Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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Weg habe. Sie entfernten sich daher mit einander. Der Hund folgte in einiger Entfernung. Fagin sah Sikes durch das Fenster nach, schüttelte die geballte Faust hinter ihm, murmelte eine grimmige Verwünschung, setzte sich mit einem schauerlichen Greinen wieder an den Tisch, und war bald darauf in das Londoner Polizeiblatt vertieft.

      Oliver befand sich unterdess auf dem Wege zum Bücherhändler, ohne zu ahnen, dass er dem lustigen alten Juden so nahe wäre. Er gerieth in eine Nebengasse unweit Clerkenwall, bemerkte seinen Irrthum erst, als er sie bereits über die Hälfte durchwandert hatte, und hielt es für das Beste, um keine Zeit zu verlieren, ihr zu folgen, da sie ihn, wie er meinte, auch an sein Ziel führen müsse. Er trabte munter vorwärts, und dachte an sein Glück, und was er darum geben würde, wenn er den armen kleinen Dick daran Theil nehmen lassen könnte, als er durch den lauten Ruf: „O mein lieber kleiner Bruder!“ aus seinen Träumereien aufgeschreckt wurde. Als er aufblickte, umschlossen ihn schon die Arme eines Frauenzimmers. Er sträubte sich und suchte sich loszumachen, allein das Frauenzimmer hielt ihn nur um so fester, und rief und frohlockte laut:

      „O gütiger Himmel! Endlich hab’ ich dich gefunden. Ach, Oliver, o du böser Junge, was hab’ ich um deinetwillen ausgestanden! Gott sei Dank, dass ich dich endlich gefunden habe!“

      Das junge Frauenzimmer brach in eine Thränenflut aus, und schien so heftige Krämpfe zu bekommen, dass ein paar mitleidige Frauen einen dastehenden Fleischerburschen fragten, ob er nicht meinte, dass er zu einem Doctor laufen müsse, worauf der Fleischerbursche, der eine sehr grosse Ruhe, wo nicht ein beträchtliches Phlegma zu besitzen schien, erwiderte, dass seine Meinung nicht dahin ginge.

      „Nein, nein, lasst mich nur,“ rief jetzt auch das junge Frauenzimmer mit dem Körbchen und Hausschlüssel; „ich fühle mich schon besser. Und nun komm, mein Junge, geh’ sogleich mit mir, mein böser kleiner Liebling.“

      „Was gibt’s denn?“ fragte eine der umstehenden Frauen.

      ,,Ach, er ist vor vier Wochen seinen Eltern entlaufen, guten Leuten, die sich redlich von ihrer Hände Arbeit nähren, und hat sich unter Gauner und Landstreicher begeben, dass seine Mutter fast vor Kummer gestorben wäre.“

      „O du kleiner Bösewicht! — Mach’, dass du nach Hause kömmst, du ungerathene Creatur!“ riefen die Weiber.

      „Ich bin meinen Eltern nicht entlaufen!“ rief Oliver in grosser Angst. „Ich habe weder Schwester, noch Eltern. Ich wohne in Pentonville.“

      „Ach du gütiger Himmel, wie trotzig er schon geworden ist!“ schluchzte das junge Frauenzimmer.

      „Ei, Nancy!“ rief Oliver, der jetzt erst ihr Gesicht sah, im höchsten Erstaunen aus.

      „Seht ihr wol, dass er mich kennt,“ sagte Nancy. „Helft mir ihn nach Hause bringen, lieben Leute; seine Eltern und wir Alle sterben sonst noch vor Kummer über ihn.“

      „Zu allen Teufeln, was ist das hier?“ schrie ein aus einem Bierladen hervorstürzender Mann. „Oliver, Satansbrut, komm augenblicklich mit nach Hause!“

      Er fasste Oliver beim Kragen; der Knabe rief und jammerte nach Hilfe.

      „Hilfe!“ polterte Sikes. „Ich will dir gleich helfen. Was sind das für Bücher? Ohne Zweifel gestohlen — her damit!“

      Er entriss ihm das Päckchen, und versetzte ihm damit einen heftigen Schlag auf den Kopf.

      „So ist’s schön — das wird ihm den Trotzkopf schon zurecht setzen,“ riefen die Weiber.

      „Sollt’s auch meinen,“ sagte Sikes, wiederholte die Schläge, forderte Oliver auf, sofort ohne Sträuben mitzugehen, und machte ihn auf den bissigen Hund an seinen Fersen aufmerksam.

      Noch schwach von seiner Krankheit, betäubt durch die Schläge und das Ueberraschende des ganzen Vorgangs, in Schrecken gesetzt durch das Knurren des Hundes und die Brutalität des baumstarken Mannes, und überwältigt durch den Beifall, den die Umstehenden seinen Angreifern gaben — was konnte das geängstete Kind thun? Es war dunkel geworden, die Gasse sah an sich selbst schon verdächtig aus, Hilfe war nirgends zu erblicken, Widerstand nutzlos. Ohne recht zu wissen, wie ihm geschah; fühlte sich Oliver durch ein Labyrinth von engen Strassen geschleppt, und sein jeweiliges Rufen verhalte um so mehr, da er so schnell fortgerissen wurde, dass er keinen Augenblick zu Athem kommen konnte; doch würde es auch von Niemand beachtet worden sein.

      —————

      Die Gaslampen waren angezündet: Frau Bedwin erwartete mit Herzpochender Ungeduld, dass die Hausthür sich aufthun würde; die Magd war zwanzig Mal die Strasse hinuntergelaufen, um nach Oliver auszusehen; die beiden alten Herren sassen beharrlich im Dunkeln neben der zwischen ihnen liegenden Uhr.

      Sechzehntes Kapitel.

      Was sich mit dem entführten Oliver begab.

      Es wurde immer finsterer, der Nebel immer dichter, und bald fing es auch an zu regnen. Nancy vermochte selbst kaum Schritt zu halten mit Sikes, der Oliver halb trug und ihn halb gehen oder laufen liess. Sie hatten Smithfield erreicht, als tiefe Glockenklänge die Stunde verkündeten. Sikes und Nancy standen bei den ersten Schlägen still, und wendeten sich um nach der Richtung, aus welcher die Töne erschallten.

      „Acht Uhr, Bill,“ sagte Nancy.

      „Ich habe selbst Ohren,“ erwiderte Sikes mürrisch.

      „Ich möchte wol wissen, ob sie es schlagen hören können?“ fuhr Nancy fort.

      „Natürlich können sie’s,“ sagte Sikes. „Es war um Bartholmäi, als ich in Dobes 11 gesteckt wurde, und auf dem ganzen Markt schnarrte keine Pfennigtrompete, die ich nicht gehört hätte. Nachdem ich für die Nacht eingeschlossen war, machte der Lärm und das Getöse draussen das vermaledeite alte Gefängniss so still und einsam, dass ich mir den Kopf hätte einrennen mögen an den Basteln.“ 12

      „Die armen Bursche! Ach, Bill, was sie für schmucke junge Leute sind!“

      „Ja, ja, so sprecht ihr Weibsbilder alle! Schmucke junge Leute! Doch sie sind so gut wie todt, also mag’s gleichviel sein.“

      Er fasste den Knaben wieder fester und trieb zur Eile an.

      „Noch einen Augenblick,“ sagte das Mädchen; „ich würde nicht vorbeilaufen, wenn Ihr’s wär’t, der zum Galgen herausgeführt würde, wenn’s wieder acht schlägt. Ich würde auf und nieder travallen, bis ich niedersänke, und wenn fusshoher Schnee läge, und ich hätte kein warmes Tuch, mich einzuhüllen.“

      „Das sollte mir wol viel helfen,“ bemerkte der nichtsentimentale Sikes. „Könnt’st du mir nicht ä Kulm 13 und ä zwanzig Ellen Kabot 14 ’neinpracticiren, so möcht’st du funfzig Meilen laufen, oder ganz zu Hause bleiben, es wäre mir Alles nichts nütze. Vorwärts, steh’ hier und paternelle 15 nicht!“

      Das Mädchen brach in ein Gelächter aus, ergriff Oliver’s Hand, und sie eilten weiter. Oliver fühlte, dass ihre Finger zitterten, und als sie an einer Gaslampe vorüberkamen, sah er, dass ihr Gesicht todtenblass war.

      Sie lenkten nach einer halben Stunde in eine enge, schmutzige Gasse ein, die fast ganz von Trödlern bewohnt zu sein schien, und standen vor einem verschlossenen Laden still. Das Haus schien unbewohnt zu sein, und sah halb verfallen aus. Ueber der Thür war eine Tafel angenagelt, auf welcher zu lesen war, dass das Haus zu vermiethen sei; sie schien jedoch dort schon Jahre lang befestigt gewesen zu sein.

      „Alles gut; sagte Sikes, vorsichtig umherlugend. Er klopfte auf eine besondere Weise, die Thür wurde leise geöffnet, und im Augenblick befanden sich alle Drei auf der Hausflur. Ein Licht zeigte den Weg. Sie stiegen einige Treppenstufen hinunter, gingen durch eine leere Küche, und traten in ein niedriges, dumpfiges Gemach ein. Ein lautes Gelächter schallte ihnen entgegen. Charley Bates wälzte sich im eigentlichen Sinne vor Vergnügen über den gar zu kostbaren Spass auf dem Boden, riss sodann Jack Dawkins das Licht aus der Hand, hielt es Oliver dicht vor das Gesicht, und beschanete ihn von allen Seiten, während ihm Fagin scherzhafterweise tiefe Verbeugungen machte, und der gepfefferte Baldoberer, der von ernsterem


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