Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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nicht verderben gleich. Warum schrieben Sie’s nicht, dass Sie kommen wollten — wir hätten dann treffen können noch bessere Vorbereitungen — aber Sie sollen dennoch etwas Warmes bekommen zum Abendbrod.“

      Jetzt lächelte sogar der Baldoberer; da er jedoch in diesem Augenblicke die Fünfpfundnote hervorzog, so ist es zweifelhaft, ob der Witz Fagin’s, oder die erfreuliche Entdeckung seine Heiterkeit erregte.

      „Holla, was ist das?“ rief Sikes, und trat auf den Juden zu, als derselbe die Banknote hinnahm. „Diese ist mein, Fagin!“

      „Nein, nein, mein Lieber,“ entgegnete der Jude. „Mein, Bill, mein; Ihr sollt die Bücher haben.“

      „Bekomm’ ich und Nancy sie nicht,“ sagte Sikes, mit entschlossener Miene den Hut aufsetzend, „so bring’ ich den Buben wieder zurück.“

      Der Jude fuhr empor, und. Oliver gleichfalls, obgleich aus einem ganz anderen Grunde; er hoffte der Streit würde damit enden, dass man ihn wieder nach Pentonville zurückbrächte. Allein Sikes entriss dem Juden unter Schelten und Drohen die Banknote, faltete sie kaltblütig zusammen und knüpfte sie in den Zipfel seines Halstuchs.

      „’S ist für unsere Mühe, und noch nicht halb genug,“ sagte er. „Behaltet Ihr die Bücher, wenn Ihr gern lest, und wo nicht, schlagt sie los!“

      „Es sind prächtige Bücher; nicht wahr, Oliver?“ fiel Charley Bates ein, als er die klägliche Miene gewahrte, womit Oliver zu seinen Peinigern emporblickte.

      „Sie gehören dem alten Herrn,“ sagte Oliver händeringend, „dem lieben, guten alten Herrn, der mich in sein Haus nahm und mich pflegen liess, als ich todtkrank lag. O bitte, schickt sie zurück, schickt ihm die Bücher und das Geld zurück! Behaltet mich hier mein Leben lang, aber bitte, bitte, schickt sie nur zurück. Er wird glauben, dass ich sie gestohlen hätte — und die alte Dame und Alle, die so freundlich gegen mich waren, werden es denken. O, habt Erbarmen, und schickt die Bücher und das Geld zurück!“

      Oliver fiel vor dem Juden auf die Knie nieder und hob flehend und ganz in Berzweiflung die Hände zu ihm empor.

      „Der Bube hat Recht,“ sagte Fagin, listig umherblickend und die buschigen Augenbrauen zusammenkneifend. „Du hast Recht, Oliver, hast ganz Recht; sie werden allerdings glauben, dass du sie gestohlen hast. Ha, ha, ha!“ kicherte er und rieb sich die Hände; „es hätte sich ganz unmöglich treffen können besser, und wenn wir noch so gut gewählt hätten die Zeit.“

      „Versteht sich,“ fiel Sikes ein; „ich wusst’s gleich im selbigen Augenblick, als ich ihn durch Clerkenwall mit den Büchern unterm Arme daherkommen sah. ’S ist nun Alles gut. Es müssen schwachköpfige Bethrüder sein — hätten ihn sonst gar nicht eingenommen; und sie werden auch keine Nachfrage anstellen, aus Furcht, dass sie ihn anklagen müssten und ihn gerumpelt 16 zu sehen. Wir haben ihn jetzt fest genug.“

      Oliver hatte unterdess bald Sikes, bald Fagin angesehen, als wenn er ganz betäubt wäre und kaum verstände, was gesprochen wurde; allein bei Bill’s letzten Worten sprang er plötzlich empor, und stürzte unter einem Geschrei nach Hilfe aus der Thür hinaus, dass die nackten Wände des Hauses davon wiederhallten.

      „Halt’ den Hund zurück, Bill,“ schrie Nancy, und eilte vor die Thür und verschloss sie, als der Jude mit seinen beiden Zöglingen Oliver nachgestürzt war; „halt’ den Hund zurück; er reisst ihn in Stücke!“

      „Ist ihm gerade recht!“ rief Sikes, und suchte sich von dem Mädchen loszumachen. „Lass mich los, oder ich renn’ dir den Kopf gegen die Wand!“

      „Ist mir Alles gleichviel, Bill, ist mir Alles gleichviel,“ schrie das Mädchen, sich heftig gegen ihn sträubend; „er soll nicht von dem Hunde zerrissen werden, und wenn es mein Tod ist!“

      „So!“ tobte Sikes; „sollst nicht lange warten auf deinen Tod, wenn du nicht im Augenblick ablässest!“

      Er schleuderte sie in die fernste Ecke des Gemachs, gerade als der Jude, Jack und Charley den Flüchtling wieder hereinschleppten.

      „Was gibt’s hier?“ fragte Fagin.

      „Ich glaube, die Dirne ist tot geworden,“ erwiderte Sikes in Wuth.

      „Nein, ich bin nicht toll,“ rief Nancy blass und athemlos dazwischen; „nein, Fagin, glaubt’s nicht!“

      „Dann sei ruhig — willst du wol?“ sagte der Jude mit drohender Geberde.

      „Das will ich auch nicht!“ erwiderte Nancy mehr schreiend, als redend. „Was willst du nun?“

      Mr. Fagin war mit den Sitten und Gebräuchen der Species des Menschheitsgenus hinlänglich bekannt, welcher Miss Nancy angehörte, um sich ziemlich überzeugt zu fühlen, dass es einigermassen gefährlich sein würde, die Unterhaltung mit ihr für den Augenblick fortzusetzen. Er wendete sich daher, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft abzulenken, zu Oliver.

      „Du wolltest also fortlaufen, mein Lieber?“ sagte er, einen Knotenstock aufhebend, der am Kamine lag; „wolltest rufen die Polizei — nicht wahr, mein Schatz? Ich will dich von der Krankheit curiren, lieber Engel!“

      Er hatte bei diesen Worten Oliver beim Arme gefasst, versetzte ihm einen Schlag über den Rücken und hob den Knotenstock wieder empor, als Nancy auf ihn zustürzte, ihm den Stock aus der Hand riss und in das Feuer schleuderte.

      „Ich leid’s nimmermehr, Fagin!“ schrie sie. „Ihr habt den Knaben, und was wollt Ihr mehr?“ Lasst ihn — lasst ihn zufrieden, oder ich thue etwas an Euch, das mich vor meiner Zeit an den Galgen bringt!“ Sie stampfte bei dieser Drohung heftig mit den Füssen, und blickte mit verbissenen Lippen, geballten Fäusten und blass vor Zorn und Wuth wechselweis den Juden und Sikes an.

      „Ah, Nancy!“ sagte der Jude nach einer kurzen verlegenen Pause beschwichtigend; „du — du übertriffst dich wirklich heute Abend selbst — ha, ha, ha! — spielst ganz prachtvoll deine Rolle, liebes Kind!“

      „So!“ entgegnete Nancy; „nehmt Euch nur in Acht, dass ich sie nicht zu gut für Euch spiele. Ich sag’ es Euch vorher, Ihr werdet Euch sehr schlecht dabei stehen!“

      Es gibt wenige Männer, die sich nicht gern enthielten, ein in Wuth gerathenes und obenein von nichtsachtender Verzweiflung beseeltes Frauenzimmer noch mehr zu reizen. Der Jude sah ein, dass es ihm nichts helfen könne, sich noch länger zu stellen, als wenn er Nancy’s Zorn für blos erkünstelt hielte, fuhr unwillkürlich einige Schritte zurück, und blickte Halb zitternd, halb verzagend nach Sikes. Dieser mochte glauben, sein persönliches Ansehen fordere es, Nancy baldigst wieder zur Vernunft zu bringen, und begann daher seine Operationen mit zahlreichen und kräftigen Drohungen und Verwünschungen, wobei er den Beweis lieferte, dass er es in diesem Genre in der That zur Meisterschaft gebracht hatte. Als sie keinen sichtbaren Eindruck machten, ging er zu noch überzeugenderen Argumenten über. „Was soll das bedeuten, Dirne?“ tobte er unter Hinzufügung einer Verwünschung, die die Blindheit so gewöhnlich als die Masern machen würde, wenn der Himmel sie nur halb mal so oft wahr machte, als man sie auf Erden hört. „Was willst du damit bezwecken? Weisst du, zum Geier, wer du bist — was du bist?“

      „O ja, ja, ich weiss es nur zu gut!“ erwiderte Nancy unter krampfhaftem Lachen, und den Kopf hin- und herwiegend, um gleichgültig zu erscheinen, was ihr jedoch schlecht gelang.

      „Dann sei ruhig, oder ich werde dich auf ’ne lange Zeit zum Stillschweigen bringen.“

      Sie lachte abermals, blickte flüchtig nach Sikes, wendete das Gesicht ab und biss sich die Lippen blutig.

      „Du bist mir die Rechte, dich auf die menschenfreundliche und honette Seite zu legen!“ fuhr er verächtlich fort. „Der Bursch’ würde ’ne saubere Freundin an dir haben, wozu du dich aufwirfst!“

      „Und beim allmächtigen Gott, ich bin es!“ rief sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit; „und ich wollte lieber, dass ich auf der Strasse todt niedergefallen oder in das Gefängniss geworfen wäre, statt derer, denen wir so nahe waren, als dass ich mich dazu hergegeben hätte, ihn hierher zu bringen. Er


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