Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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Sie, wo sich das arme Kind gegenwärtig befindet?“ fragte Brownlow ziemlich ungeduldig.

      „Nein, Sir.“

      „Was wissen Sie denn aber von ihm? Reden Sie, wenn Sie etwas zu sagen haben. Was wissen Sie von ihm?“

      „Sie werden wol eben nicht viel Gutes von ihm wissen?“ fiel Grimwig kaustisch ein, nachdem er Bumble’s Mienen sorgfältig geprüft hatte.

      Bumble erkannte sogleich mit grossem Scharfsinne den Wunsch des Herrn, Ungünstiges über Oliver zu vernehmen, und antwortete durch ein feierlich-bedenkliches Kopfschütteln.

      „Sehen Sie wol?“ sagte Grimwig zu Brownlow mit einem triumphirenden Blicke.

      Brownlow sah Bumble besorglich an, und forderte ihn auf, was er von Oliver wüsste, in möglichst kurzen Worten mitzutheilen. Bumble räusperte sich und begann. Er sprach mit umständlicher Weitschweifigkeit; der kurze Sinn von Allem, was er vorbrachte, war, Oliver sei ein armer Kirchspielknabe von armen und lasterhaften Eltern, habe von seiner Geburt an nur Falschheit, Bosheit und Undankbarkeit gezeigt, und seiner Gottlosigkeit dadurch die Krone aufgesetzt, dass er einen mörderischen und feigherzigen Angriff auf einen harmlosen Knaben gemacht, und darauf seinem Lehrherrn entlaufen sei.

      „Ich fürchte, dass Ihre Angaben nur zu wahr sind,“ sagte Brownlow traurig; „hier sind die fünf Guineen. Ich würde Ihnen gern drei Mal so viel gegeben haben, wenn Sie mir etwas Vortheilhafteres über den Knaben hätten sagen können.“

      Hätte Brownlow das früher gesagt, so würde Bumble seinem Berichte wahrscheinlich eine ganz andere Färbung gegeben haben. Es war jedoch zu spät, er schüttelte daher mit bedeutsamer Miene den Kopf, steckte die fünf Guineen ein, und ging.

      Mr. Brownlow war so niedergeschlagen, dass selbst Grimwig ihn nicht noch mehr betrüben mochte. Er zog endlich heftig die Klingelschnur. „Frau Bedwin,“ sagte er, als die Haushälterin eintrat, „der Knabe, der Oliver, war ein Betrüger.“

      „Das kann nicht sein, Sir; kann nicht sein,“ entgegnete Frau Bedwin nachdrücklich.

      „Ich sage Ihnen aber, dass es so ist. Wir haben so eben einen genauen Bericht über ihn angehört. Er ist von seiner ersten Kindheit an durch und durch verderbt gewesen.“

      „Und ich glaube es doch nicht, Sir — nimmermehr, Sir,“ erwiderte Frau Bedwin bestimmt.

      „Ihr alten Weiber glaubt an nichts, als an Quacksalber und Lügengeschichten,“ fiel Grimwig mürrisch ein. „Ich hab’s von Anfang an gewusst. Warum hörten Sie nicht sogleich auf meine Meinung und meinen Rath; und Sie würden es gethan haben, wenn der kleine Schelm nicht am Fieber krank gelegen hätte!“

      „Er war kein Schelm,“ entgegnete Frau Bedwin sehr unwillig, „sondern ein sehr liebes, gutes Kind. Ich verstehe mich auf Kinder sehr wohl, Sir, seit vierzehn Jahren, Sir; und wer nie Kinder gehabt hat, darf gar nicht mitreden über sie — das ist meine Meinung, Sir!“

      Mr. Grimwig lächelte nur, und Frau Bedwin war im Begriff, fortzufahren, allein Brownlow kam ihr zuvor.

      „Schweigen Sie!“ sagte er mit einer Entrüstung in Ton und Mienen, die freilich seinen Gefühlen vollkommen fremd war. „Sie erwähnen des Knaben nie wieder; ich habe geklingelt, um Ihnen das zu sagen. Hören Sie — nie — niemals, und unter keinerlei Vorwande. Sie können gehen — und wohl zu merken, ich habe im Ernst gesprochen!“

      In Mr. Brownlow’s Hause waren betrübte Herzen an diesem Abende, und Oliver zagte das Herz gleichfalls, als er seiner gütigen Beschützer und Freunde gedachte. Es war indess gut für ihn, dass er nicht wusste, was sie über ihn gehört; er hätte die Nacht vielleicht nicht überlebt.

      Achtzehntes Kapitel.

      Wie Oliver seine Zeit hinbrachte in der sittenverbessernden Gesellschaft seiner achtungswürdigen Freunde.

      Als am folgenden Morgen der Baldoberer und Charley Bates zu ihren gewöhnlichen Geschäften ausgegangen waren, benutzte Mr. Fagin die Gelegenheit, Oliver einen langen Sermon über die schreiende Sünde der Undankbarkeit zu halten, deren er sich, wie ihm Fagin klärlich darthat, in einem sehr hohen Masse schuldig gemacht, indem er sich absichtlich von seinen liebevollen und treuen Freunden entfernt, ja sogar ihnen zu entfliehen versucht habe, nachdem sie so viele Mühe und Kosten aufgewendet hätten, ihn wieder zu sich zurückzubringen. Der alte Herr legte grosses Gewicht auf den Umstand, dass er Oliver zu sich genommen und verpflegt habe, als derselbe in Gefahr gewesen wäre, Hungers zu sterben, und erzählte ihm die ergreifende und schreckliche Geschichte eines jungen Burschen, dem er unter ähnlichen Umständen aus gewohnter Menschenfreundlichkeit seinen Beistand habe angedeihen lassen, der sich aber des ihm erwiesenen Vertrauens unwürdig gezeigt, sich mit der Polizei in Rapport zu setzen versucht habe und im Old-Balley-Gerichtshofe verurtheilt, und gehangen sei. Der alte Herr bemühete sich durchaus nicht, seinen Antheil an der Katastrophe zu verheimlichen, sondern beklagte es mit Thränen in den Augen, dass es durch die Verkehrtheit und Verrätherei des jungen Burschen nöthig geworden, ihn als ein Opfer fallen zu lassen, und demnach mit Zeugnissen gegen ihn aufzutreten, die, wenn auch nicht vollkommen in der Wahrheit begründet, doch unumgänglich gewesen waren, wenn seine (Fagin’s) und einiger erlesenen Freunde Sicherheit nicht hatte gefährdet werden sollen. Der alte Herr schloss damit, dass er ein sehr unerfreuliches Gemälde von den Unannehmlichkeiten des Gehenktwerdens entwarf, und mit grosser Freundschaftlichkeit und Höflichkeit die Hoffnung ausdrückte, niemals genöthigt zu werden, Oliver Twist einer so widerwärtigen Operation zu unterwerfen.

      Dem kleinen Oliver erstarrte das Blut in den Adern, während er den Worten des Juden zuhörte. Die darin enthaltenen dunklen Drohungen waren ihm nicht ganz unverständlich. Er wusste bereits, dass die Gerechtigkeit selbst den Unschuldigen für schuldig halten konnte, wenn er sich mit dem Schuldigen in Gemeinschaft befunden; und dass tief angelegte Plane, unbequeme Mitwisser oder zum Schwatzen Geneigte zu verderben, von dem alten Juden wirklich geschmiedet und ausgeführt wären, däuchte ihm keineswegs unwahrscheinlich, als er sich des Streits entsann, den Fagin mit Sikes gehabt. Als er furchtsam die Augen aufschlug, und seine Blicke den Blicken des Juden begegneten, fühlte er, dass seine Blässe und sein Zittern dem schlauen Bösewicht nicht entgangen waren, und dass sich derselbe innerlich darüber freuete.

      Der Jude lächelte greulich, klopfte Oliver die Wangen, und sagte ihm, wenn er sich ruhig verhielte und sich des Geschäfts annähme, so würden sie sicher noch sehr gute Freunde werden. Er griff darauf zum Hute, zog einen alten geflickten Oberrock an, ging hinaus und verschloss die Thür hinter sich.

      So blieb sich Oliver während des ganzen Tages und während noch vieler nachfolgender Tage vom frühen Morgen bis Mitternacht selbst überlassen, und die langen Stunden vergingen ihm gar traurig, denn er gedachte natürlich fortwährend seiner gütigen Freunde in Pentonville und der Meinung, welche sie von ihm gefasst haben müssten. Am siebenten oder achten Tage liess der Jude die Thür des Zimmers unverschlossen, und Oliver durfte frei in Hause umhergehen. — Das ganze Haus war äusserst schmutzig und öde; die Zimmer im oberen Stockwerke waren ohne Mobilien, geschwärzt und mit Spinngewebe überdeckt; indess schloss Oliver aus dem Täfelwerke und den Resten alter Tapeten und anderer Verzierungen, dass sie vor langer Zeit von reichen Leuten bewohnt gewesen sein müssten, so kläglich sie auch jetzt aussahen. Oft, wenn er leise in ein Zimmer eintrat, liefen die Mäuse erschreckt in ihre Löcher zurück; sonst aber sah oder hörte er kein lebendiges Wesen, und manches Mal, wenn er es müde war, aus einem Gemach in das andere zu wandern, schmiegte er sich in den Winkel der Flur an der Hausthür, um Menschen so nahe als möglich zu sein, und erwartete horchend und mit Beben die Rückkehr des Juden oder der Knaben.

      In allen Zimmern waren die Fensterläden fest mit Schrauben verwahrt, und liessen nur wenig Licht durch kleine runde Löcher ein, was die Zimmer noch düsterer machte und sie mit seltsamen Schattengestalten füllte. Ein hinteres Dachstübchen hatte ein mit starken Stäben verwahrtes Fenster ohne Läden. Oliver schaute Stunden lang traurig Hinaus, obwol er nichts sehen konnte, als eine verworrene, gedrängte Masse von Hausdächern, geschwärzten Schornsteinen und Giebeln. Bisweilen zeigte sich auf ein paar Augenblicke in der Dachluke eines fernen Hauses ein nur undeutlich zu erkennendes Gesicht;


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