig, und —“

      „Halt ein mit dem Schwätzen,“ unterbrach ihn Sikes ungeduldig. „Wo ist’s? Her damit!“

      „Ja, ja doch, Bill; gönnt mir nur Zeit. Da ist’s,“ versetzte Fagin, zog ein altes baumwollenes Taschentuch, hervor, knöpfte einen Knoten auf, und reichte Sikes ein Päckchen, der es öffnete und die Goldstücke hastig zu zählen anfing.

      „Ist das Alles?“ fragte Sikes.

      „Ja, Alles.“

      „Hast du auch das Päckchen nicht aufgemacht auf dem Wege und ein paar Stück verschluckt? Stell’ dich nur nicht beleidigt — hast’s ja schon oft gethan. Greif’ an Bimbam.“

      Fagin klingelte, und es erschien ein anderer Jude, der jünger war, aber nicht weniger zurücksossend und spitzbübisch aussah. Sikes wies stumm nach dem leeren Kruge hin, Jener verstand den Wink und ging wieder hinaus, jedoch nicht ohne Fagin vorher einen Blick zugeworfen zu haben, den dieser durch ein kaum bemerkbares Kopfschütteln beantwortete. Sikes hatte sich zufällig gebückt; hätte er den Blick des einen und das Kopfschütteln des andern Juden gewahrt, so möchte er der Meinung gewesen sein, dass ihm diese Pantomimen nichts Gutes bedeuteten.

      „Ist Niemand hier, Barney?“ fragte Fagin den wieder eintretenden Juden.

      „Blos Miss Nancy.“

      „Schick sie herein,“ sagte Sikes.

      Barney blickte Fagin fragend an, ging und kehrte gleich darauf mit Nancy zurück.

      „Du bist auf der Spur, Nancy, nicht wahr, mein Engel?“ fragte Bill, und reichte ihr ein gefülltes Glas.

      „Ja, Bill,“ erwiderte die junge Dame, nachdem sie das Glas geleert hatte; „hab’ aber Mühe genug gehabt. Er ist krank gewesen, und —“

      Nancy bemerkte ein Augenzwinkern Fagin’s, das eine Warnung


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