Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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Bill,“ fiel der Jude dringend und nach dem mit gespanntem Ohr zuhörenden Knaben hindeutend ein; „wir müssen freundliche Worte gebrauchen, freundliche Worte, Bill.“

      „Freundliche Worte!“ schrie das in seiner Wuth schrecklich aussehende Mädchen; „freundliche Worte, Ihr Schuft? Ja, die verdient Ihr auch von mir! Ich habe gestohlen für Euch, als ich noch nicht halb so alt war, als dies Kind hier, und bin im selbigen. Geschäft und im selbigen Dienst seit zwölf Jahren gewesen; wisst Ihr das nicht? Sprecht, wisst Ihr es nicht?“

      „Ja, ja doch,“ erwiderte der Jude besänftigend; „du hast ja aber auch davon dein Brod.“

      „Freilich, ich habe mein Bettelbrod davon,“ schrie sie immer heftiger, „und die kalten, nassen, schmutzigen Strassen sind meine Wohnung; und Ihr seid der ruchlose Mann, der mich Tag und Nacht hinaustreibt, und mich Tag und Nacht hinaustreiben wird, bis ich im Grabe liege.“

      Die Galle des Juden wurde erregt, er drohete ihr, sie zerraufte ihr Haar, stürzte auf ihn zu, und auf seinem Gesichte würden ohne Zweifel sichtliche Spuren ihrer Rache zurückgeblieben sein, hätte nicht Sikes eben noch zur rechten Zeit ihre Arme festgehalten. Sie bemühete sich vergeblich, sich von ihm loszureissen, und sank in Ohnmacht. Sikes legte sie auf eine Art Lager nieder, und bemerkte ruhig, es sei nun Alles gut, da sie im Zorn grosse Armstärke besässe. Der Jude wischte sich die Stirn und lächelte; und sowol er, als Sikes und die Knaben schienen den ganzen Vorfall als einen gewöhnlichen, im Geschäft häufig vorkommenden zu betrachten.

      „Nicht wahr, Fagin, er soll morgen seine besten Kleider nicht tragen?“ fragte Charley Bates greinend, und der Jude verneinte, Charley’s liebliches Greinen erwidernd. Master Bates schien sich seines Auftrags höchlich zu freuen, führte Oliver in das anstossende Gemach, in welchem einige Betten der Art standen, wie er sie bereits kennen gelernt, und zog mit unbezwinglichem Gelächter die alten Kleidungsstücke hervor, die sich Oliver so viel Glück gewünscht, ablegen zu dürfen, und die Fagin auf die erste Spur seines Aufenthalts bei Mr. Brownlow gebracht hatten.

      „Zieh’ die Sonntägischen aus,“ sagte. Charley, „ich will sie Fagin zum Aufheben geben. Welch’ ein prächtiger Spass!“

      Der arme Oliver gehorchte widerstrebend, und wurde darauf von Charley im Dunkeln gelassen und eingeschlossen. Master Bates’ Gelächter und die Stimme Betsy’s, die nach einiger Zeit erschien und ihre Freundin zum Bewusstsein zurückzurufen sich bemühete, wären gar wohl geeignet gewesen, ihn unter anderen Umständen wach zu erhalten; allein er war erschöpft und unwohl, und schlief daher bald ein.

      Siebenzehntes Kapitel.

      Oliver’s Schicksal bleibt fortwährend ungünstig.

      In jedem guten, mörderischen Melodrama auf der Bühne wechseln komische und tragische Scenen so regelmässig, wie die rothen und weissen Lagen einer Speckseite. Diese Abwechselungen erscheinen uns abgeschmackt, sind indess keineswegs unnatürlich. Die Uebergänge im wirklichen Leben von wohlbesetzten Tischen zu Sterbebetten, oder von Trauer- zu Festtagskleidern, sind nicht minder schroff oder Gefühl verletzend — wir aber sind beschäftigte Mitspielende, statt bloser Zuschauer, was einen unermesslichen Unterschied bildet; den Schauspielern sind die plötzlichen Uebergänge nicht auffällig, sie haben, so zu sagen, keine Augen für dieselben, die von den Zuschauern verkehrt, unnatürlich, extravagant genannt werden. Verdamme mich daher nicht zu voreilig, geneigter Leser, wenn du in meinem Buche einen häufigen Wechsel des Schauplatzes und der Scenen findest, sondern erzeige mir die Gunst, zu prüfen, ob ich Recht oder Unrecht dabei gehabt habe. Meine Erzählung soll meiner Absicht nach wahr sein, und ohne unnöthige Abschweifungen auf ihr Ziel lossteuern. Ich bitte, folge mir für jetzt vertrauensvoll nach der Stadt, in welcher mein kleiner Held das Licht der Welt erblickte.

      Mr. Bumble trat eines Morgens früh aus dem Armenhause mit der wichtigsten Miene heraus, und durchschritt die Strassen mit einer Haltung und einem Wesen, dass man es ihm sogleich ansah, sein Inneres war von Gedanken erfüllt, zu gross, um sie aussprechen zu können. Er begab sich hinaus zu Frau Mann, die ihn verwünschte, als sie ihn erblickte, und ihn, sobald er eingetreten war, bekümmert fragte, weshalb er sich denn so lange nicht habe sehen lassen. Bumble händigte ihr das Kostgeld vom letzten Vierteljahre ein, und kündigte ihr an, dass er in einer Postkutsche nach London reisen werde, um zwei Arme nach der Hauptstadt zu schaffen, und im Auftrage des Directoriums in den Gerichtssitzungen von Clerkenwell aufzutreten. Frau Mann war erstaunt, und er erläuterte daher, die Kranken würden freilich in der Regel auf offenen Karren fortgeschafft, damit sie ich nicht in den bedeckten, der Zugluft ausgesetzten Wagen um so leichter erkälteten; allein der Besitzer der einen der beiden wetteifernden Postkutschen nähme die jetzt Fortzuschaffenden um ein sehr Billiges mit, sie kämen schnell vorwärts, und so würde ihr Transport dem Kirchspiel weniger kosten, als ihr Begräbniss, das, wie zu fürchten sei, von selbigen bezahlt werden müsse, wenn man sie nicht vor ihrem Verscheiden einem anderen Kirchspiele überweisen könne. Der würdige Kirchspieldiener erkundigte sich darauf nach den Zöglingen Frau Mann’s überhaupt, und nach dem kleinen kranken Dick insbesondere. Zustand und Befinden der ersteren waren sehr befriedigend, wie Frau Mann versicherte, und Dick wurde geholt. Bumble fragte ihn rauh genug, wie es ihm ginge.

      „Ich glaube, dass ich bald sterben muss,“ erwiderte der kleine Patient, „und ich freue mich auch recht darauf, denn ich habe ja keine Freude hier. Sagen Sie doch Oliver Twist, wenn ich erst todt bin, ich hätte ihn sehr lieb gehabt, und tausend Mal an ihn gedacht, wie er allein und hilflos umherwandern müsste —“

      Er hatte die Worte mit einer Art von Verzweiflung gesprochen, ohne sich durch Frau Mann’s pantomimische Drohungen irren zu lassen; doch erstickten endlich Thränen seine Stimme.

      „Frau Mann,“ bemerkte Bumble, „ich sehe wohl, der Eine ist wie der Andere. Sie sind sammt und sonders durch den Taugenichts Oliver Twist verführt und verdorben. Ich werde dem Directorium Anzeige von dem Falle machen, damit strengere Massregeln angeordnet werden. Lassen Sie ihn sogleich wieder hinausbringen!“

      Dick wurde in den Kohlenkeller gebracht, und Bumble begab sich wieder zur Stadt zurück, wo er sich in kürzester Frist reisefertig machte, und mit den beiden nach London zu schaffenden Armen die bestellten Aussenplätze der Postkutsche einnahm. Die beiden Armen klagten viel über Kälte; Bumble hüllte sich dicht in seinen Mantel, philosophirte ziemlich missvergnügt über den Undank und die unablässigen unzufriedenen Klagen der Menschen, und fühlte sich erst wieder recht behaglich, als er in dem Gasthause, in welchem die Kutsche anhielt, sein gutes Abendessen eingenommen, seinen Stuhl an den Kamin gestellt hatte, sich niederliess und ein Zeitungsblatt zur Hand nahm. Wer beschreibt sein Erstaunen, als er gleich darauf nachstehenden Artikel fand.

      „Fünf Guineen Belohnung.

      Am vergangenen Donnerstag Abend hat sich ein Knabe, Namens Oliver Twist, aus seiner Wohnung in Pentonville entfernt, und mit oder ohne seine Schuld nichts wieder von sich hören lassen. Es werden hierdurch Demjenigen fünf Guineen geboten, der eine Mittheilung zu machen geneigt und im Stande ist, die zur Wiederauffindung des besagten Oliver Twist führen kann, oder über denselben, seine Herkunft u. s. w. genauere Auskunft gibt.“

      Diesem Anerbieten folgte eine genaue Beschreibung Oliver’s und Mr. Brownlow’s Adresse. Bumble las drei Mal mit grossem Bedacht, fasste darauf rasch seinen Entschluss, und war nach wenigen Minuten auf dem Wege nach Pentonville. Im Hause Mr. Brownlow’s angelangt, kündigte er sogleich den Zweck seines Besuchs an. Frau Bedwin war ausser sich vor Freude und Rührung, erklärte, es immer gewusst und gesagt zu haben, dass Oliver bald wiedergefunden werden würde, brach in Thränen aus, und die Magd eilte zu Mr. Brownlow hinauf, der ihr gebot, den Angemeldeten augenblicklich hereinzuführen.

      Bumble trat ein, und Mr. Grimwig, der sich zufällig bei seinem Freunde befand, fasste ihn scharf in das Auge und rief aus:

      „Ein Kirchspieldiener — so wahr ich lebe, ein Kirchspieldiener!“

      „Ich bitte, Liebster, jetzt keine Unterbrechung,“ sagte Brownlow. „Setzen Sie sich, Sir. — Sie kommen zu mir auf Veranlassung dessen, was ich in die Blätter habe einrücken lassen?“

      „Ja, Sir.“


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